»Bring dich in Sicherheit«, sagte Hassan. »Ich kann nicht laufen.«
Ich befreite ihn von seinen Fesseln. Dann bückte ich mich und hob ihn hoch. Ich legte ihm zur Stütze den linken Arm um die Hüfte. Sein rechter Arm lag auf meiner Schulter.
Wir hoben den Blick.
Ein gutes Dutzend Männer umringte uns mit gezogenen Krummsäbeln eine dunkle Masse.
Ich packte den Pflock an meiner rechten Hand, um mich gegen die Klingen zu wehren.
Da traten die Männer auseinander und gaben den Blick frei auf T’Zshal, der in einer Art Sänfte herangetragen worden war.
Im Licht der Monde musterte er uns.
»Seid ihr noch immer entschlossen, in die Wüste zu gehen?« fragte er.
»Ja«, sagte ich.
»Euer Wasser steht bereit«, erwiderte er.
Zwei Männer, die an Jochen schwere Wasserbeutel trugen, traten vor.
»Wir haben mehrere Talubeutel zusammengenäht«, sagte T’Zshal. Ich war sprachlos.
»Ich hatte gehofft, euch durch Sonne und Wassermangel abschrecken zu können ich wollte euch den Wahnsinn austreiben.«
»Du hast uns beigebracht, was es bedeutet, ohne Wasser der Sonne ausgesetzt zu sein.«
Er nickte. »Jedenfalls wißt ihr jetzt, worauf ihr euch einlaßt.« Er wandte sich an einen der Wächter. »Schneide ihm den Pflock ab«, befahl er und deutete auf meine rechte Hand. Anschließend winkte er einen anderen Wächter herbei, der uns aus einem kleineren Beutel mit Wasser versorgte.
Dann wurde der Beutel von Mann zu Mann gereicht eine einfache Zeremonie, die in der Wüste aber eine große Bedeutung hat.
»Natürlich bleibt ihr noch ein paar Tage lang in Klima«, sagte T’Zshal,
»um wieder zu Kräften zu kommen.«
»Wir marschieren sofort ab«, sagte ich.
»Was ist mit ihm?« fragte T’Zshal und deutete auf Hassan.
»Ich kann gehen«, sagte Hassan und richtete sich auf. »Ich habe inzwischen Wasser bekommen.«
»Ja«, sagte T’Zshal. »Du bist wirklich ein Mann der Tahari.«
Ein Wächter reichte mir einen Beutel mit Nahrungsmitteln Trockenfrüchte, Kekse, Salz.
»Vielen Dank«, sagte ich. Damit hatten wir nicht gerechnet.
»Keine Ursache«, sagte er.
»Wenn deine Wunden geheilt sind«, wandte ich mich an T’Zshal, »willst du dann nicht deinerseits Klima verlassen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Seine Antwort habe ich bis heute nicht vergessen.
»Weil ich lieber der führende Mann in Klima bin als ein unbedeutender in Tor.«
»Ich wünsche dir alles Gute, T’Zshal, Salzmeister von Klima«, sagte ich. Hassan und ich machten kehrt und marschierten mit dem Wasser und den sonstigen Vorräten in die nächtliche Wüste hinaus.
Am Rande Klimas hielten wir inne. Aus dem Versteck in der Salzkruste nahm ich das verblaßte Stück Sklavenseide, das mir vor dem Marsch nach Klima in den Kragen gestopft worden war. Ich roch daran und hielt es Hassan hin.
»Man riecht das Parfüm noch immer«, sagte er.
»Vielleicht sollte ich das Ding den Männern von Klima überlassen«, meinte ich lächelnd.
»Nein«, erwiderte Hassan. »Die würden sich deswegen nur gegenseitig umbringen.«
Doch im Grunde wollte ich das Stück Stoff gar nicht verschenken. Ich wollte es einem Mädchen zurückgeben höchstpersönlich. Ich band mir den Fetzen um das linke Handgelenk. Dann marschierten wir unter den goreanischen Monden dahin. Klima blieb hinter uns zurück. Einmal hielten wir inne, am Rande der großen flachen Senke, in der die Salzbergwerke liegen. Wir sahen Klima im Lichte der drei Monde schimmern. Dann setzten wir unseren Weg fort.
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17
Ich hörte Hassan rufen. Ich hastete zu ihm. Er stand im Mondlicht am Hang einer riesigen Düne. Eine flache Felsformation, vom Winde freigeweht, erstreckte sich unter ihm.
»Ich habe es dort gesehen!« rief er. »Ich habe es gesehen!« Er deutete auf das Gestein. Der Wind ging darüber hin. Ich sah nichts. »Verrückt!«
fuhr Hassan fort. »Dort ist gar nichts! Ich drehe durch!«
»Was hast du gesehen?« wollte ich wissen.
»Ein Ungeheuer!« sagte er, »Ein großes Ungeheuer. Es stand plötzlich aufrecht da. Die Arme waren unglaublich lang. Das Geschöpf sah mich an. Im nächsten Augenblick war es fort.« Er schüttelte den Kopf. »Aber wohin sollte es verschwunden sein? Hier gibt es doch gar keine Verstecke!«
»Du hast mir soeben einen Kur beschrieben«, sagte ich.
»Ich habe von diesen Wesen gehört«, erwiderte Hassan. »Handelt es sich dabei nicht um mythologische Geschöpfe aus Sagen und Überlieferungen?«
»Die Kurii gibt es wirklich«, versicherte ich.
»So ein Geschöpf könnte niemals in der Wüste leben«, meinte Hassan.
»Da hast du recht.«
»Es ist also seltsam, daß ich mir so ein Geschöpf in der Tahari eingebildet habe.«
Ich näherte mich dem Felsen und untersuchte ihn. Ich fand keine Spur von einem Ungeheuer. Der Wind hatte den Sand abgetragen, Fußspuren waren nicht zu erkennen.
»Wir wollen unsere Wanderung fortsetzen«, sagte Hassan, »ehe wir beide noch den Verstand verlieren.«
Ich hievte mir die Wasserlast auf die Schultern und folgte ihm. Am Vortag hatten wir den letzten Proviant verzehrt. Doch wir hatten noch Wasser.
Plötzlich entdeckte Hassan fünf Vögel über uns am Himmel.
»Auf Hände und Knie!« befahl er. »Senk den Kopf!« Ich folgte seinem Beispiel. Zu meiner Überraschung begannen die Vögel über uns zu kreisen. Ich blickte empor. Es handelte sich um wilde Vulos, mit braunem Gefieder und langen Flügeln. Nach kurzer Zeit landeten sie wenige Meter von uns entfernt und beobachteten uns neugierig. Hassan schmatzte mit gesenktem Kopf rhythmisch auf seinen Handrücken, wobei er sich immer so bewegte, daß er die Vögel im Auge behalten konnte. Das Geräusch erinnerte entfernt an ein Tier, das Wasser schleckt.
Ein Krächzen ertönte, als er einen der Vögel packte, der sich zu nahe herangewagt hatte. Die anderen Vulos ergriffen die Flucht, während Hassan seiner Beute den Hals umdrehte. An diesem Abend genossen wir eine Fleischmahlzeit.
Wir waren schon zwölf Tage in der Wüste unterwegs, als ich plötzlich in einem Windhauch den Geruch ausmachte.
»Halt!« sagte ich zu Hassan. »Riechst du das?«
»Was?« fragte er.
»Jetzt ist es fort!«
»Was hast du gerochen?«
»Einen Kur.«
Er lachte. »Du bist ja genauso verrückt wie ich!«
Ich suchte die Dünen ringsum ab, die im Licht der Monde silbern schimmerten. Ich schob die Wasserbeutel auf meiner Schulter herum. Hassan stand in der Nähe. Er nahm seinen Wasserbeutel auf die linke Schulter.
»Hier ist nichts«, sagte er. »Wir wollen weitergehen.«
»Der Kur ist bei uns«, sagte ich. »Du hast dich vor ein paar Tagen nicht geirrt, als du das Wesen entdecktest.«
»Kein Kur kann in der Wüste leben.«
Ich sah mich um. »Er ist bei uns irgendwo dort draußen.«
»Komm«, sagte Hassan, »bald geht die Sonne auf.«
»Na schön.«
»Warum zögerst du?«
Ich sah mich um. »Wir sind nicht allein. Jemand begleitet uns auf unserer Wanderung.«
Hassan suchte mit den Augen die Dünen ab. »Ich sehe nichts.«
Wir setzten unsere Wanderung fort.
Hassans Ziel war nicht die Oase der Schlacht am Roten Felsen im Nordwesten Klimas, sondern die Oase der Vier Palmen, ein Vorposten der Kavars, der südlich vom Roten Felsen lag. Leider waren die Vier Palmen von Klima weiter entfernt als der Rote Felsen. Dennoch kam mir seine Entscheidung ganz vernünftig vor. Der Rote Felsen war eine Tashid-Oase unter der Oberherrschaft der Aretai also Feinde der Kavars. Außerdem lagen zwischen Klima und dem Roten Felsen die Bezirke, welche von Abdul, dem Salz-Ubar, kontrolliert wurden, dem Mann, der mir als Ibn Saran vorgestellt worden war. Unabhängig davon lagen die Vier Palmen zwar weiter entfernt, doch schien der Weg dorthin uns früher aus dem Dünenland herauszuführen als die Route zum Roten Felsen. Auf diese Weise erreichten wir schneller felsiges Terrain, wo man Wild und da und dort Wasser finden kann und wo öfter Nomadengruppen anzutreffen sind, die den Kavars nicht feindlich gegenüberstehen. Alles in allem hatten wir uns einen akzeptablen Weg ausgesucht, der dennoch nicht ohne Risiko war. Aber anders ging es nicht.