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Nero bellte, man hörte die Kette rasseln, und eine Männerstimme sprach ihm ruhig zu, worauf er still wurde. Es klopfte, die Tür in den Vorraum ging auf, und die Stimme rief: »Ich bin’s!«

»Komm herein!« rief die Großmutter, ohne aufzustehen. Sie schien zu wissen, wer hier »Ich« sagte.

Die Küchentür öffnete sich, und ein junger Mann stand da, der sie fast ganz ausfüllte und einen gewaltigen Schatten über die Decke warf. Jetzt erkannte ihn auch Katharina. Es war Hans-Kaspar, der ihre Schwester nachts hinter dem Haus geküßt hatte. Er wohnte im Nachbarhaus in der »Bleiggen«.

»Setz dich«, sagte die Großmutter, und sie und Margret, die nebeneinander saßen, rückten näher zu Katharina.

Hans-Kaspar nahm neben der Großmutter Platz, und diese schenkte ihm eine Tasse Tee ein. »Wer will sonst noch?« fragte sie. Katharina schob ihre Tasse gegen die Tischmitte, und sie wurde ihr noch einmal gefüllt. Zu Hause gab es für die Kinder immer nur eine Tasse. Die Großmutter nahm auch die Tasse der Base und füllte sie nach. »Trink, Margret«, sagte sie und gab sie ihr zurück, »damit das Kind zu trinken hat.«

Paul stand auf, ging zum Schränklein neben dem Herd, nahm eine Flasche und ein paar kleine Gläser heraus, stellte alles auf den Tisch, öffnete die Flasche und schenkte dann vier Gläser ein. Ein scharfer Geruch kitzelte Katharinas Nasenflügel, ein Geruch, den sie gleichermaßen liebte wie verabscheute. Sie liebte ihn, weil er auf eine seltsame Art nach Kräutern roch, und sie verabscheute ihn, weil die Männer meistens zuviel davon tranken und dann laut und bösartig wurden.

Die vier Männer hoben die Gläser und tranken einen Schluck.

Dann fragte die Großmutter den neu Eingetretenen: »Was gibt’s?«

Der sagte, er käme grad von der »Meur«, er solle sie alle grüßen, und die Hebamme sei bei der Kathrin und bleibe über Nacht, sie meine, das Kind könne von einer Stunde auf die andere kommen.

»Gut, daß sie dort ist«, sagte die Großmutter, »gell, Margret?«

Margret nickte. Bei ihr war die Hebamme zu spät gekommen, vor einem halben Jahr, weil alles so schnell ging, und als sie auf der »Bleiggen« eintraf, war die kleine Anna schon da, und die Großmutter hatte ihr geholfen dabei, mit dem Pressen und dem Herausziehen und der Nabelschnur, dem Blut und dem heißen Wasser, als hätte sie das ein Leben lang gemacht.

»Heut nacht wollen wir für sie beten«, sagte die Großmutter und blickte mahnend in die Runde. Einen Moment lang sagte niemand etwas. Katharina erschrak, weil sie merkte, daß sie nur für das Kindlein hatte beten wollen, aber natürlich war die Mutter gerade so wichtig, ja viel wichtiger, es wäre schlimmer, wenn der Mutter etwas passierte als dem Kindlein, denn das kannte sie ja noch gar nicht.

»Und die Anna hat wohl nur dich gegrüßt?« fragte Paul, worauf alle drei Vettern vielsagend lachten. Katharina glaubte Hans-Kaspar erröten zu sehen. Er antwortete jedenfalls nicht auf die Frage, sondern sagte nur, er sei nachher noch im Gasthof Elmer gewesen, und morgen gehe eine Kommission den Plattenberg hinauf, und ob sie schon wüßten, wer dabei sei.

»Der Förster Seeli«, sagten alle wie aus einem Mund.

Hans-Kaspar war erstaunt. Woher sie das wüßten, fragte er.

Paul wies mit dem Kopf auf Katharina und sagte: »Von unserer Ältesten.«

Wieder erfüllte ein mehrstimmiges Lachen den Raum, und die Bergkette an der Wand erzitterte. Endlich ein Witz, den Katharina sofort verstand. Sie war ja gar nicht die Älteste am Tisch, sondern die Jüngste. Hörbar und schnell kicherte sie mit, und die Männer tranken nochmals einen Schluck.

Wer denn sonst noch dabei sei, fragte Paul den etwas enttäuschten Nachbarn.

Heiri Elmer, der Bergführer, Samuel Freitag, der Gemeinderat, und der Kreisförster Marti.

Was, rief Paul, der Marti, der komme doch aus Matt, und den Elmern brauche sicher nicht einer aus Matt zu sagen, was sie zu tun hätten.

»Lauter Förster«, murmelte Fridolin, »hoffentlich verstehen die auch etwas von den Steinen.«

Bäume gäbe es jedenfalls genug dort oben, sagte Johannes, die liegen ja schon kreuz und quer, das sehe man von hier aus, und wenn die nur jemand holen würde, das gäbe Särge für das ganze Dorf.

Er solle aufhören mit seinen Särgen, sagte die Großmutter, sie wollten jetzt an etwas Fröhlicheres denken.

»Also denken wir an den Kantonsförster«, schlug Paul vor, und fuhr weiter, zu Hans-Kaspar gewandt: »Ist er denn schon da?«

Ja, sagte dieser, er sei vor einer Stunde eingetroffen und im Gasthof Elmer abgestiegen.

Nun, sagte Fridolin, dann gelte es wohl ernst, das heiße wohl auch, daß morgen immer noch nicht gearbeitet werde im Schieferwerk, oder?

Ja, bestätigte Hans-Kaspar, und das habe er ihm eben auch noch sagen wollen.

»Also, dann komme ich mal«, sagte Fridolin zu Johannes und kraulte sich in seinem Schnurrbart, »dann komme ich mal zu dir und deinen Särgen.«

7

Schaudernd lief Katharina in ihrem Nachthemd vom Abort, der sich am hinteren Ende des Vorraums befand, zur Treppe, schaudernd vor Kälte und schaudernd vor Angst. Sie haßte dieses Loch, auf das man sich setzen mußte, um das Wasser abzulassen; sobald man den schweren Deckel davon abgehoben hatte, stiegen ekle Gerüche wie böse Geister aus einem finstern Verlies herauf, und ein kalter Windhauch leckte einem den Hintern. Meistens war der Rand des Lochs noch feucht oder sogar unrein, vom letzten, der darauf gesessen hatte, und man mußte sich mit einem Tüchlein abputzen, das neben dem Loch lag und das meistens auch nicht sauber war. Zu Hause war es noch schlimmer als hier, denn dort benutzten die Wirtshausgäste denselben Abort wie sie und Rhyners, und Katharina wußte noch gut, wie sie einmal in die Hosen gemacht hatte, weil einer zu lange draufsaß. Sie sollten, hatte ihnen Lehrer Wyss eingeschärft, nachher immer die Hände am Brunnen waschen. Das galt jedoch nur bei einer der beiden Verrichtungen, bei derjenigen, die sie zu Hause die dicke Tante nannten. Jetzt war Katharina bei der dünnen Tante, aber sie hatte eine solche Angst, daß sie zu früh wieder aufstand und noch auf den Rand des Lochs pißte. Im Dunkeln fand sie kein Tüchlein, um das Holz zu säubern, legte den Deckel rasch wieder auf die Öffnung, um die Stinkgeister zu bannen, und huschte in den Vorraum.

Die Tür zur Küche, hinter der sich die Stimmen der Männer balgten, stand noch offen, davor lag ein Lichtstreifen wie ein durchsichtiger Teppich auf den Dielenbrettern und erhellte den steilen Weg zum Schlafgaden.

Als sie die Treppe hinaufging, hörte sie unter sich ganz leise die Stufen knarren und war stolz darauf. Sie mußte eben allein darauf treten, dann merkte die Treppe schon, wer sie war. Aber ein bißchen gruselte es sie auch. Nachts war es nicht dasselbe wie am Tag, und wer konnte schon wissen, ob die Abortgeister nicht Verwandte im Treppenhaus hatten, Basen vielleicht, die leise seufzten, wenn man ihnen weh tat. Auf einmal wäre sie froh gewesen, sie hätte die Schuhe noch an. Zwar war das Nachthemd, das sie in der Stube übergestreift hatte, vom großen Schieferofen angenehm durchwärmt, aber um so hinterlistiger schlich sich die Kälte über Katharinas nackte Fußsohlen ein, um sich wie ein ungebetener Gast unter ihrem Hemd einzunisten. Vor dem Ofen hatte ihr die Großmutter die beiden Zöpfe geöffnet, obwohl Katharina das schon längst selbst konnte, die dachte wohl, sie sei noch ein kleines Kind und hatte keine Ahnung, daß sie bereits eine Treppe zum Knarren brachte.

Oben sah sie gerade noch genug, um die Tür zu ihrem Zimmer zu öffnen, und erschrak, wie laut diese ächzte. Neue Geister meldeten sich, das mußten Vettern der Treppen- und Stinkgeister sein, die in den Türangeln hausten. Hastig tastete sie sich am großen Bett entlang, schlug das Leintuch zurück und schlüpfte hinein. Sie hatte sich auf kalte Laken gefaßt gemacht und freute sich, als sie mit ihren Zehen ein Säcklein mit heißen Kirschensteinen spürte, und als sie das Leintuch zwischen sich und dem schlafenden Bruder etwas anhob, strömte eine Wärme herüber, als sei dort ein kleiner Kachelofen in Betrieb. Sie zappelte einen Augenblick mit den Beinen, um die Kälte vollends zu vertreiben, und zog sich dann das Bettlaken so weit über den Kopf, daß nur noch ihre Haare herausschauten. Beim Gedanken an die unbekannten und unsichtbaren Wesen, die man im ganzen Haus vermuten mußte, verkroch sie sich so tief, daß auch ihre Haare im Bett verschwanden. Bald hatte sie aber zu wenig Luft und streckte die Nase behutsam unter dem Leintuch hervor, richtete sich auf und klopfte sich eine Delle ins Kissen, in die sie nachher ihren Kopf legte.