»Sieh dir das an!« sagte Trautman jetzt. Seine Stimme klang sehr aufgeregt. Mike trat einen Schritt näher heran und riß erstaunt die Augen auf, als er sah, was Trautman da gefunden hatte. Es war ein Fisch.
Jedenfalls sah es aus wie ein Fisch... Trautman drehte sein Fundstück einen Moment lang in den Händen -und brach den vermeintlichen Fisch dann mit einer entschlossenen Bewegung in zwei Teile. Er bestand aus nichts anderem als aus porösem Stein! »Aber da kann doch... das kann doch gar nicht sein!« ächzte Mike. »Das ist doch unmöglich!« Trautman antwortete nicht, aber er bückte sich und grub einen zweiten Fisch aus dem Sand zu seinen Füßen aus. Diesmal zerbrach er ihn nicht, sondern schob ihn vorsichtig unter den Gürtel seines Tauchanzuges. Dann schwenkte er die Lampe ganz langsam im Halbkreis vor sich über den Boden. »Da hast du deine Fische«, flüsterte er erschüttert. Bisher hatte Mike nicht darauf geachtet, aber nun sah er sie überalclass="underline" versteinerte Fische, die unter ihrem eigenen Gewicht halb in den feinen Sand am Meeresboden eingesunken waren. Es war ein unheimlicher, angstmachender Anblick. »Was ist hier nur geschehen?« murmelte er. »Ich weiß es nicht«, antwortete Trautman. Er hob noch einen Fisch auf und steckte ihn ebenfalls in den Gürtel, dann drehte er sich herum und setzte seinen Weg fort. Der Scheinwerferstrahl bewegte sich dabei von links nach rechts über den Boden vor ihnen, und wohin er auch leuchtete, überall glitzerten versteinerte Schuppen im Sand, starrten sie Augen aus Fels an und schnappten für alle Zeiten erstarrte offene Fischmäuler vergeblich nach Luft. Erst als sie sich schon ein gutes Stück vom Bug der TITANIC entfernt hatten, wurde es ein wenig besser. Sie sahen noch immer versteinerte Fische, aber es waren nicht mehr ganz so viele, und schließlich gab es keine mehr.
Sie gingen direkt zur NAUTILUS zurück, und als Mike auf das Meßgerät blickte, das an seinem linkenHandgelenk befestigt war, stellte er zu seiner Überraschung fest, daß sein Sauerstoffvorrat tatsächlich bereits auf
knapp zehn Minuten zusammengeschrumpft war. Er hatte gar nicht gemerkt, daß sie schon so lange hier draußen waren.
Die Tür der Tauchkammer öffnete sich, und Trautman trat ein. Mike warf noch einen Blick um sich und fuhr erschrocken zusammen, als er eine Bewegung im Licht seines Scheinwerfers gewahrte. Es war kein Ungeheuer, sondern nur ein harmloser Bewohner der Tiefsee -ein kleiner Krake mit ungefähr halbmeterlangen Armen, der in raschem Tempo auf ihn zugeschwommen kam.
Mike wunderte sich ein wenig über sein Verhalten. Wenn schon nicht er, so hätte ihn doch eigentlich der Scheinwerfer erschrecken müssen, denn hier unten, in der Welt, in der der Krake lebte, herrschte immerwährende Nacht.
Doch das Tier zeigte keine Scheu, sondern bewegte sich sehr zielsicher auf Mike zu. Noch ehe Mike richtig mitbekam, wie ihm geschah, hatte er ihn erreicht -und griff ihn unverzüglich an!
Der Krake prallte wie ein weicher Gummiball gegen seinen Helm. Mike taumelte unter dem Ansturm zurück und wäre um ein Haar gestürzt. Als er seine Balance endlich wiedergefunden hatte, hatte der Krake seinen Helm bereits mit allen acht Fangarmen umschlungen.
»He!« rief Mike. »Was soll denn der Quatsch? Ich bin doch keine Garnele!«
Er versuchte den Kraken abzuschütteln, aber das Tier erwies sich als erstaunlich stark. Die Saugnäpfe an seinen Fangarmen hingen wie festgeklebt an der Sichtscheibe des Helmes, und Mike konnte fühlen, wie sich die biegsamen Arme um den ganzen Helm und die Luftschläuche schlangen, die zu den Sauerstoffflaschen auf seinem Rücken führten. Mike hob die Hände, tastete nach dem Kraken und versuchte ihn abzustreifen.
In der nächsten Sekunde schrie er vor Schmerz auf. Irgend etwas hatte nach seinem Handschuh geschnappt und so heftig zugebissen, daß nicht einmal mehr der zähe Leinenstoff dem Angriff standgehalten hatte. Der Krake hatte ihn gebissen!
Mike geriet in Panik. Sein Anzug war beschädigt. Jetzt spürte er, wie eiskaltes Wasser in seinen Anzug drang und gleichzeitig seine kostbare Atemluft entwich. Er konnte nichts mehr sehen. Was als beinahe komischer Zwischenfall begonnen hatte, das war plötzlich zu einer lebensgefährlichen Bedrohung geworden. Mikes Herz machte einen entsetzten Sprung, als er hörte, wie sich einer der Luftschläuche löste und der Sauerstoff sprudelnd ins Meer entwich. Seine Hände griffen wild um sich. Er mußte die Tür der Tauchkammer finden!
Endlich berührte er das massive Rad, mit dem die Tür der Tauchkammer geöffnet wurde. Mit verzweifelter Kraft drehte er daran. Sein Anzug füllte sich immer rascher mit eisigem Wasser, und die Luft, die aus den beiden Flaschen auf seinem Rücken strömte, schien immer dünner zu werden. Sein Herz hämmerte, und es fiel ihm immer schwerer, zu atmen. Er öffnete die Tür gerade weit genug, um sich hindurchzuquetschen, taumelte in die Tauchkammer und zog die Stahltür in verzweifelter Hast hinter sich zu. Seine Faust krachte auf den großen Schalter neben der Tür, der die Pumpen aktivierte, mit denen das Wasser aus der Tauchkammer hinausgepumpt wurde.
Im selben Moment zerplatzte seine Helmscheibe. Mikes Augen weiteten sich ungläubig, als er den gezackten Riß sah, der sich plötzlich quer über die angeblich so gut wie unzerbrechliche Scheibe zog. Er griff mit verzweifelter Kraft zu, tastete blind nach den Fangarmen des Tieres und versuchte seine tödliche Umklammerung zu lösen.
Ein zweiter Riß erschien in seiner Helmscheibe, und ein dünner Sprühnebel aus eiskaltem Wasser benetzte sein Gesicht. Mike konnte zwar spüren, wie der Wasserspiegel in der Tauchkammer ganz allmählich sank, aber es geschah mit quälender Langsamkeit. Er hörte auf, an den Armen des Kraken zu zerren, sondern schlug statt dessen mit beiden Fäusten auf das Tier ein. Es war, als schlüge er auf einen Gummiball, den jemand über seinen Helm gestreift hatte, aber die erhoffte Wirkung blieb aus. Der Krake verdoppelte seine Anstrengungen nur noch.
Mikes Helmscheibe platzte endgültig auseinander. Ein Regen scharfkantiger Glasscherben überschüttete sein Gesicht, gefolgt von einem weiteren, eiskalten Wasserguß. Der einzige Grund, aus dem sich sein Anzug nicht sofort mit Wasser füllte, war der Krake, dessen Körper die zerborstene Helmscheibe fast vollkommen bedeckte.
Anstelle eines tödlichen Wasserschwalls drang ein Gewirr saugnapfbedeckter Fangarme in seinen Helm ein, und plötzlich sah er direkt in die Augen des Kraken, die ihn mit einem solchen Ausdruck von Zorn anblickten, daß er aufgeschrien hätte, hätte er es gekonnt. So blieb ihm nur, verzweifelt den Kopf nach hinten zu werfen, so gut es in dem engen Helm möglich war, um dem schnappenden Papageienschnabel des Kraken auszuweichen, der versuchte, ihm ins Gesicht zu beißen. Das Wasser war mittlerweile fast vollkommen aus der Tauchkammer gewichen, aber diese Rettung kam vielleicht zu spät. Mike hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Der Krake würde ihn ersticken. Langsam sank Mike in die Knie. Alles begann sich um ihn zu drehen. Noch ein paar Sekunden, und er würde das Bewußtsein verlieren.
Im buchstäblich allerletzten Moment wurde der Krake von seinem Helm heruntergerissen. Mike rang keuchend nach Luft, griff nach oben und löste mit zitternden Fingern die Verschlüsse seines Helmes. Kühle, unendlich süße Luft füllte seine Lungen. Ein paar Sekunden lang saß er einfach da und genoß das Gefühl, wieder atmen zu können. Erst dann öffnete er die Augen und sah sich nach seinem Lebensretter um. Er hatte erwartet, Singh oder vielleicht auch Trautman zu erblicken, aber er war allein in der Tauchkammer, jedenfalls auf den ersten Blick. Neben ihm spritzte das Wasser hoch. Zuerst erkannte er nichts außer einem Gewirr peitschender, sich windender Arme und schwarzem Fell.