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Mike blieb mit klopfendem Herzen in seinem Versteck zurück und wartete darauf, daß Singh wieder auftauchte. Natürlich wußte er, daß es unter Umständen lange dauern konnte. Singh würde sich umsehen, und er konnte schließlich nicht einfach irgendwann kehrtmachen und gemächlich in den Wald zurückmarschieren -das wäre aufgefallen, denn keiner der Fremden hatte sich dem Dschungel bisher auch nur genähert. Vermutlich, dachte Mike, wird Singh letzten Endes gar keine andere Wahl haben, als dieses Risiko einzugehen, und Mike tat wahrscheinlich gut daran, sich auf einen ziemlich überhasteten Rückzug vorzubereiten. Er löste seinen Blick für einen Moment vom Strand und sah den Wald in seinem Rücken an. Und plötzlich hatte er, genau wie vorhin auf der anderen Seite der Insel, das intensive Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Er sah nicht die geringste Bewegung, keinen Schatten, aber das Gefühl, angestarrt zu werden, war plötzlich so mächtig, daß er es fast wie eine körperliche Berührung empfand. Mike versuchte sich einzureden, daß es nur Einbildung war; eine Folge seiner eigenen Nervosität. Niemand war hier, der ihn beobachtete. Er mußte sich nur in Geduld fassen, bis Singh zurückkam. Die Zeit verging. Minute reihte sich an Minute, aber der Inder tauchte nicht wieder auf. Mike überlegte verzweifelt, was er nun tun sollte. Eigentlich war es klar: Sie hatten oft genug über Situationen wie diese gesprochen, und Trautman und auch Singh hatten ihnen immer wieder eingehämmert, daß niemandem damit gedient war, wenn einer von ihnen den Helden spielte. Das vernünftigste in dieser Situation wäre, zurück zur NAUTILUS zu gehen und gemeinsam mit Trautman und den anderen zu beraten, wie sie Singh am besten helfen konnten. Aber auch das war eine Eigenart von Situationen wie dieser: daß man selten das Vernünftigste tat. Mike mußte nicht lange überlegen, bis er wußte, was er zu tun hatte. Er würde Singh auf gar keinen Fall im Stich lassen, sondern entweder zusammen mit ihm oder gar nicht zurückkehren.

Aufmerksam beobachtete er den Strand und die riesige silberfarbene Scheibe, bis er glaubte, einen günstigen Moment abgepaßt zu haben, in dem keiner der Fremden in seine Richtung blickte. Rasch richtete er sich auf, trat aus dem Wald hervor und rannte geduckt auf das fremde Schiff zu.

Unbehelligt erreichte er die Scheibe und ließ sich unmittelbar vor dem niedrigen Zaun auf die Knie fallen. Für den Moment war er in Sicherheit. Die Rundung des gewaltigen Flugobjekts bildete einen zuverlässigen

Schutz, so daß ihn zumindest im Augenblick niemand sehen würde.

Mikes Herz klopfte bis zum Hals. Erfüllt von einem Gefühl banger Furcht, sah er sich noch einmal um und betrachtete dann das fremde Schiff aufmerksam aus unmittelbarer Nähe. Er war ihm noch nie so nahe gewesen wie jetzt, und ihm war noch nie zu Bewußtsein gekommen, wie... seltsam es war. Als er es das erste Mal gesehen hatte, damals, Tausende von Metern unter der Wasseroberfläche und wie ein vielzu groß geratener Bumerang in das Wrack der TITANIC verkeilt, war er starr vor Überraschung gewesen, daß er gar nicht richtig denken konnte.

Jetzt, als er unmittelbar vor ihm kniete, kam es ihm noch viel gewaltiger vor, aber er spürte auch, daß es weit mehr war als nur ein Fahrzeug. Mehr als eine Maschine. Irgend etwas ging von ihm aus, das er nicht in Worte fassen konnte: nicht einmal so sehr Gefahr oder Bedrohung, sondern vielmehr ein Gefühl von Fremdartigkeit. Es war etwas, was nicht von hier kam und vor allem nicht hierher gehörte. Da er, wie alle anderen, mit eigenen Augen erblickt hatte, welche Verheerung dieses gar nicht so gefährlich aussehende Fahrzeug anzurichten imstande war, empfand er natürlich Furcht davor, und er würde sich hüten, es zu berühren, ganz egal, was geschah. Aber viel stärker als diese erklärbare Angst war das andere Gefühl, das er hatte: das Gefühl, etwas vollkommen Fremdem gegenüberzustehen, dessen wahre Bedeutung er niemals wirklich begreifen konnte. Erst jetzt wurde ihm wirklich klar, was Serena gemeint hatte, als sie ihnen erzählte, daß alle Versuche ihres Volkes, mit den Erbauern dieser Schiffe Kontakt aufzunehmen, gescheitert waren oder in einer Katastrophe geendet hatten. Vielleicht waren sie gar nicht feindselig, vielleicht war es einfach nicht möglich, mit ihnen zu reden oder sich lange in ihrer Nähe aufzuhalten.

Mike richtete sich auf, musterte den sonderbaren, nur aus ein paar kniehohen Stäben und einem dazwischengespannten, hauchdünnen Draht bestehenden Zaun unmittelbar vor sich noch eine Sekunde lang spöttisch, hob dann den Fuß, um darüber hinwegzusteigen und sich so unmittelbar im Sichtschutz des Schiffes weiterzubewegen. Er konnte es nicht. Verwirrt senkte er den Fuß wieder, versuchte es noch einmal, mit demselben Ergebnis. Es war ihm nicht möglich, den Zaun zu übersteigen.

Mike ließ sich verwirrt zurücksinken. Zögernd streckte er die rechte Hand aus, und es geschah wieder: Sobald er versuchte, über den Zaun hinwegzugreifen, ging es einfach nicht, und er konnte nicht sagen, warum. Mike versuchte es noch ein paarmal, ehe er schließlich aufgab. Einige Augenblicke lang überlegte er, ob dieser Zaun vielleicht nur deshalb aufgestellt worden war, um die Grenze jener unsichtbaren, undurchdringlichen Barriere zu markieren, die das Schiff umgab. Mike stand auf, drehte sich herum -und hätte um ein Haar aufgeschrien. Hinter ihm stand ein Fremder. Es war einer der Männer, die Singh und er vom Waldrand aus beobachtet hatten. Er war sehr groß, dunkelhaarig und trug schwarze, grobe Hosen, gleichfarbige Stiefel und einen farblich dazu passenden Rollkragenpullover. Sein Gesicht war von seltsam fremdartigem Schnitt, und er hatte sehr dunkle, große Augen, die Mike an irgend etwas erinnerten, auch wenn er im ersten Moment nicht sagen konnte, was es war. Außerdem war er viel zu erschrocken, um darüber nachzudenken, denn der Blick dieser dunklen Augen war direkt auf ihn gerichtet.

Der Fremde war so lautlos näher gekommen, daß Mike ihn nicht gehört hatte. Mikes Gedanken rasten. Er zweifelte nicht daran, daß der Fremde ihn sofort packen oder ein lautes Alarmgebrüll anstimmen würde,und sah sich hastig nach der günstigsten Fluchtrichtung um -aber er erlebte eine Überraschung. Obwohl ihm der Mann direkt in die Augen blickte, schien er ihn gar nicht zu registrieren, sondern ging einfach an ihm vorbei; so dicht, daß seine Schulter Mike gestreift hätte, wäre dieser nicht hastig zur Seite getreten. Der Mann sah sich nicht einmal nach ihm um, sondern verschwand mit raschen Schritten um die Rundung des Schiffes.

Mike blickte ihm fassungslos nach. Träumte er? Wenn der Mann nicht blind war, dann mußte er ihn einfach gesehen haben. Die ganze Geschichte wurde immer rätselhafter.

Jetzt wurde es aber auch wirklich Zeit, daß er Singh fand und sie von hier verschwanden. Er wollte gar nicht mehr wissen, was hier wirklich vorging. Allmählich hatte er das Gefühl, in einen verrückten Traum geraten zu sein, in dem nichts mehr so war, wie es sein sollte.

Er wandte sich in die entgegengesetzte Richtung und begann die gewaltige Silberscheibe zu umkreisen. Ein zweiter, genauso gekleideter Mann wie der erste kam ihm entgegen, und als Mike mit klopfendem Herzen stehenblieb und ihn ansah, wiederholte sich das seltsame Geschehen. Auch dieser Mann blickte Mike einmal direkt in die Augen, und auch er schien ihn nicht wahrzunehmen, sondern ging an ihm vorbei. Mike sah ihm kopfschüttelnd nach, faßte zugleich aber auch neuen Mut. Wenn all diese Fremden so reagierten, dann war Singh vielleicht doch nichts zugestoßen. Möglicherweise hatte er etwas entdeckt, was ihn die Zeit vergessen ließ.

Er ging weiter - und blieb nach ein paar Schritten abrupt wieder stehen. Er hatte das Schiff zur Hälfte umkreist und sah nun den Strand, das offene Meer dahinter und den Frachter wieder vor sich.