Im Augenblick jedoch interessierten uns weder die Lelts noch die Salamander.
»Dort ist es wieder!« rief der Mann. Aber die Erscheinung war bereits verschwunden. Ich hatte nichts gesehen.
Das einzige Licht in den Höhlen kam von unseren Lampen. Ohne Licht gibt es keine Photosynthese; ohne Photosynthese kann keine Umwandlung von Kohlendioxyd stattfinden, kann sich kein Zucker bilden, kann keine Nahrungskette beginnen. Letztlich kommt aber dennoch Nahrung in die Höhlen, gewöhnlich in der Form organischer Überreste aus Hunderten von Quellen, von denen manche viele hundert Meilen entfernt sind; diese Überreste werden von den Frischwasserzuleitungen herangetragen, vor allem verschiedene Arten von Bakterien. Diese Bakterien werden von Protozoen und Rädertieren verzehrt. Diese bilden die Nahrung für verschiedene Würmer und zahlreiche winzige Geschöpfe, beispielsweise Isopoden, die ihrerseits von blinden weißen Krebsen, Lelts und Salamandern verzehrt werden.
Diese jedoch stehen nicht am Ende der Nahrungskette. Nicht diese Geschöpfe hatten das Interesse der Männer erregt.
»Ist es der Alte?« fragte einer der Männer.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ein anderer. Der Steuermann stand mit der Lanze bereit.
»Dort!« Einer der Männer hob den Arm.
Da sah ich die Erscheinung, eine langsame Bewegung, ein Herumdrehen. Lelts und Salamander verschwanden unter der Wasseroberfläche. Das Ding verschwand ebenfalls. Das Wasser war wieder ruhig.
»Er ist fort«, sagte einer der Männer.
»War es der Alte?« fragte jemand.
»Ich weiß nicht«, erwiderte der Steuermann. Der Alte war in der Höhle seit über einem Jahr nicht mehr gesehen worden.
»Seht!« rief ich. Diesmal war das Wesen ganz nahe. Kaum zehn Fuß von dem Floß entfernt stieg es über die Wasseroberfläche. Wir sahen den breiten, stumpfen Kopf, augenlos, weiß. Dann versank es wieder, mit einem Schlenker des langen Rückens und Schwanzes.
Der Steuermann wurde bleich. »Der Alte«, sagte er leise. Auf dem hellen Rücken zog sich in der Nähe der hohen Flosse eine lange Narbe hin; ein Teil der Flosse war eingerissen und vernarbt. Hier war offenbar eine Lanze am Werk gewesen.
»Er ist wieder da«, sagte einer der Männer.
Das Wasser regte sich nicht mehr.
Am Ende der Nahrungskette in den Höhlen lauerte ein an die Dunkelheit angepaßter Abkömmling des ewigen Schreckens der Meere der Salzhai mit seinem langen Körper und neun Kiemen.
Fast eine Viertel-Ahn lang starrten wir auf das Wasser.
»Er ist fort«, sagte ein Mann.
»Wir müssen unsere Quote zusammenbekommen«, meinte einer der Einsammler.
»Holt Salz ein« sagte der Steuermann.
Wir griffen nach den Seilen und den Schöpfkegeln und machten uns wieder an die Arbeit.
»Die Lelts sind noch nicht zurück«, sagte der Steuermann zu mir.
»Was bedeutet das?« wollte ich wissen.
»Daß der Alte noch in der Nähe ist«, erwiderte er und blickte auf das dunkle Wasser hinab. »Holt Salz ein«, wiederholte er. Und ich warf meine Schöpfkelle hinaus.
Es wurde spät.
Das Öl der Lampen an den Ecken des Floßes war fast ausgebrannt. Oben an der Oberfläche mußte bald die Abenddämmerung hereinbrechen.
Ich fragte mich, wie man aus Klima fortkommen konnte. Es schien unmöglich zu sein, selbst wenn man sich Wasser beschaffen konnte. Man konnte einfach nicht genügend Wasser tragen, um den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen. Ganz abgesehen von der Frage des richtigen Weges, den niemand zu kennen schien. Bisher hatte noch kein Sklave aus Klima fliehen können.
Ich dachte an die Priesterkönige und die Anderen, die Kurii, und an ihre Auseinandersetzung. Dies alles schien mir weit entrückt zu sein. Plötzlich schnellte die Erscheinung aus der Tiefe des Wassers empor, kaum fünf Fuß von mir entfernt. Der Kopf des Hais war gut einen Meter breit und von fahler Färbung. An Stelle der Augen besaß das Tier tiefe Einbuchtungen. Unter dem Gewicht des Fisches neigte sich das Floß zur Seite, wurde herumgedreht, als das Tier mit einem eleganten Schlenker wieder in der Dunkelheit verschwand.
»Stangen!« schrie der Steuermann. »Stangen!« Die Stakenmänner griffen nach den Hölzern, senkten sie ins Wasser.
Eine der Lampen verlöschte zischend.
»Ich habe keine Bodenberührung mehr!« rief einer der Männer. Das Floß war abgetrieben.
»Paddel!« befahl der Steuermann und lehnte sich auf sein Ruder. Die Stakenmänner ergriffen die breiten Hölzer. Eine zweite Lampe verlöschte flackernd.
Langsam drehte sich das Floß.
Nur noch zwei Lampen brannten.
»Ihr anderen«, wandte sich der Steuermann an uns. »Ihr nehmt Stangen!« Wir gehorchten. Wir hofften natürlich, daß die Paddler das Floß an eine Stelle bringen konnten, wo wir uns mit Hilfe der Stangen weiterbewegen konnten.
»Er ist fort«, sagte einer der Männer an den Paddeln.
»Das war der Alte«, sagte der Steuermann. »Es muß Abend sein.«
Ich verstand, was er meinte. Normalerweise jagt man, wenn es gute Beute gibt. Der Salzhai jedoch jagte nur in der Abend und Morgendämmerung getrieben von uralten biologischen Rhythmen. Das lange gespenstische Geschöpf folgte bei seiner Jagd in diesem dunklen Gewässer einer inneren Uhr, wie sie für Kreaturen gegolten hatte, die sich vor zweihundertundfünfzig Millionen Jahren auf einer sonnenhellen Welt bewegt hatten.
»Beeilt euch!« rief der Steuermann.
Die dritte Lampe ging zischend aus. Wir hatten nur noch eine einzige Lichtquelle, auf der Backbordseite achtern. Doch auch dieses Licht ließ uns bald im Stich, und wir befanden uns in absoluter Dunkelheit. Irgendwo in der Nähe schwamm der Alte.
Da griff die Kreatur an. Sie schleuderte sich förmlich aus dem Wasser herauf. Wir wurden plötzlich von einer Wasserfontäne überschüttet, hörten den gewaltigen Körper ins Wasser zurückklatschen. Eine Zeitlang herrschte Ruhe.
Wir hörten, wie der unheimliche Fisch gegen das Floß stieß. Es neigte sich, fiel zurück. Wir klammerten uns an den Salzfässern fest. Über eine Viertel-Ahn verging. Wir nahmen schon an, der Alte sei nicht mehr bei uns. Doch plötzlich schien sich das Floß auf der Backbordseite ins Wasser zu neigen. Voller Entsetzen schrie ein Mann auf und begann mit dem Paddel um sich zu schlagen. Der breite Kopf glitt ins Wasser zurück. Der Alte hatte seinen Kopf einen Moment lang auf das Floß gelegt.
Über eine Ahn lang trieben wie in der Dunkelheit dahin. Nichts geschah. Plötzlich stieg der gewaltige Körper von neuem aus dem Wasser und fiel zuckend quer über das Floß; der mächtige Schwanz peitschte hin und her. Ich hörte Holz knacken; Fässer wurden zerschmettert und rollten polternd vom Floß ins Wasser. Männer schrien, wurden ins Wasser geschleudert.
Ich klammerte mich an die Überreste des zerschmetterten Floßes. Ein lauter Schrei hallte durch die Dunkelheit.
Viermal warf sich der mächtige Leib des Hais auf das Floß. Einmal spürte ich, wie der Fisch über meinen Rücken abrollte, wobei mein Körper von den Überresten des Holzrahmens geschützt wurde. Die Haut des Hais war nicht rauh, wie man es bei Haien im offenen Meer findet, sondern weich und schleimig. Das Geschöpf glitt über mich dahin, ohne mich von dem Holz loszureißen.
»Wo seid ihr?« fragte eine Stimme aus dem Wasser.