WOLFGANG HOHLBEIN
KAPITÄN NEMOS KINDER
DIE STEINERNE PEST
UEBERREUTER
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme
Hohlbein, Wolfgang: Kapitän Nemos Kinder / Wolfgang Hohlbein. - Wien: Ueberreuter Die steinerne Pest. - 1996 ISBN 3-8000-2444-6
J 2246/1 Alle Rechte vorbehalten Umschlagillustration von Doris Eisenburger Copyright © 1996 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien Printed in Germany 1357642
Autor:
Wolfgang Hohlbein, geboren in Weimar, lebt heute mit seiner Familie in der Nähe von Düsseldorf. Für sein Erstlingswerk »Märchenmond«, ein phantastischer Roman, den er gemeinsam mit seiner Frau Heike schrieb, erhielt er 1982 den ersten Preis des vom Verlag Ueberreuter veranstalteten Wettbewerbs zum Thema Science Fiction und Phantasie. Außerdem erhielt dieser Titel 1983 den »Phantasie-Preis der Stadt Wetzlar« und den »Preis der Leseratten«.
In der Reihe »Kapitän Nemos Kinder« bisher erschienen: Die Vergessene Insel Das Mädchen von Atlantis Die Herren der Tiefe Im Tal der Giganten Das Meeresfeuer Die Schwarze Bruderschaft
Die steinerne Pest
Die Grauen Wächter Weitere Bände in Vorbereitung.
Klappentext:
Bei der Suche nach einem Raumschiff, das ins Meer gestürzt ist, machen Mike und seine Freunde eine schreckliche Entdeckung: Auf dem Meeresboden finden sie versteinerte Fische und schließlich sogar ein versteinertes Schiff. Auch die Menschen an Bord sind zu Stein geworden. Was ist geschehen? Aus dem Logbuch erfahren sie, daß der Zusammenstoß des Frachters mit dem geheimnisvollen Raumschiff die Katastrophe ausgelöst hat. Kapitän Trautman ist besorgt. Denn alles spricht dafür, daß das Raumschiff Kurs auf die karibischen Inseln genommen hat. Trautman und Mike bringen die NAUTILUS, ihr Unterseeboot, auf Höchstgeschwindigkeit, um die Menschen in der Karibik zu warnen. Doch das Raumschiff hat bereits auf einer der Inseln angelegt, und die Insassen sind von Bord gegangen. Wie können Mike und seine Freunde verhindern, daß auch hier jeder Mensch und jedes Tier, das mit dem Raumschiff oder den Wesen aus einer anderen Galaxis in Berührung kommt, zu Stein erstarrt?
»Es ist weg.« Juans bleiches
Gesicht war schweißüberströmt, und seine Hände zitterten. Er war viel länger draußen geblieben, als sie vereinbart hatten. Die Taucheranzüge ermöglichten es ihnen zwar, sich selbst in dieser extremen Tiefe sicher auf dem Meeresgrund zu bewegen, aber sie waren auch sehr schwer. Jeder Schritt darin stellte eine große Anstrengung dar, und die Gefahr, seine eigenen Kräfte zu überschätzen, war groß.
So, wie Juan aussah, hatte er seine Kräfte überschätzt. Statt der vorgesehenen Stunde war er fast zwei draußen geblieben. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Ben und Singh mußten ihm helfen, sich aus dem klobigen Taucheranzug zu schälen. »Bist du ganz sicher?« fragte Ben, während er ächzend die schweren Sauerstoffflaschen von Juans Rücken wuchtete. »Ich meine, immerhin ist es ziemlich dunkel da draußen. Man kann nur ein paar Meter weit sehen. «
In Juans Augen blitzte es zornig auf, und Mike hob rasch die Hand und machte eine besänftigende Bewegung. »Hört auf«, sagte er. »Es nutzt niemandem, wenn wir uns gegenseitig an die Kehle gehen. Ich schlage vor, wir machen jetzt alle eine kleine Pause, um uns auszuruhen. «
»Ein sehr vernünftiger Vorschlag«, sagte Singh. »Wir sollten uns in einer Stunde im Salon treffen. Und so lange vielleicht besser still sein«, fügte er mit einem bezeichnenden Blick auf Ben hinzu. Ben blinzelte überrascht. Singh sprach im allgemeinen sehr wenig, und er mischte sich schon gar nicht in die Unterhaltungen anderer ein. Daß er es jetzt doch tat, verlieh seinen Worten ein ganz besonderes Gewicht. Mike warf dem Sikh einen dankbaren Blick zu, dann wandte er sich um und verließ die Tauchkammer. Er zog dabei instinktiv den Kopf ein, um sich nicht an dem niedrigen Türrahmen zu stoßen; eine Bewegung, die ihm schon so in Fleisch und Blut übergegangen war, daß er sie gar nicht mehr bewußt registrierte. Nicht nur die Tür der Tauchkammer war sehr niedrig. So gewaltig die NAUTILUS in ihren Abmessungen auch war, an Bord herrschte doch eine fast drückende Enge. Aber daran dachte Mike im Moment wirklich nicht. Seine Gedanken kreisten ununterbrochen um den Grund, aus dem sie sich hier befanden, und damit auch um den Grund für die gereizte Stimmung, die seit zwei Tagen an Bord des Unterseebootes herrschte. Es half nicht mehr, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen: Sie hatten diese Fahrt umsonst gemacht. Die NAUTILUS war zum Wrack der TITANIC zurückgekehrt, aber das, was sie gesucht hatten, war nicht mehr da.
Er ging die kurze metallene Wendeltreppe zum nächsten Deck hinauf und wollte sich nach links wenden, zum Bug des Schiffes hin, wo seine und die Kabinen der anderen lagen, drehte sich dann aber statt dessen in die entgegengesetzte Richtung und betrat nach wenigen Schritten den Salon des Unterseebootes, der ihren gemeinsamen Aufenthaltsraum, die Bibliothek des Schiffes, aber auch so etwas wie sein Gehirn darstellte: Auf einem kleinen Podest im hinteren Teil des Raumes befand sich eine ganze Ansammlung komplizierter technischer Apparate und Gerätschaften. Mike wußte von den allerwenigsten, wie sie funktionierten, aber sie hatten in den gut drei Jahren, die sie sich nun an Bord der NAUTILUS aufhielten, zumindest gelernt, die wichtigsten davon zu bedienen. Sicherlich nicht perfekt, aber doch hinlänglich genug, um das Schiff zu steuern und damit in Bereiche des Ozeans vorzustoßen, die noch kein Mensch vor ihnen gesehen hatte. In diesen Jahren war sehr viel geschehen. Sie hatten nicht nur die NAUTILUS gefunden und gelernt, damit umzugehen, Mike hatte auch erfahren, wer er wirklich war, nämlich niemand anderer als der Sohn des berühmten Kapitän Nemo und somit der legitime Erbe nicht nur eines gewaltigen Vermögens, sondern auch dieses Schiffes, das von den meisten Menschen nur für eine Legende gehalten wurde. Er und die anderen, die damals dabeigewesen waren, führten seither ein vollkommen neues, aufregendes Leben, ein Leben voller Abenteuer und Gefahren, voller bizarrer Entdeckungen und phantastischer Reisen, wie es sich jeder Junge seines Alters wahrscheinlich erträumt hätte. Und trotzdem hatte er manchmal das Gefühl, daß in diesem Leben etwas fehlte. Er hatte zum Beispiel niemals wirklich seine Eltern kennengelernt. Und es gab Tage, da wünschte er sich fast, ein ganz normales Leben zu führen: zur Schule zu gehen, eine Familie zu haben, Freunde und ein richtiges Zuhause, kein Unterseeboot, das ruhelos über die Weltmeere fuhr und nirgendwo länger als einige Tage vor Anker ging. Diese Gedanken kamen ihm in letzter Zeit öfter. Meistens verscheuchte er sie, denn sie erschreckten ihn. Vielleicht wurde er aber allmählich erwachsen. Und vielleicht begann er auch zu begreifen, warum ihm sein Vater niemals erzählt hatte, wer er wirklich war. Wahrscheinlich weil er dir sein eigenes Schicksal ersparen wollte, wisperte eine Stimme in seinen Gedanken. Mike drehte sich herum und blickte auf Astaroth herab, den einäugigen schwarzen Kater, der vielleicht sein bester Freund hier an Bord war; zumindest der einzige, der nicht nur mit ihm reden, sondern tatsächlich seine Gedanken lesen konnte.
»Hatte er recht damit?« fragte Mike. Woher soll ich das wissen? Astaroth versuchte, ein menschliches Schulterzucken zu imitieren, was bei ihm allerdings einigermaßen komisch aussah. Ich weiß nur, daß jeder Mensch selbst für sein Schicksal verantwortlich ist. Dieses Schiff hat einst deinem Vater gehört, und nun gehört es dir. Das heißt nicht, daß du so werden mußt wie er. »Ein Pirat, meinst du?«