Trautman räusperte sich. »Was... was ist denn noch?« fragte er. Der Moment war für sie beide sehr unangenehm. Mike wäre am liebsten davongerannt, aber er war schon viel zu weit gegangen, um noch einen Rückzieher machen zu können, und er spürte auch, daß er kein zweites Mal den Mut haben würde, Trautman auf das anzusprechen, was ihn schon seit dem vergangenen Abend quälte.
»Sie verschweigen uns etwas«, sagte er. Der Blick, mit dem Trautman ihn maß, was fast schon Antwort genug. Trotzdem schüttelte Trautman den
Kopf und versuchte zu lächeln. »Wie kommst du auf diese Idee?« fragte er.
»Ich weiß es«, behauptete Mike. »Sie sind kein besonders guter Lügner. «
Trautman preßte die Lippen zusammen. Wieder huschte ein Ausdruck von Zorn über sein Gesicht, und Mike spürte ganz genau, wie schwer es ihm fiel, sich zu beherrschen. Doch dann schüttelte er nur den Kopf. »Du täuschst dich«, sagte er. »Was sollte ich euch verschweigen? Wir haben keine Geheimnisse voreinander. «
»Das war vielleicht bis jetzt so«, antwortete Mike. »Aber irgend etwas stimmt hier doch nicht. «
»Unsinn«, sagte Trautman. »Was soll hier nicht stimmen? Und mit wem?«
»Mit uns allen«, erwiderte Mike. »Mit dem Schiff, mit mir, mit den anderen, mit Ihnen... Was ist es?« »Selbst wenn du recht hättest -was du nicht hast -, woher sollte ich es wissen?«
Mike machte eine ärgerliche Handbewegung. »Das weiß ich nicht. Aber ich spüre genau, daß Sie uns etwas verheimlichen. Sie haben Angst. Und ich bin ziemlich sicher, nicht vor diesen Kriegsschiffen dort draußen. « Trautman antwortete nicht gleich. Er sah ihn mit einer Mischung aus Schrecken und Trauer an, und Mike war mit einem Mal ganz sicher, daß er ihm nun die Wahrheit sagen würde. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte er es auch getan, doch genau in diesem Moment polterten unter ihnen Schritte die metallenen Stufen herauf, und Ben und Juan erschienen hintereinander auf der Treppe.
Mike hätte vor Enttäuschung am liebsten laut aufgeschrien. Trautman wirkte regelrecht erleichtert, und Mike wußte, daß er ihm seine Frage nun nicht mehr beantworten würde. Der Augenblick der Schwäche war vorbei und würde auch nicht wiederkommen.
»Was ist los?« fragte Ben aufgeregt. »Was habt ihr entdeckt?«
Trautman drehte sich vollends zu ihm und Juan herum und machte eine abwehrende Bewegung, die die beiden daran hinderte, die Treppe ganz hinaufzukommen und sich auch noch in die kleine Turmkammer zu quetschen. »Schlechte Neuigkeiten«, sagte er. »Aber geht wieder hinunter in den Salon. Dort erkläre ich euch alles. « Mit einem verlegen wirkenden Lächeln fügte er hinzu: »Ich habe keine Lust, alles mehrmals zu erzählen. «
»Das sind wirklich schlechte Neuigkeiten«, sagte Ben zehn Minuten später, nachdem sie sich alle im Salon zusammengefunden und Trautman berichtet hatte, was es oben zu sehen gab. »Ich verstehe nicht, wo diese Schiffe herkommen. Europa ist Tausende von Meilen entfernt. Sie würden Wochen brauchen, um diesen Weg zurückzulegen. « »Es spielt überhaupt keine Rolle, wo sie hergekommen sind«, sagte Juan. »Sie sind nun einmal hier, und wir müssen sehen, wie wir mit ihnen fertig werden. « »Es spielt sehr wohl eine Rolle«, antwortete Ben scharf. »Das da oben sind deutsche Kriegsschiffe, und wir befinden uns nahezu am anderen Ende der Welt. Niemand kann mir erzählen, daß sie zufällig hier sind. Und ganz bestimmt hat sie kein Funkspruch hergelockt. Nicht in zwei Tagen. «
Juan setzte zu einer wütenden Antwort an, aber Trautman brachte die beiden Kampfhähne mit einer energischen Bewegung zum Verstummen. »Genug«, sagte er. »Keinen Streit. Ich fürchte, ihr habt beide recht. « »Beide?« Serena schüttelte verwirrt den Kopf. »Was meinen Sie damit?« »Daß ich derselben Meinung bin wie Ben«, antwortete
Trautman mit einem leichten Seufzen. »Auch ich glaube nicht, daß diese Schiffe zufällig hier sind. Aber auch Juan hat recht: Ob Zufall oder nicht, sie sind nun einmal hier, und wir müssen sehen, wie wir mit ihnen fertig werden. «
Serena riß die Augen auf. »Fertig werden? Aber es sind Kriegsschiffe!. Sie sind schwer bewaffnet, und wenn sie tatsächlich wissen, was auf dieser Insel ist -« »-dann werden sie zweifellos auf alles schießen, was sie sehen«, führte Ben den Satz zu Ende. »Und einem ausgewachsenen Schlachtkreuzer sind wir bestimmt nicht gewachsen. «
»Niemand hat davon gesprochen, die Schiffe anzugreifen«, sagte Mike.
Ben maß ihn mit einem fast abfälligen Blick. »Natürlich nicht«, sagte er höhnisch. »Wir werden uns ganz höflich vorstellen und sie um Erlaubnis bitten, uns ihren Fund einmal aus der Nähe betrachten zu dürfen. Sicher werden sie es uns erlauben. « Er tippte sich wütend mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. »Du spinnst ja. «
Serena wollte auffahren, aber wieder sorgte Trautman sofort für Ruhe. »Bitte, keinen Streit jetzt«, sagte er. »Das können wir uns wahrlich nicht erlauben. Wir haben genug andere Probleme. «
»Was denn für Probleme?« fragte Serena. »Wir können gar nichts mehr tun. Diese Kriegsschiffe werden auf uns schießen! Nicht einmal die NAUTILUS ist ihnen gewachsen. «
»Natürlich nicht«, antwortete Trautman. »Aber ich habe auch nicht vor, mich auf einen Kampf mit ihnen einzulassen. « Seine Stimme wurde etwas sanfter. »Du hast es nicht gesehen, aber Mike kann es dir bestätigen: Sie sind dabei, das Sternenschiff zu untersuchen. Ich fürchte sogar, einige von ihnen haben es betreten. Du weißt, was mit jedem geschieht, der dieses Schiff auch nur berührt. «
Serena schwieg einen Moment. Ihr Blick suchte den Mikes, und für einen Moment war etwas fast Verzweifeltes darin, ein Flehen um Beistand, das er nicht begriff. »Ich weiß«, sagte sie schließlich. »Aber auch daran können wir nichts ändern. Außerdem... erzählt ihr mir nicht seit zwei Jahren, daß die Deutschen unsere Feinde sind und die ganze Welt in den Krieg und ins Verderben stürzen wollen?«
Mike war regelrecht schockiert, und auch die anderen starrten Serena erschrocken an. Natürlich war das, was Serena sagte, zumindest zum Teil, die Wahrheit. Gerade sie war es ja gewesen, die immer wieder erklärt hatte, wie schrecklich und sinnlos Krieg war und wie wenig Recht sie hatten, über andere zu urteilen. Selbst aus Bens Mund hätten diese Worte Mike empört -aus dem Serenas entsetzten sie ihn regelrecht. Trautman mußte es wohl ganz ähnlich ergehen, denn wie sie alle schwieg er endlose Sekunden lang, und als er weitersprach, war seine Stimme hörbar kälter und befehlend: »Selbst wenn es so wäre«, sagte er, »ändert das nichts an den Tatsachen. Dieses Sternenschiff stellt eine ungeheure Gefahr dar, die wir nicht ignorieren dürfen und die weder in die Hände des Deutschen Kaiserreiches noch irgendeiner anderen Nation auf dieser Welt fallen darf. Ich halte es für unwahrscheinlich, aber immerhin möglich, daß sie der Gefahr irgendwie Herr werden und dieses Schiff fortbringen. Das darf nicht geschehen. Wir müssen es zerstören. « »Aber wie denn?« fragte Serena. »Wir kommen ja nicht einmal an die Insel heran!«