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Empört sagte Mike: »Aber das können wir nicht tun!« »Ach?« fragte Ben. »Und warum nicht, Schlaumeier?« »Hast du mir überhaupt nicht zugehört?« fuhr Mike ihn an. »Sie arbeiten an dem Sternenschiff. Frag mich nicht, was, aber sie sind unmittelbar in seiner Nähe.

Wenn wir einen Torpedo abschießen, dann werden viele von ihnen verletzt und getötet. « Ben zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Und? Nachdem, was du gerade erzählt hast, halten sie es mit dem Leben anderer auch nicht so genau. « »Das ist doch kein Grund!« antwortete Mike wütend. Trautman hob besänftigend die Hand. »Mike, bitte. Ich verstehe und respektiere deine Gefühle durchaus. Du hast vollkommen recht. Daß sie euch angegriffen haben, gibt uns nicht das Recht, ihr Leben in Gefahr zu bringen. Aber hier steht mehr auf dem Spiel als das Leben dieser Männer oder unseres. Dieses Schiff muß zerstört werden, um jeden Preis. Wenn es in falsche Hände gerät, dann kann es unvorstellbaren Schaden anrichten.

«

»Und wer sagt das?« fragte Mike. »Dein Vater, Mike«, antwortete Trautman, plötzlich ruhig und mit einer unerwartet sanften, fast traurigen Stimme.

Mike starrte ihn an, sagte aber nichts. Und nach einigen Sekunden fuhr Trautman leise fort, wobei sein Blick auf einen imaginären Punkt irgendwo hinter Mike gerichtet zu sein schien: »Damals, als er mir die NAUTILUS übergeben hat, Mike, hat er mir ein Versprechen abgenommen. Das Versprechen, dieses Schiff mit meinem Leben zu beschützen und dafür zu sorgen, daß es nicht in falsche Hände gerät, koste es, was es auch wolle. Du weißt, was geschehen würde, wenn irgendeine Nation auf dieser Welt in den Besitz der NAUTILUS und ihrer Technik geriete. Der Krieg, vor dem wir alle geflohen sind, wäre nichts dagegen. Und dieses Sternenschiff dort draußen ist der NAUTILUS so weit überlegen, wie sie den Kriegsschiffen, die auf der anderen Seite der Insel liegen. Es muß zerstört werden. Ich würde einen anderen Weg wählen, wenn es einen gäbe, aber es bleibt dabei. « Er schüttelte entschieden den

Kopf, um jeden Widerspruch schon im vorhinein zu entkräften. »Ich habe lange darüber nachgedacht, und mein Entschluß steht fest: Wir werden tauchen und die Nacht in sicherer Entfernung unter Wasser verbringen, aber morgen früh bei Sonnenaufgang zerstören wir das Schiff. « Er atmete hörbar ein und wandte sich dann direkt an Singh: »Bis dahin sind noch eine Menge Vorbereitungen zu treffen. Ich weiß, wie müde du sein mußt, aber ich wäre dir trotzdem dankbar, wenn du mir dabei helfen könntest. Wir werden nur eine einzige Chance haben. «

»Selbstverständlich«, antwortete Singh. Mike wartete, bis Trautman an ihm vorbeigegangen war und den Salon verlassen hatte, dann folgte er ihm; wenige Augenblicke später ging auch Ben. Wahrscheinlich erschien es ihm im Moment klüger, nicht allein mit Mike zurückzubleiben. Mike hatte den kurzen Streit beinahe schon vergessen. Er starrte Trautman fassungslos hinterher und schüttelte immer wieder den Kopf. Noch vor kurzer Zeit hätte sich Trautman geweigert, einen solchen Gedanken auch nur zu fassen, geschweige denn, ihn laut auszusprechen. Keiner von ihnen hätte ein solches Vorgehen auch nur in Erwägung gezogen. Sie hätten ganz im Gegenteil so lange beraten, bis sie eine andere Lösung gefunden hätten. Nun aber hatte mit Ausnahme von Mike niemand auch nur widersprochen. Selbst Mike ertappte sich für einen Moment bei dem Gedanken, ob es vielleicht wirklich notwendig wäre, dieses Opfer zu bringen, um weiteres, schlimmeres Unglück zu vermeiden. Erschrocken vor sich selbst, scheuchte er den Gedanken fort und drehte sich zu Serena, Juan und Chris herum. Alle drei sahen ihn an, und er erblickte in den Augen der beiden Jungen und des Mädchens von Atlantis die gleiche Mischung aus Furcht, Entsetzen und grimmiger Entschlossenheit, die er zuvor in Trautmans Augen gelesen hatte. »Aber das... das ist doch Wahnsinn«, stammelte er. »Das dürfen wir nicht zulassen!« Chris sagte nichts, sondern senkte nur den Blick, und Juan antwortete ganz leise: »Ich weiß, aber ich fürchte, uns bleibt keine andere Wahl. Wir haben nicht mehr sehr viel Zeit. «

»Wir haben alle Zeit, die wir brauchen!« protestierte Mike. »Selbst wenn sie das Sternenschiff bergen und an Bord ihres Schiffes nehmen, dann folgen wir ihnen eben und versuchen, eine andere Lösung zu finden. Ihr könnt doch nicht damit einverstanden sein!« Juan sagte nichts, sondern wandte langsam den Kopf und sah Serena an. Serena erwiderte seinen Blick. Mike spürte deutlich, daß er Zeuge einer stummen Unterredung wurde. »Was ist los?« fragte er. »Ihr beiden verheimlicht mir doch etwas. «

Serena und Juan sahen sich noch einige Sekunden weiter auf diese stumme Art an, dann atmete Juan tief ein, deutete auf Mike, ohne Serena aus den Augen zu lassen, und sagte: »Zeig es ihm. «

»Was soll sie mir zeigen?« fragte Mike scharf. Er schrie es fast, aber sein grober Ton zeigte weder bei Serena noch bei Juan oder Chris irgendeine Wirkung. Chris senkte nur noch weiter den Kopf, und Mike fiel plötzlich auf, in welch verkrampfter Haltung er auf dem Stuhl hockte. Er hatte die Hände im Schoß gefaltet und preßte die Finger so fest zusammen, daß sie zitterten.

Schließlich stand Serena auf, ging zur Tür und deutete ihm mit einem Handzeichen, ihr nachzukommen. Mike erwartete unwillkürlich, daß auch Juan und Chris ihnen folgen würden, aber die beiden rührten sich nicht von der Stelle, so daß er allein hinter Serena herging.

Irgend etwas war an Bord der NAUTILUS geschehen, während Singh und er auf der Insel gewesen waren, und was immer es auch war, er hatte das sehr sichere Gefühl, daß es ihm nicht gefallen würde. Serena führte ihn zu ihrer Kabine, öffnete die Tür und schloß sie sorgfältig wieder hinter ihm, nachdem er den Raum betreten hatte. Dann legte sie den Riegel vor, was sehr ungewöhnlich war, denn sosehr jeder an Bord auch die Privatsphäre des anderen respektierte, gab es doch auf der NAUTILUS so gut wie keine verschlossenen Türen; schon aus Sicherheitsgründen. »Also?« fragte Mike. »Was ist los?« Serena antwortete nicht. Sie wich sogar seinem Blick aus, ging zu ihrer Kommode, zog die oberste Schublade auf und nahm ein großes, in ein grobes Leinentuch eingeschlagenes Buch heraus. Als sie es öffnete, erkannte Mike es sofort.

Er starrte Serena ebenso erstaunt wie erschrocken an. Was sie da vor seinen Augen aus der Schublade genommen hatte, das war nichts anderes als das Logbuch des untergegangenen deutschen Spionageschiffes. »Aber wie kommst du denn dazu?« fragte er ungläubig. »Ich habe es gestohlen«, antwortete Serena. »Wie?!«

»Du hast mich doch selbst aus Trautmans Kabine kommen sehen«, bestätigte sie. »Ich war dort, um nach diesem Buch zu suchen. « Mike blickte Serena verständnislos an. »Aber warum denn nur?« murmelte er kopfschüttelnd. Serena wandte sich wieder dem Buch zu und schlug es auf; nicht willkürlich, sondern an einer Stelle, die Trautman mit einem seiner kleinen Zettel markiert hatte. »Er hat uns nicht die Wahrheit gesagt«, sagte sie. »Hier. Lies selbst!«

Mike trat näher. Plötzlich erinnerte er sich wieder an damals, als Trautman ihnen einige Passagen aus dem Buch vorgelesen hatte. Er hatte gesehen, daß der alte Mann immer wieder die eine oder andere Stelle, die er mit einem Zettel angemerkt hatte, überschlug. Aber er war von dem Gehörten so erschrocken gewesen, daß er dem nicht so viel Bedeutung zugemessen hatte. Es fiel ihm allerdings schwer, das Geschriebene zu entziffern. Die Schrift war vom langen Liegen im Salzwasser zum Großteil aufgelöst und fast unleserlich, und dazu kam, daß das Buch in deutscher Sprache abgefaßt war; eine Sprache, die Mike zwar weit genug beherrschte, um sich mehr schlecht als recht darin verständlich machen zu können, aber nicht gut genug, um das Buch -noch dazu in diesem Zustand -zu entziffern. Er erkannte nur einige Worte, die einen Sinn zu ergeben schienen, zum allergrößten Teil aber blieb ihm der Text unverständlich. Enttäuscht schüttelte er den Kopf. »Ich fürchte, das kann ich nicht lesen«, sagte er. »So ging es mir anfangs auch«, antwortete Serena. »Aber wenn man es eine Weile versucht, dann klappt es ganz gut. Was du da liest, ist der Bericht über die Ereignisse an Bord in den letzten beiden Tagen, bevor das Schiff unterging. Der Kapitän schreibt, daß die Stimmung an Bord immer schlechter wurde. Die Mannschaft war gereizt und aggressiv, und es kam immer wieder zu Streitigkeiten und Kämpfen unter der Besatzung. « Sie schlug eine andere von Trautmans Markierungen auf und legte die flache Hand mit gespreizten Fingern auf die Seite. »Die Eintragungen des letzten Tages sind besonders schlimm. Einige Leute gingen aufeinander los. Zwei oder drei sogar mit Waffen, und es gab einen Toten und mehrere Verletzte. « Sie blätterte weiter. »Und hier schreibt er, daß sich einer der Männer plötzlich nicht mehr bewegen konnte. Er sei von einer sonderbaren Lähmung befallen, die seine Muskeln hart wie Stein werden ließ. « Serena trat einen Schritt zurück und sah ihn durchdringend an. »Das paßt, nicht wahr?« Mike nickte erschrocken. »Genau wie auf der Insel«, flüsterte er. »Man konnte regelrecht spüren, wie gereizt die Menschen dort waren. «