Der größte Teil des Salzes in Klima kommt aus den berühmten Salzgruben. Davon gibt es zwei Arten die ›offene‹ und die ›geschlossene‹ Grube. In den geschlossenen Gruben steigen Männer tatsächlich in die Tiefe und waten in der Salzmasse herum oder befahren sie mit Flößen; sie füllen ihre Gefäße und schütten den Inhalt in Ledersäcke, die an Haken hängen und von der Oberfläche aus mit Hilfe von Winden nach oben gezogen werden. Das Schöpfgefäß ähnelt einem durchlöcherten Kegel mit Griff, an dem sich ein Seil befindet. Das Gefäß wird durch den Salzschlamm gezogen und angehoben; das freie Wasser fließt dabei ab und läßt den Salzschlamm zurück, der sodann in ein Aufbewahrungsgefäß geschüttet wird, im allgemeinen ein großes Holzfaß. Die Aufbewahrungsgefäße werden später in die großen Ledersäcke entleert, die an Stricken hochgezogen werden. Da und dort sind die Salzgruben ›offen‹ und liegen an der Oberfläche, wo sie durch Quellen aus den unterirdischen Flüssen gespeist werden, was ihr Austrocknen durch Verdampfen verhindert. In den offenen Gruben halten sich die Sklaven nicht lange. Dieselben unterirdischen Wasserströme, die stellenweise die Salzgruben füllen, versorgen Klima an anderen Stellen nach Durchfließen salzfreier Schichten mit Frischwasser. Natürlich schmeckt dieses Wasser ein wenig salzig, wie fast überall in der Tahari, doch ist es trinkbar. Das Salz im gewöhnlichen Trinkwasser der Tahari hat durchaus seinen Sinn, gleicht es doch bei Tieren und Menschen den Salzverlust, der durch das Schwitzen eintritt, aus. Ähnlich wie das Wasser ist das Salz lebenswichtig für einen Organismus und das übermäßige Schwitzen in der Tahari kann gefährlich sein. So ergeben sich die anmutigen, fast schläfrigen Bewegungen der Nomaden und Tiere dieser Gegend. Und die schwere Kleidung der Wüstenbewohner soll einen Wasserverlust verhindern und die Feuchtigkeit der Haut erhalten. Neben den Gruben der Salzbezirke stehen Lagerhäuser und Büros, in denen man die Aufzeichnungen führt und die Sendungen an die Wüstenlager vorbereitet. Außerdem gibt es Verarbeitungszonen, in denen das Salz von Wasser befreit und zu verschiedenen Qualitäten verfeinert wird in einem komplizierten System aus Gestellen und Pfannen, die der Sonnenhitze ausgesetzt werden. Hier waren Sklaven am Werk; sie mußten das Salz harken, wenden und sieben. Dicht daneben stehen die Formschuppen, in denen das Salz zu den großen Zylindern gepreßt wird, die man zusammenbindet und schließlich auf Packkaiila verlädt. Beim Salz unterscheidet man neun verschiedene Qualitäten.
Auf jedem Zylinder werden die Qualität, der Name der Abbauzone und das Zeichen des jeweiligen Salzmeisters vermerkt.
Natürlich verfügte Klima auch über die üblichen Nebeneinrichtungen solcher Anlagen Küchen und Vorratsräume, Hütten, Kantinen und Strafgruben, Versammlungsort, Schmiede und Läden, Quartiere für Wächter und Schreiber, ein Krankenlager für das Aufsichtspersonal und so weiter. In mancher Hinsicht ähnelte Klima einer normalen kleinen Stadt wenn auch zwei große Unterschiede bestanden. Hier gab es weder Kinder noch Frauen.
Als wir uns Klima näherten, hatte Hassan zu mir gesagt: »Versteck das Stück Seide irgendwo in der Salzkruste.«
»Wieso?«
»Es ist ein Stück Sklavenseide«, erwiderte er. »Es verbreitet noch immer den Duft einer Frau.«
»Und warum soll ich es verstecken?«
»Weil die Männer in Klima dich deswegen umbringen könnten.«
Ich versteckte das Stück neben einem der niedrigen weißen Gebäude in der Salzkruste.
Der Mann, der zu uns sprach, war T’Zshal, Meister von Hütte 804.
»Ihr könnt jederzeit verschwinden«, sagte er. »Niemand wird gegen seinen Willen hier festgehalten.«
Wir saßen auf dem Boden des Schuppens, nackt. Man hatte uns mit einem leichten Seil am Hals zusammengefesselt.
»Ich mache keine Witze«, sagte der Mann.
Wir waren nun schon vier Tage in Klima. Man hatte uns mit Wasser und Nahrungsmitteln gut versorgt. Wir hatten uns im Schatten aufhalten dürfen. Man hatte uns das Seil angelegt, als wir nacheinander aus der Wüste hereingetaumelt waren. Vier Männer waren in diesen vier Tagen noch gestorben. Alles in allem hatten also nur fünfzehn Männer den Marsch nach Klima geschafft.
T’Zshal trug Wüstenstiefel, weite Leinenhosen und eine rote Schärpe; in ihr steckte ein gekrümmter Dolch. Seine Brust war nackt und haarig; auf dem Kopf trug er Kaffiyeh und Agal. Er hielt eine Peitsche, die sogenannte Schlange, das Zeichen seiner Macht über uns. Hinter ihm lauerten zwei mit Krummsäbeln bewaffnete Wächter. Durch eine Öffnung in der Decke fiel Licht herein.
Er kam auf uns zu. Mehrere Sklaven duckten sich. Er zog den krummen Dolch und schnitt das Seil durch, das uns zusammenhielt. »Ihr könnt gehen, wenn ihr wollt«, sagte er.
Er schritt zur Tür der Hütte und stieß sie auf. Draußen schimmerte die Sonne auf der Salzkruste; dahinter erstreckte sich die Wüste.
»Geht!« sagte er lachend. »Geht!«
Keiner der Männer rührte sich.
»Ah«, sagte er. »Ihr entschließt euch also zu bleiben. Das ist eure freie Entscheidung. Also gut, ich bin damit einverstanden. Doch wenn ihr bleibt, dann nur zu meinen Bedingungen.« Plötzlich ließ er die Peitsche knallen. »Habt ihr das begriffen?« fragte er.
»Ja«, versicherten einige Sklaven hastig.
»Kniet nieder!« brüllte T’Zshal.
Wir knieten nieder.
»Wird man euch das Bleiben aber gestatten?« fragte er.
Mehrere Männer warfen sich beunruhigte Blicke zu.
»Vielleicht ja, vielleicht aber auch nicht«, sagte T’Zshal. »Diese Entscheidung liegt allein bei mir. Es ist nicht einfach, sich in Klima den Unterhalt zu verdienen. Die Lebenskosten sind bei uns sehr hoch. Ihr müßt euch das Recht verdienen, bei uns zu bleiben. Ihr müßt schwer arbeiten. Ihr müßt mich zufriedenstellen und zwar sehr.« Er blickte von einem zum anderen.
Diesmal fragte er nicht erst, ob wir verstanden hatten. Wir hatten ihn verstanden. »Aber wir dürfen Klima verlassen, wann wir wollen?«
erkundigte sich Hassan.
T’Zshal sah ihn an. Er schien sich zu fragen, ob Hassan den Verstand verloren hatte. Ich lächelte. T’Zshal schien etwas verdattert. »Ja«, sagte er dann.
»Sehr gut«, stellte Hassan fest.
»Es gibt wenig Leder in Klima«, fuhr T’Zshal fort. »Wir haben nicht viele Wasserbeutel. Und die Beutel, die wir haben, fassen nur einen Talu. Sie werden bewacht.«
In Klima wird das Wasser im allgemeinen in kleinen Eimern befördert, die an hölzernen Schulterjochen baumeln und gleich mit Schöpfkellen versehen sind. Ein Talu entspricht etwa acht Litern. Ein Talubeutel ist nur klein; ein Nomade gibt sich mit einem Talubeutel zufrieden, wenn er in der Nähe einer Oase seine Verrherde bewacht.
»Hast du die Absicht«, wandte sich T’Zshal an Hassan, »dir mehrere Beutel zu verschaffen, sie gegen den Willen der Wächter zu füllen und damit aus Klima zu verschwinden?«
Selbst wenn so ein Streich gelänge, war es doch sehr unwahrscheinlich, daß man genug Wasser mitschleppen konnte, um zu Fuß die Wüste zu durchqueren.
Hassan zuckte die Achseln. »Das wäre eine Möglichkeit«, sagte er.
»Du scheinst dich für besonders kräftig zu halten«, stellte T’Zshal fest.
»Ich habe den Marsch nach Klima geschafft«, erwiderte Hassan.
»Wir alle haben den Marsch nach Klima geschafft«, stellte T’Zshal fest. Diese Worte überraschten uns.
»Bei uns in Klima gibt es niemanden«, erklärte T’Zshal, »der den Marsch nicht geschafft hat. Wir alle hier, meine Freunde, sind Sklaven des Salzes, Sklaven der Wüste. Wir graben das Salz aus für die Freien; dafür erhalten wir zu essen.«