Das war er nicht, antwortete Astaroths lautlose Gedankenstimme.
»Woher willst du das wissen?« fragte Mike. »Du hast ihn ja nicht einmal gekannt. «
Das muß ich auch nicht, sagte Astaroth. Ich habe eine Menge über ihn gehört. Und ich kenne dich. Ich glaube, daß ihr euch sehr ähnlich seid. Er lachte; etwas, zu dem er in seiner Katzengestalt nicht in der Lage war, in Gedanken aber sehr wohl. Als ich dich und die anderen kennengelernt habe, da hattet ihr doch auch noch andere Pläne, oder? Wolltet ihr dieses Schiff nicht benutzen, um den Krieg zu beenden und die Menschen dazu zu zwingen, endlich Vernunft anzunehmen? Mike blickte den Kater nur an. Astaroths Worte entsprachen nicht hundertprozentig der Wahrheit, aber sie kamen ihr ziemlich nahe. Schließlich sagte er: »Ja. Aber das war eine recht kindische Vorstellung. Wir können diesen Krieg nicht beenden. « Da bin ich nicht einmal sicher, antwortete Astaroth. Ihr wißt noch lange nicht, wozu die NAUTILUS tatsächlich imstande ist. Vielleicht könntet ihr all diese Verrückten dort oben tatsächlich zwingen, diesen wahnsinnigen Krieg zu beenden. Aber es würde nichts nutzen. Du kannst niemanden dazu bringen, Vernunft anzunehmen, wenn er nicht vernünftig ist. Ich glaube, das ist der große Unterschied zwischen dir und deinem Vater. »Du meinst, daß er nie aufgehört hat, an das Gute im Menschen zu glauben, aber ich schon?« fragte Mike bitter.
Ich habe das alles schon einmal erlebt, weißt du? sagte Astaroth. Dein Volk wäre nicht das erste, das an seiner eigenen Unvernunft zugrunde gegangen wäre. »Unsinn!« widersprach Mike heftig. »Wir sind nicht wie die Atlanter!«
»Und das werdet ihr auch nie werden«, sagte eine Stimme von der Tür her. Mike fuhr zusammen, drehte sich herum und blickte in Serenas Gesicht. Die Atlanterin lächelte spöttisch. »Störe ich euch bei etwas Wichtigem, oder führt ihr nur ein tiefschürfendes philosophisches Gespräch über den Sinn des Lebens?«»Wir reden nur über alte Zeiten«, antwortete Mike ausweichend. »Über die Vergangenheit. « »Na, dann komme ich ja im richtigen Moment«, sagte Serena. »Ganz genau darüber wollte ich nämlich mit dir reden. « Sie ging zu dem riesigen, runden Fenster in der Wand des Salons, blieb davor stehen und drückte einen Knopf in seinem Rahmen. Ein halblautes Summen erklang, als die Irisblende vor dem zentimeterdicken Panzerglas auseinanderglitt, so daß Serenas Blick nun ungehindert auf den Meeresgrund vor der NAUTILUS hinausfiel.
Ein Schimmer von Licht kam von draußen herein, brach sich auf ihrem Haar und ließ es wie flüssiges Gold aufleuchten. Normalerweise herrschte in dieser Wassertiefe vollkommene Finsternis, aber sie hatten die NAUTILUS nur wenige Dutzend Meter neben dem Wrack der TITANIC auf Grund gesetzt, und das Licht der gewaltigen Scheinwerfer brach sich am Rumpf des gesunkenen Ozeanriesen, der wie ein Gebirge aus rostigem Stahl über ihnen emporragte. Neben der TITANIC wirkte selbst die NAUTILUSwinzig. »Über die Vergangenheit?« fragte Mike. Serena wandte den Blick nicht vom Fenster, während sie antwortete. »Ich habe nachgedacht«, sagte sie, »und mir ist etwas eingefallen... « Sie zögerte einen Moment. »Ich habe bisher nichts gesagt, weil es mir nicht wichtig erschien«, fuhr sie schließlich fort. »Es ist nur eine alte Legende, weißt du? So etwas wie eure... Märchen. Aber sie hat damit zu tun. « Sie deutete nach draußen. »Mit der TITANIC?« fragte Mike lachend. Serena blieb vollkommen ernst. »Mit dem, was sie getroffen hat«, sagte sie. »Es ist nur eine Legende, Mike, aber es heißt, daß unser Volk vor langer, langer Zeit schon einmal auf Wesen wie diese gestoßen ist. Wesen, die in großen, silbernen Scheiben von den Sternen herabgekommen sein sollen und die über unvorstellbare Macht verfügten. « »Und?« fragte Mike.
»Erinnert dich die Beschreibung nicht an etwas?« gab Serena zurück.
Mike seufzte. Die Beschreibung paßte haargenau auf das, was sie bei ihrem ersten Besuch hier unten gefunden hatten: der Grund, aus dem die TITANIC wirklich gesunken war. Die offizielle Version war, daß der Ozeanriese mit einem schwimmenden Eisberg kollidiert und mit Mann und Maus untergegangen war, aber die Wahrheit war viel phantastischer. Mike hatte die gewaltige fliegende Untertasse, die sich wie ein Geschoß in den Rumpf der TITANIC gebohrt hatte, mit eigenen Augen gesehen. Nachdem sie die Mitglieder der Schwarzen Bruderschaft aus dem Rumpf der TITANIC geborgen und zu dem geheimnisvollen Sternentor unter der Cheopspyramide gebracht hatten, von wo aus sie zu ihrem Heimatplaneten zurücktransportiert wurden, waren sie schließlich hierher zurückgekehrt, um zu sehen, was von dem Raumschiff übriggeblieben war. Aber es mußte gigantischer sein, als sie alle geglaubt hatten, denn es war durch die Explosion, die es vernichten sollte, weder in Stücke gerissen noch beschädigt worden. Es befand sich nach wie vor an seinem Platz, eingekeilt in die TITANIC. Sie hatten beschlossen, es sich am nächsten Tag noch einmal genau anzusehen. Doch Juan, der als erster zu dieser Expedition aufgebrochen war, hatte die bestürzende Nachricht gebracht, daß die Flugscheibe über Nacht verschwunden war.
»Und was sagt die Legende noch über dieses Volk von den Sternen?« fragte er.
Serena drehte sich wieder zum Fenster, um zum Wrack der TITANIC hinauszusehen. Ihre Stimme sank fast zu einem Flüstern herab, als sie antwortete: »Nicht sehr viel. Nur, daß die Begegnung mit ihnen tödlich ist. «
Im Verlauf der nächsten halben Stunde fand sich nach und nach die gesamte Besatzung der NAUTILUS im Salon des Schiffes ein: Juan, Ben, Chris, Singh und schließlich auch Trautman, der mit seinem weißen Haar und dem sorgsam gestutzten Seemannsbart durchaus als ihrer aller Großvater hätte gelten können -und diese Rolle bei ihren diversen Ausflügen an Land schon das eine oder andere Mal erfolgreich gespielt hatte.
In Wirklichkeit war er jedoch weit mehr. Für Mike -und alle anderen mittlerweile ebenso, auch wenn sie es nicht alle zugaben - war er väterlicher Freund, Lehrmeister und Beschützer in einem; und manchmal übernahm er auch die Rolle des Beichtvaters. Selbst Serena, die normalerweise keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließ, um zu betonen, daß dieses Schiff von Rechts wegen eigentlich ihr gehörte (denn die NAUTILUS stammte aus dem untergegangenen Atlantis, und sie war die letzte lebende Atlanterin; und nicht nur das: sie war die Prinzessin von Atlantis, denn ihr Vater war der letzte König dieses untergegangenen Reiches gewesen), selbst sie erkannte Trautmans Autorität an. Wenn die NAUTILUS so etwas wie einen Kommandanten gehabt hätte, so hätte er zweifellos Trautman geheißen. So war es auch kein Wunder, daß -nachdem sie alle beisammen waren und Serena ihre Geschichte erzählt hatte -alle Trautman ansahen und ganz offensichtlich darauf warteten, daß er eine Entscheidung fällte. Und ebenso offensichtlich fühlte er sich in dieser Rolle nicht sonderlich wohl.
Aber nicht er brach das Schweigen, das sich nach Serenas Geschichte im Salon ausgebreitet hatte, sondern Ben. »Aber das ist doch alles Blödsinn«, sagte er. »Nur ein altes Märchen. Ich sehe keinen Grund, deshalb gleich in Panik auszubrechen. «
Niemand antwortete, aber Serena schenkte ihm einen so zornigen Blick, daß Ben sich nach einigen Sekunden genötigt fühlte, hinzuzufügen: »Ich meine, wir sind ihnen schließlich auch begegnet, und wir leben noch, oder?«
»Waren sie es wirklich?« fragte Chris. Ben blinzelte verwirrt. »Was soll die dumme Frage? Hasim und -«
»Chris hat ganz recht«, unterbrach ihn Trautman in nachdenklichem Ton. »Wir haben Hasim und seinem Bruder geholfen, die Särge aus den Laderäumen der TI-TANIC zu bergen. Aber wir wissen nicht sicher, ob es dieselben Wesen waren. «