Ich folgte Hassan, der sich nach der Sonne und den Bewegungen bestimmter Vogelarten orientierte. Natürlich hatten wir keine technischen Hilfsmittel zur Verfügung, und es gab keine gekennzeichneten Wege, ebensowenig kannten wir die genaue Lage Klimas in bezug auf den Roten Felsen und die Vier Palmen.
Wir setzten alles auf eine Karte. Wir marschierten weiter. Die Alternative zum Risiko war nicht Sicherheit, sondern nur eine Gewißheit - die Gewißheit des Todes.
Eine Folge von Hassans Plan war die Tatsache, daß wir uns südwestlich von Klima für eine Weile in das unerschlossenste Gebiet des Dünenlandes begaben, weit entfernt von allen Salzrouten. Heute ist mir klar, daß uns das Ungeheuer deswegen begleitete.
»Unser Wasser«, sagte ich zu Hassan, »reicht nur noch für vier Tage.«
»Zwei Tage halten wir es dann noch ohne Wasser aus.«
Wir hatten den Rand des Dünenlandes erreicht. Ich sah mich zwischen den schroffen Hügeln und dem kahlen Unterholz um.
»Wie weit haben wir noch?« fragte ich.
»Keine Ahnung«, erwiderte Hassan. »Vielleicht fünf Tage, vielleicht zehn.« Wir wußten nicht, an welcher Stelle wir das Dünengebiet verlassen hatten.
»Wir haben schon eine weite Strecke zurückgelegt«, sagte ich.
»Hast du den Wind bemerkt?« wollte Hassan wissen.
»Nein.«
»Aus welcher Richtung kommt er?«
»Aus Osten.«
»Wir haben Frühsommer.«
»Hat das eine Bedeutung?« fragte ich. Der Wind fühlte sich nicht viel anders an als der ständige Tahariwind nur die Richtung war neu. Am vierzehnten Tag unserer Wanderung war der Wind umgesprungen.
»Ja«, sagte Hassan. »Das hat eine Bedeutung.«
Vor zwei Ahn war der Rand der Sonne über dem Horizont erschienen und beleuchtete nun die Gipfel der letzten Dünen. Vor einer Ahn hatte Hassan gesagt: »Es wird Zeit, sich einen Schutzgraben zu bauen.« Auf Händen und Knien hockend hatten wir in dem trockenen Boden gewühlt. Der Graben war schließlich etwa vier Fuß tief und ziemlich schmal ausgefallen. Hassan und ich standen nun am Rande des Grabens und blickten nach Osten. »Ja«, sagte Hassan. »Der Wind hat eine Bedeutung.«
»Ich sehe nichts«, erwiderte ich. Sandkörner wurden mir ins Gesicht getrieben.
»Ich bin müde«, sagte Hassan. »Ich werde schlafen.«
Während Hassan schlief, blickte ich nach Osten. Dort zeigte sich nach einiger Zeit so etwas wie eine dünne Linie.
Erst als sie näher kam, begriff ich, daß es sich um eine Art Sandwoge handelte, die viele hundert Fuß hoch war und etwa hundert Pasang breit; der Himmel darüber war zuerst grau, dann schwarz wie Rauch; dann konnte ich nicht mehr hinschauen, wenn ich nicht geblendet werden wollte. Ich mußte die Augen mit den Händen abschirmen und drehte mich mit dem Rücken zu der Erscheinung; ich duckte mich in den Graben. Der Wind tobte über uns dahin. Sand rieselte zwischen meinen zusammengepreßten Händen herab; wo ich den Sand entfernte, begann meine Haut zu bluten. Ich hob den Kopf. Der Himmel war verdüstert von Sand; ganze Büsche wirbelten wie aufgescheuchte Tabuks im heulenden Wind über meinen Kopf dahin. Ich saß in dem Graben, legte den Kopf zwischen die Arme, stützte die Arme auf die Knie. Ich lauschte dem Sturm. Endlich schlief ich ein. Gegen Abend erwachten Hassan und ich. Wir tranken Wasser. Der Sturm tobte mit unverminderter Heftigkeit. Wir konnten die Sterne nicht erkennen.
»Wie lange dauert so ein Sturm?« fragte ich.
Er zuckte die Achseln, wie es in der Tahari üblich ist. »Wer kann das wissen? Er kann viele Tage dauern.«
Kurz vor dem Morgengrauen erwachte ich wieder.
Dort stand es im wirbelnden Sand, hoch aufragend. Es blickte auf uns herab.
»Hassan!« rief ich.
Er erwachte sofort. Wir rappelten uns auf; unsere Füße waren im Sand vergraben, der Sturm peitschte unsere Rücken.
Das Wesen öffnete das riesige Maul und drehte den Kopf hin und her. Es war sieben Fuß groß und stemmte sich in den Wind. Sand klebte an seinem Fell. Es sah mich an und hob einen langen Arm. Es deutete auf das Dünenland.
»Lauf!« schrie Hassan. Wir sprangen aus dem Graben, ließen uns in den Sturm rollen und kamen mühsam wieder auf die Füße. Wir duckten uns, versuchten das Gleichgewicht zu halten; der Graben erstreckte sich zwischen uns und dem stehenden Ungeheuer. Es lehnte im Wind, versuchte aber nicht näher zu kommen. Es sah mich an und deutete auf das Dünenland.
»Das Wasser«, sagte Hassan. »Das Wasser!«
Er stand über dem Graben, um mich zu decken. Ich ließ mich in die Vertiefung rutschen, wobei ich mich vorsichtig bewegte, um das Ungeheuer nicht zu provozieren. Dann hob ich die beiden Beutel hoch, Hassan nahm sie ab, und rückwärts gehend entfernten wir uns von dem Ungeheuer. Wind und Sand bestürmten uns.
Das Geschöpf rührte sich nicht, sondern starrte mich nur unverwandt an; der lange Arm deutete auf das Dünenland.
Schließlich machten Hassan und ich kehrt und stolperten los. Einmal verlor ich Hassan kurz aus den Augen und entdeckte ihn plötzlich knapp einen Meter von mir entfernt. Gemeinsam flohen wir. Das Ungeheuer verfolgte uns nicht.
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»Es ist dort«, sagte Hassan. »Aber es wäre Wahnsinn, sich dem Geschöpf zu nähern.«
»Es hätte uns im Graben töten können«, gab ich zurück. »Aber das hat es nicht getan.«
Zu unserer Überraschung hatte der Sturm nachgelassen, nach kaum einem Tag. Die Landschaft schien sich unmerklich verändert zu haben; dennoch hatten wir keine Mühe, unseren Graben wiederzufinden. Wir waren in dem Sturm nicht weit gekommen etwa einen Pasang, ehe wir von den Füßen gerissen wurden, uns am Boden hinkauerten und unsere Köpfe und das Wasser zu schützen versuchten. Mit leichter Drehung nach Norden hatte der Sturm nachgelassen so plötzlich, wie er gekommen war.
»Es wird noch andere Stürme geben«, sagte Hassan. »Wir müssen uns absetzen, ehe es noch schlimmer wird.« »Ich kehre zum Graben zurück«, sagte ich. »Ich begleite dich.«
Von einer kleinen Anhöhe aus vermochten wir die Überreste des Grabens auszumachen, der fast völlig wieder aufgefüllt war. Die Sonne stand hoch am Himmel. Neben dem Graben, halb mit Sand bedeckt, lag der Kur.
Als wir uns dem Wesen näherten, drehte es den Kopf in unsere Richtung. »Es lebt noch«, sagte Hassan.
»Es scheint geschwächt zu sein«, bemerkte ich. »Wir sind ebenfalls geschwächt. Wir haben kaum noch die Kraft, unser Wasser zu tragen.«
Wir gingen um den Kur herum, der die Augen schloß. Das lange Fell war sandverkrustet.
Ich hockte mich in seiner Nahe nieder. Das Geschöpf öffnete die Augen und sah mich an.
An der linken Vorderpfote oder Hand befand sich an einem der sechs Glieder ein schwerer Ring, der anscheinend aus Gold bestand. Ein solches Schmuckstück hatte ich bisher noch bei keinem Kur gesehen. Arm und Beinreifen waren mir schon aufgefallen, auch Ohrschmuck, doch kein Ring, der um ein einzelnes Fingerglied paßte. Kurii sind eitle Geschöpfe.
»Ich habe diesen Kur schon einmal gesehen«, sagte ich. Ich kannte das Wesen aus einem Verlies in Port Kar. Sechs Männer waren bei der Gefangennahme gestorben, ehe das Geschöpf in Samos’ Haus gebracht werden konnte. Die sandigen Augen besaßen schwarze Pupillen, die Iris wirkte hell, die ledrige Schnauze machte einen trockenen Eindruck, die Lippen waren hochgezogen, die schwarze Zunge schien geschwollen zu sein. Daß dieser Kur auf dem Weg in die Wüste gewesen war, gehörte zu dem Rätsel, welches meine Reise in die Tahari ausgelöst hatte. Was hatte er in der Tahari zu suchen?
»Er wird bald sterben«, sagte Hassan. »Laß ihn in Ruhe.«
Ich blieb neben dem Kur hocken. »Er braucht Wasser«, sagte ich.
»Geh nicht näher ran!« warnte mich Hassan.
Es gibt wohl kaum einen schrecklicheren Gegner für den Menschen als die mächtigen Kurii wenn man von anderen Menschen absieht. Die Kurii und die Priesterkönige führten einen erbarmungslosen Krieg gegeneinander; dabei ging es um zwei Welten, zwei Planeten um Gor und die Erde. Die Menschen schienen nur unbedeutende Verbündete zu sein in dieser Auseinandersetzung wem sie auch dienen mochten. Vor uns lag mein Feind, hilflos. »Töte ihn«, sagte Hassan.