Es verblüffte mich, einen Kur bei dem Schiff anzutreffen. Der Kur, mit dem ich gekommen war, hatte wohl ebenfalls nicht damit gerechnet. Die Kurii sind ebensowenig wie die Menschen bereit, Selbstmord zu begehen. Dennoch bewachte ein Kur das Schiff. Sicher war er fest entschlossen, seine Aufgabe zu erfüllen. Offensichtlich war er bereit, sein Leben zu opfern bei dem Versuch, die Anordnungen seiner Vorgesetzten durchzusetzen. Das Wesen wandte sich in meine Richtung.
Ich sah, wie es den Arm hob, und warf mich zur Seite. Ein Felsbrocken in meiner Nähe zerplatzte in zwei Teile, gleichzeitig hörte ich die Explosion der Waffe.
Den Kur schien mein Auftauchen zu verblüffen. Er hatte nicht damit gerechnet, hier einen Menschen anzutreffen. Vielleicht führte dies dazu, daß er sein Ziel verfehlte. Im nächsten Augenblick schloß sich der Sandvorhang wieder zwischen uns. Ich kroch seitlich davon. Noch zweimal sah ich die große Gestalt doch er entdeckte mich nicht. Als ich ihn das nächstemal erblickte, starrte er geduckt in meine Richtung. Ich wich zurück. Er kam näher, ohne zu schießen. Er hielt die Waffe von sich ab und versuchte im Gleichgewicht zu bleiben. Ich vermutete, daß seine Waffe nur eine begrenzte Anzahl von Schüssen hergab; es schien sich nicht um eine Strahlenpistole zu handeln, sondern um eine Patronenwaffe. Plötzlich spürte ich das Metall des Schiffes in meinem Rücken. Das Ungeheuer kam auf mich zu. Ich sah, wie es die Lefzen hob. Mit beiden Pfoten richtete es die Waffe auf mich; ich drückte den Ring, der um meinen Hals hing. Er enthielt eine Vorrichtung zur Ablenkung des Lichts, hüllte seinen Träger mit einem Feld ein. Unsere Augen nehmen Lichtquellen wahr, die von verschieden beschaffenen Oberflächen reflektiert werden. Das Feld, das mich umgab, lenkte diese Wellen ab und führte sie zu ihrem ursprünglichen Muster zurück, wodurch Dinge, die sich hinter mir befanden, sichtbar gemacht wurden. Ein solches Gerät wäre bei den Priesterkönigen ziemlich nutzlos gewesen, denn sie verlassen sich kaum auf ihre visuellen Sensoren. Bei den Kurii war ich mir über die Anwendungsmöglichkeiten noch nicht im klaren. Die Kurii sind wie die Menschen visuell orientiert, doch ihr Gehör und ihre Nase sind erheblich höher entwickelt.
Plötzlich sah ich den Kur wie durch ein rotes Licht. Er fuhr zusammen, als er mich nicht mehr sehen konnte, und zögerte einen Sekundenbruchteil.
Ich sprang zur Seite. Das Geschoß traf die Schiffswand, in der plötzlich ein Loch gähnte; einige Tropfen geschmolzenes Metall liefen an der Außenwand herab.
Ich wußte nicht, wie viele Schüsse die Waffe des Kur enthielt. Außerdem war ich unbewaffnet. Das Heulen des Sturms verdeckte die Geräusche meiner Bewegungen; die heftigen Windstöße mußten meine Witterung zerfetzen, so daß der Kur sicher nur bruchstückhafte Eindrücke erhielt. Er konnte mich jedenfalls im Augenblick nicht aufspüren. Ich sah ihn ein gutes Stück von mir entfernt; mit erhobener Waffe drehte er sich im Kreis.
Mir war unerklärlich, warum der Kur, mit dem ich die lange Wanderung unternommen hatte, viermal getroffen worden war noch dazu direkt von vorn. Vielleicht hatte er in einer Eingangsöffnung, beispielsweise in einer Tür des Raumschiffs, gestanden und war von dem anderen Kur überrascht worden. Der Kur mit der Waffe war anschließend ins Freie gekommen, um den anderen vollends den Garaus zu machen.
Er hatte nicht damit gerechnet, daß noch ein Verbündeter, ein Mensch, auftauchen würde.
Ich sah, wie das Wesen die Jagd nach mir aufgab und sich wieder dem Schiff zuwandte. Auf diese Weise zeigte es mir den Eingang zu dem Stahlturm. Mit kratzenden Klauen kletterte es zu der Öffnung hoch und hockte sich hinein. Es schien sich um den Außendurchgang einer Schleuse gehandelt zu haben; die Öffnung war rechteckig; das äußere Luk fehlte; seitlich hing ein Brocken verbogenes Metall, als habe man dort die Tür aus den rostigen Angeln gerissen. Das Ungeheuer hockte in der Schleuse und starrte in das Unwetter hinaus. Im nächsten Augenblick verschwand es im Innern.
Daraufhin begab ich mich zu den Steinen und den Planen und tastete mich herum. Ich fand eine der menschlichen Leichen und schleppte sie zur Flanke des Schiffes. Dort waren einige Risse, groß genug, um einem Menschen Zugang zu gewähren. Ich sorgte dafür, daß der Kur im Innern mitbekam, daß jemand sich an der Flanke des Schiffes zu schaffen machte.
Der Kur war sicherlich ein erfahrener Kämpfer. Es konnte kein Zufall sein, daß gerade dieser Kur und kein anderer die Aufgabe übertragen bekommen hatte: die Bombe zu beschützen, die einen ganzen Planeten vernichten sollte.
Das Wesen stand sicher unter großer innerer Anspannung. Und in dem Unwetter vermochte es sich außerhalb des Schiffs kaum zu orientieren. Es nahm vermutlich an, daß ich die Unsichtbarkeit des Ringes nicht aufgeben würde. Eine Ablenkung zu schaffen war bestimmt sinnlos; was konnte den Kur aus seiner Stellung locken? Wenn das Blut der Toten nicht ausgereicht hatte, ihn seine Pflichten vergessen zu machen, hatte ich keine Chance, ein besseres Mittel zu finden. Er hatte der Versuchung des Bluts widerstanden; in Anbetracht seiner Instinkte mußte dieser Kur wirklich ungeheure Willenskräfte besitzen. Er mochte annehmen, daß ich ihm ein falsches Ziel bieten würde, um mich heimlich ins Schiff zu schleichen. Dafür kam eigentlich nur einer der toten Menschen in Frage, Opfer des Kur, mit dem ich durch die Wüste gewandert war. Ich gab mir keine Mühe, leise aufzutreten. Der Kur sollte ruhig wissen, daß ich mich vor der Schleuse befand, daß ich die Flanke des Schiffes erklommen und dabei eine schwere Last befördert hatte, vermutlich einen Toten.
Logisch wäre nun gewesen, den Toten in die Öffnung zu schieben und zu hoffen, daß der Kur darauf schoß. In dem folgenden Durcheinander konnte ich vielleicht unbemerkt ins Schiff gelangen. Doch ich verzichtete auf diesen Plan. Drinnen lauerte ein Kur. Ich nahm nicht an, daß er ein Dummkopf war.
Auf eine Täuschung wollte ich dennoch nicht ganz verzichten. Nur wollte ich mich selbst als Ziel anbieten, weiter nichts. Der Kur rechnete bestimmt nicht damit, daß ich den Schutzschild der Unsichtbarkeit aufgab und mich seiner Waffe direkt aussetzte.
Ich klammerte mich seitlich vom Eingang fest. Den Toten legte ich neben mir zurecht, damit er nicht abrutschen konnte.
Gemächlich zählte ich fünftausend Ihn ab, damit der Kur auch wirklich angespannt war, damit er ungeheuer schnell reagieren konnte, damit sich jede Faser seines Körpers danach sehnte, bei der geringsten Bewegung den Abzug zu betätigen.
Der Wind heulte, der Sand tobte um das Schiff. Ich drückte den Knopf des Ringes auf meiner Brust. Ich begann zu schwitzen.
Schlaff, als hätte ich einen Stoß von hinten bekommen, ließ ich mich in die Öffnung taumeln und stürzte nach vorn. Kaum war ich in die Schleuse gefallen, als ich auch schon die mächtige Detonation der Waffe über mir hörte; fünf Schüsse wurden abgegeben; unmittelbar darauf sprang der Kur aus seinem Versteck in einem Gewirr von Röhren und hastete an mir vorbei, wobei er mich mit einem Fuß an der Schulter traf. Der Kur starrte in den Sturm hinaus und sah unten auf dem Boden den Toten liegen, der bei meinem Vorspringen abgerutscht war. Im ersten Augenblick schien der Kur verwirrt zu sein; noch zweimal feuerte er auf die Leiche, dann verließ er die Öffnung und glitt an der Außenwandung in die Tiefe.
Sofort setzte ich mich in Bewegung. Ich stieg durch das Innenluk, das offenstand. Draußen stimmte der Kur ein Wutgeheul an. Ich versuchte das Luk zu schließen, doch die Tür war verkantet und ließ sich nicht sichern. Vielleicht war das ganze Schiff bei dem Absturz verbogen worden. Ich hörte die Klauen des Kur auf dem Stahl der Außenhaut und griff nach dem Ring auf meiner Brust. Er war verschwunden! Der brüchige Lederriemen war gerissen! Ich hörte das Schnappen der Handwaffe und blickte auf. Die Waffe war kaum fünfzig Zentimeter von meinem Kopf entfernt.
Wieder klickte es. Ich ließ mich in die Dunkelheit des Schiffes fallen. Das Innere war leer. Ich glitt etwa vierzig oder fünfzig Fuß in die Tiefe, und wurde schließlich von einer Trennwand aufgehalten. Ich hob den Kopf. Plötzlich war das Schiffsinnere hell erleuchtet. In dem Zylinder über mir, in der Schleusenöffnung, stand der Kur. Mit gefletschten Zähnen blickte er auf mich hinab. Er hatte die Waffe fortgeworfen. Verzweifelt sah ich mich um. Das Innere des Schiffes wirkte seltsam verschoben. Außerdem sah der Raum nicht so kompakt aus, wie ich erwartet hatte; er war gar nicht angefüllt mit Apparaten und Kontrolltafeln. Offenbar waren hier schon so manche Dinge entfernt worden.