An einer bestimmten Stelle des glatten Mosaiks blieb er stehen und deutete auf die Stelle der Landkarte. »Ja«, sagte er. »Etwa hier.«
Ich blickte auf die bezeichnete Stelle, die von Hunderten winziger Steinsplitter gekennzeichnet war, hier zumeist von brauner Farbe. »Da gibt es noch etwas«, sagte Samos, »das ich dir noch nicht gesagt habe.«
»Und das wäre?«
»Die Kurii haben dem Sardar ein Ultimatum gestellt ›Gebt Gor auf!‹«
»Mehr nicht?« fragte ich. »Das will mir kaum logisch erscheinen. Aus welchem Grunde sollte diese Welt den Kurii überlassen werden?«
»Hört sich verrückt an«, sagte Samos.
»Aber die Kurii sind nicht verrückt«, entgegnete ich. »Eine Alternative wurde nicht in Aussicht gestellt?«
»Nein.«
»›Gebt Gor auf‹ . . .«, sagte ich nachdenklich.
»Hört sich verrückt an«, meinte Samos. «Trotzdem bin ich besorgt.«
»Und wie hat das Sardargebirge darauf reagiert?« wollte ich wissen.
»Misk, einer der führenden Priesterkönige, hat die Kurii gebeten, sich genauer zu äußern.«
Ich lächelte. »Er versucht Zeit zu gewinnen«, sagte ich.
»Natürlich«, meinte Samos.
»Hat es darauf eine Antwort gegeben?«
»Die ursprüngliche Aufforderung wurde wiederholt. Danach nichts mehr.«
»Zweifellos ein Bluff seitens der Kurii«, sagte ich. »Die Priesterkönige tun sich mit solchen Dingen wahrscheinlich schwer. Im allgemeinen sind sie sehr vernunftbetont und logisch ausgerichtet. Mit psychologischen Tricks, falschen Ansprüchen und Bluffs kennen sie sich nicht aus.«
Samos zuckte die Achseln.
»Ich habe manchmal das Gefühl«, fuhr ich fort, »daß die Priesterkönige die Kurii gar nicht verstehen. Vielleicht sind sich diese beiden Lebensformen einfach zu fremd. Den Priesterkönigen fehlt die Leidenschaft, die Energie, das Haßdenken, um die Kurii in vollem Ausmaß zu begreifen.«
»Oder die Menschen«, sagte Samos.
»Oder die Menschen«, räumte ich ein. Auch die Priesterkönige besaßen Energie und Gefühle, doch das waren Empfindungen, die sich vermutlich sehr von den Emotionen der Menschen und auch Kurii unterschieden. Die Grundlage des sinnlichen Erlebens der Priesterkönige war mir noch weitgehend verschlossen. Zwar kannte ich ihr Verhaltensschema; doch die Welt ihres inneren Erlebens war mir fremd. Ihre Antennen waren die zentralen Sinnesorgane. Sie besaßen zwar Augen, verließen sich jedoch selten darauf und fühlten sich in absoluter Dunkelheit zu Hause. Ihre Musik war eine Rhapsodie aus Düften, von denen viele für die menschlichen Sinnesorgane nicht einmal angenehm waren. Die Ornamente ihrer Welt bestanden aus weitgehend unsichtbaren Duftlinien, die sorgfältig durch das Innere der Wohnräume gezogen waren.
Ich lächelte vor mich hin. »Manchmal«, so hatte mir Misk einmal im Nest der Priesterkönige anvertraut, »habe ich das Gefühl, daß nur der Mensch die Kurii voll begreifen kann. Menschen und Kurii sind sich so ähnlich.«
Die Bemerkung war scherzhaft gemeint gewesen, doch ich vermutete, daß sie leider nur allzu sehr zutraf.
So bedauerlich das auch sein mochte, ich war jedenfalls der Meinung, daß die Priesterkönige, jene großen, goldpelzigen, sanften Wesen, ihre Gegner, die Kurii, nicht wirklich verstanden. Die Beharrlichkeit und Aggression, die Leidenschaften des Blutes, die Gebietsansprüche dieser Wesen all dies mußte den Priesterkönigen fremd sein. Die Kurii und die Menschen mochten sich besser verstehen als die Priesterkönige die beiden anderen Rassen. Solange die Kurii außerhalb des fünften Ringes blieben, außerhalb der Umlaufbahn jenes Planeten, der auf der Erde Jupiter heißt und auf Gor Hersius, machten sich die Priesterkönige keine großen Sorgen um die Anderen. Sie hatten nichts dagegen, daß diese wilden Wölfe an ihren Grenzen entlangstrichen. Doch die Kuriiwelten erspürten die Schwäche des Sardargebirges, die im Anschluß an den Nestkrieg eingetreten war, und wagten sich näher heran. Kontaktstellen und Stützpunkte waren offenbar schon auf der Erde eingerichtet worden. Ein Hauptvorstoß der Kurii, eine Aktion eingeborener Kurii unter der Leitung von Kurii aus den Raumschiffen, war erst kürzlich fehlgeschlagen. Die Invasion war in Torvaldsland zum Stillstand gebracht worden. Die Kurii aus den Raumschiffen wußten offenbar noch nicht, in welchem Ausmaß die Macht der Priesterkönige beeinträchtigt war - der Hauptvorteil, über den wir verfügten. Kurii waren so vorsichtig wie Haie und gedachten sich nicht auf einen umfassenden Angriff einzulassen, ehe sie des Ausgangs nicht sicher waren. Hätten sie gewußt, wie schwach die Priesterkönige in Wirklichkeit waren, wären sie mit ihren Raumflotten sofort vorgestoßen. In erster Linie schienen sie eine List zu fürchten, eine gespielte Schwäche, die zum Angriff herausforderte und die zum Verlust ihrer Streitkräfte führen konnte. Außerdem gab es auch bei den Kurii verschiedene Gruppen - die einen mochten sich für eine Attacke aussprechen, während vorsichtigere Elemente eher für eine defensive Strategie eintraten. Der Fehlschlag des Torvaldsland-Vorstoßes mochte bei den Beratungen sehr ins Gewicht fallen. Vielleicht war bei den Kurii inzwischen eine neue Gruppe an die Macht gekommen, die zur Zeit eine neue Strategie festlegte, einen neuen Plan.
»›Gebt Gor auf‹«, sagte Samos.
Ich blickte auf die Landkarte, auf der wir standen. War dies der Ort, an dem der neue Plan der Kurii, wenn es so etwas überhaupt gab, diese primitive Welt berührte?
»Der eingeschlagene Weg«, sagte Samos, »hätte den Kur hierher geführt.«
»Vielleicht wollte er das Gebiet durchqueren?« meinte ich. Samos deutete mit dem Finger auf eine Stelle westlich von Tor. »Nein«, sagte er. »Eher würde man die Zone umgehen wollen, auf dem Weg westlich von Tor, wo es genug Wasser gibt.«
»Dazu brauchte man eine Karawane und Führer«, sagte ich.
»Natürlich. Aber das Ungeheuer war allein. Ich vermute, daß das Ziel des Geschöpfs nicht auf der anderen Seite des Gebietes lag, sondern mitten darin!«
»Unglaublich!« sagte ich.
Samos zuckte die Achseln. »Genau weiß ich das natürlich nicht.«
»Seltsam, daß zur gleichen Zeit die Sklavenflüge aufhören und das Sardargebirge das Ultimatum erhält, Gor aufzugeben.«
»Ja, das alles ist ziemlich rätselhaft«, sagte Samos, »und die Antwort liegt hier.« Er deutete auf das gefürchtete Gebiet.
Ich blickte auf den Boden. Obwohl die Fläche auf der Landkarte nur etwa einen Quadratmeter einnahm, handelte es sich um ein riesiges Gebiet in der Form eines länglichen Trapezoids, dessen Flanken nach Osten wiesen. In der Nordwestecke lag Tor. Westlich von Tor lag der Hafen Kasra am unteren Fayeen, einem sich windenden Nebenfluß des Cartius. In diesem Hafen standen die Lagerhäuser des Salzhändlers Ibn Saran, der im Augenblick zu den Gästen Samos’ gehörte.
Das Gebiet östlich von Tor war viele hundert Pasang breit und womöglich Tausende von Pasang lang. Die goreanische Bezeichnung für die Fläche läßt sich am besten mit ›Ödland‹ oder ›Leere‹ übersetzen ein riesiges Gebiet, felsig und hügelig bis auf das sogenannte Dünenland. Hier herrschen ewige Winde, und es gibt kaum Wasser. An bestimmten Stellen regnet es viele Jahrhunderte lang überhaupt nicht. Die Oasen werden aus unterirdischen Flüssen gespeist, die von den Hängen der Voltai-Berge nach Südosten fließen. Das Wasser, das unterirdisch dahinsickert, wird da und dort von den Felsformationen an die Oberfläche getragen und bildet Quellen oder wird, was häufiger geschieht, über tiefe Brunnenschächte angezapft, von denen manche über zweihundert Fuß tief sind. Die Tagestemperaturen im Schatten liegen gewöhnlich bei vierzig Grad, wohingegen die Oberflächenhitze noch weit größer ist. Wäre man im Dünenland so töricht, barfuß zu wandern, könnte der heiße Sand einen Menschen schnell zum Krüppel machen, indem er ihm innerhalb weniger Stunden das Fleisch von den Füßen brennte.
»Hier«, sagte Samos und deutete auf die Landkarte, »hier liegt das Geheimnis.«
Das Tanzmädchen wandte sich von den Tischen ab und bewegte sich im Rhythmus der Musik auf mich zu. Das Musikstück ging seinem Höhepunkt entgegen. Sie drehte sich im Kreise, bewegte lebhaft die Arme, und die Glöckchen und Ringe klimperten mit jeder Bewegung. Die Musik verstummte abrupt, und sie sank hilflos zu Boden. Sie lag vor mir. Ihre Lippen waren halb geöffnet. Ihr Körper schimmerte schweißfeucht im Fackelschein. Sie rang nach Atem; sie bot einen herrlichen Anblick.