Schon nach wenigen Schritten fiel ihm auf, daß sich das unheimliche Geschehen von vorhin zu wiederholen schien: Obwohl etliche der ganz in Schwarz gekleideten Männer, die sich an der Flugscheibe zu schaffen machten, auch auf dieser Seite des Gefährtes waren und zwei oder drei von ihnen direkt in ihre Richtung blickten, als Mike und seine Begleiter aus dem Wald heraustraten, schienen sie auch diesmal keinerlei Notiz von ihnen zu nehmen. Es war, als existierten Mike und die Eingeborenen für diese seltsamen Männer gar nicht. Unbehelligt legten sie gut die Hälfte der Distanz bis zum Strand und damit auch zu Singh und seinen Bewachern zurück. Auch die Männer, die den Inder gepackt hielten, bemerkten nichts von ihrer Annäherung -wohl aber die Besatzung des kleinen Bootes, das sich in raschem Tempo dem Strand näherte.
Einer der Männer an Bord begann plötzlich heftig mit beiden Armen zu winken, woraufhin sich der Fremde, der mit Singh gesprochen hatte, herumdrehte. Als er Mike und seine Begleiter sah, hob er in einer befehlenden Geste die Hand und deutete auf sie, und in der gleichen Sekunde drehten sich auch die anderen Männer zu ihnen herum, und diesmal nahmen sie Notiz von den so plötzlich aufgetauchten Eingeborenen. Von einer Sekunde auf die andere schien der Strand von schwarzgekleideten, dunkelhaarigen Männern nur so zu wimmeln. Es mußten mindestens zwei, wenn nicht drei Dutzend Gestalten sein, die urplötzlich hinter der Flugscheibe auftauchten und sich Mike und seinen neugewonnenen Freunden entgegenwarfen.
Sie waren nicht bewaffnet, und der erste, der das Pech hatte, den Weg eines der Eingeborenen zukreuzen, machte eine recht unsanfte Bekanntschaft mit dessen Keule, aber die Übermacht war erdrückend. Binnen Sekunden brach rings um Mike ein wildes Handgemenge aus, in dem die Eingeborenen einzig deshalb nicht sofort überwältigt wurden, weil ihre Gegner vollkommen unbewaffnet waren, während sie ihre Keulen mit großer Geschicklichkeit schwangen -und, wie Mike mit einem Gefühl von Unbehaglichkeit registrierte, noch größerer Wut. Er fragte sich, was zwischen den Ureinwohnern dieser Insel und den Männern in Schwarz vorgefallen sein mochte, um bei den Eingeborenen einen solchen Zorn auszulösen. Der Kapitän des gesunkenen deutschen Frachters hatte sie in seinem Logbuch als friedlich und kontaktscheu beschrieben. Aber von friedlich konnte keine Rede sein. Obwohl sich die Eingeborenen mit erstaunlicher Tapferkeit hielten, waren sie binnen Sekunden vonder gewaltigen Übermacht der
Schwarzgekleideten eingekreist. Drei, vier, schließlich fünf der Angreifer sanken reglos zu Boden, als die Eingeborenen ihre Keulen kreisen ließen, aber die anderen rückten mit einer Verbissenheit weiter vor, die Mike an das seelenlose Tun von Maschinen erinnerte. Die Eingeborenen wurden einer nach dem anderen niedergerungen und überwältigt, und schließlich streckten sich auch nach Mike starke Hände aus, um ihn zu packen und festzuhalten. Etwas Winziges, Dunkles sirrte an Mikes Ohr vorbei und traf den vordersten Angreifer in die Brust. So abrupt, als wäre er vor ein unsichtbares Hindernis gelaufen, blieb er stehen, erstarrte für einen Moment zur Reglosigkeit und sah dann mit fast verblüfftem Gesichtsausdruck auf den winzigen, gefiederten Pfeil herab, der aus seiner Brust ragte. Dann brach er ganz langsam in die Knie, schwankte noch einen Moment hin und her und fiel schließlich zur Seite. Und diesem ersten Blasrohrpfeil folgten weitere. Plötzlich erhob sich aus dem Waldrand hinter Mike und den anderen ein wahrer Hagel von kleinen gefiederten Geschossen, die mit fast unheimlicher Sicherheit ihr Ziel fanden. Schon nach wenigen Augenblicken waren die meisten Angreifer niedergestreckt, und die wenigen Davongekommenen suchten ihr Heil in der Flucht. Auch die Situation am Strand hatte sich grundlegend geändert: Singh hatte seine Chance natürlich sofort erkannt und bereits zwei seiner Bewacher überwältigt. Die anderen versuchten ihn zu packen und erneut festzuhalten, doch auch auf sie regneten plötzlich Blasrohrgeschosse herab. Mike hielt den Atem an, denn er rechnete fest damit, daß auch Singh von einem der tödlichen Geschosse getroffen werden mußte: Doch obwohl es vollkommen unmöglich erschien, bekam Singh nicht einmal einen Kratzer ab,
sondern stand inmitten Dutzender der winzigen Pfeile, die rings um ihn herumschwirrten, vollkommen unbeschadet da. Aber die Gefahr war noch keinesfalls vorüber: Vom Meer her näherte sich das Boot. Singh fuhr auf der Stelle herum und hetzte mit gewaltigen Sprüngen auf Mike zu, während sich ringsum die Eingeborenen benommen erhoben und sich die schmerzenden Schädel rieben. Alle bis auf einen. Jener Eingeborene, den Mike als ersten im Wald getroffen hatte, lag noch immer reglos im Sand. Er lebte, doch als Mike neben ihm niederkniete, stellte er fest, daß er aus einer üblen Platzwunde an der Stirn blutete und ohne Bewußtsein war. »Herr!« Singh langte schweratmend neben ihm an, deutete hastig zum Waldrand hin und dann zum Strand zurück. Mike sah, daß sich zwischen den Bäumen am Waldrand über ein Dutzend weiterer halbnackter Gestalten aufgerichtet hatten, die aufmerksam zu ihnen her sahen, aber keine Anstalten machten, ihnen oder wenigstens ihrem verwundeten Kameraden zu Hilfe zu kommen.
In der Zwischenzeit hatte das Boot den Strand beinahe erreicht, und die Männer an Bord machten sich bereit, an Land zu gehen. Mike sah, daß jeder von ihnen einen kleinen, glitzernden Gegenstand in der Hand hielt. Er vermutete, daß es sich dabei um Waffen handelte. »Hilf mir!« keuchte er. Er versuchte verzweifelt, den bewußtlosen Eingeborenen in die Höhe zu zerren, aber der Mann war viel zu schwer für ihn. Und Singh zögerte, mit zuzupacken. »Verdammt noch mal, Singh!« schrie Mike. »Ohne ihn wärest du jetzt vielleicht schon tot!«
Das wirkte. Kurz entschlossen hob Singh den bewußtlosen Eingeborenen hoch, warf ihn sich über die Schulter und begann auf den Waldrand zuzulaufen. Mike folgte ihm, allerdings nicht, bevor er noch einen letzten Blick zum Strand zurückgeworfen hatte. Das schwarze Boot war ein gutes Stück auf den Sand hinaufgeglitten, und seine Besatzung kletterte hastig von Bord. Mike war jetzt sicher, daß die winzigen silbernen Stäbe, die sie in den Händen hielten, Waffen waren.
Als sie noch zehn Meter vom Waldrand entfernt waren, wurde aus dieser Vermutung Gewißheit. Ein dünner Faden aus weißem Licht zuckte plötzlich zwischen Singh und ihm hindurch und schlug in den Waldrand ein, und seine Wirkung war verheerend. Eine der gewaltigen Palmen loderte auf und zerfiel in einem Sekundenbruchteil zu Asche, und das Unterholz ringsum ging in einem Bereich von sicherlich fünf oder auch sechs Metern schlagartig in Flammen auf. Singh fluchte lauthals in seiner Muttersprache, schlug einen Haken nach links und schrie Mike zu, in die entgegengesetzte Richtung zu laufen. Eine Sekunde später züngelte ein zweiter Lichtblitz in Singhs Richtung, der ihn diesmal nur um Haaresbreite verfehlte und einen weiteren Bereich des Waldrandes in ein Flammenmeer verwandelte.
Die Eingeborenen waren längst im Dickicht verschwunden. Mike hoffte, daß sie bereits in Sicherheit gewesen waren, als der Blitz den Waldrand traf. Hakenschlagend erreichte auch er den Waldrand, brach rücksichtslos durch das Geäst und stolperte noch ein halbes Dutzend Schritte weiter, ehe er stehenblieb und sich schweratmend umsah. Singh kämpfte sich ein gutes Stückweit links von ihm ins Gebüsch, und von den Eingeborenen war keine Spur mehr zu sehen. Vom Strand her zuckten keine weiteren Blitze mehr zu ihnen herauf, so daß Mike allmählich die Hoffnung zu fassen begann, daß sie in Sicherheit waren. Die Männer, die mit dem Boot gekommen waren, hatten nicht nur das Feuer eingestellt, sondern unternahmen auch keinen Versuch, sie zu verfolgen. Allerdings auch keinen, ihren Kameraden zu Hilfe zu eilen. Nach einigen Augenblicken sah Mike auch, warum das so war: Die Männer, die von den Blasrohrgeschossen getroffen worden waren, begannen sich langsam wieder zu rühren. Sie waren nicht tot, stellte er erleichtert fest, sondern offenbar nur kurz bewußtlos gewesen. Die Pfeile hatten kein Gift enthalten, sondern nur ein Betäubungsmittel.