Выбрать главу

»Wir wissen noch nichts«, sagte die Base und hieß Katharina, nicht herumzulaufen wie ein gerupftes Huhn, sondern sich fertig anzuziehen und sich dann neben Kaspar zu setzen, der schon vor einem Stück Brot und einer Kachel heißer Milch saß, die ein kleines bißchen mit Kaffee gefärbt war.

9

»Nein, das sind nicht unsere Hühner«, sagte die Base, die sich mit Katharina zusammen zum Stubenfenster hinaus lehnte und in den Vorgarten hinunterschaute, »unsere sind alle gesprenkelt.« Dann klatschte sie in die Hände, zischte dazu und rief: »Fort mit euch!«, und Katharina klatschte und zischte mit.

Die beiden weißen Hühner drückten sich gackernd an die Rhabarberblätter am Zaun, hielten ihre Köpfe schräg und blickten vorwurfsvoll an der Hauswand hinauf.

Hinter Katharina drängte sich Kaspar und rief: »Will auch schauen!«

Katharina schubste ihn zurück, doch die Base beugte sich zu ihm nieder, griff ihm unter beide Arme und hob ihn vor sich zum Fenstersims, an dem er sich nun festhielt.

»Gsch – gsch!« zischte er und fragte dann: »Wo sind die Hühner?«

»Dort, bei den Rhabarbern!« sagte Katharina, und fügte leise, aber deutlich hinzu: »Du Tötschli.«

»Kein Tötschli«, gab Kaspar zurück und rief dann nochmals, diesmal in die richtige Richtung: »Gsch – gsch! Fort, fort!«

Aber die Hühner blieben stehen, wo sie waren, und gackerten bloß aufgebracht vor sich her.

Die müssen, meinte die Base, von der hinteren »Bleiggen« entlaufen sein, dort seien lauter weiße, und Katharina solle doch schnell zur Barbara hinüber und es ihr sagen.

Katharina war inzwischen angezogen, sie hatte wieder den entliehenen blauen Lavendelrock aus Grosis Schrank an, und ihre eigene braune Schürze darüber.

Das Sonntagskleid, mit dem sie gestern hergekommen war, solle sie morgen anziehen, hatte die Base gesagt, als sie ihr den Dreck aus dem Saum gebürstet hatte, Sonntag sei ja erst morgen. Die Zöpfe waren geflochten, aber nicht aufgesteckt, sie baumelten ihr auf die Schultern. Nur noch die Schuhe mußte sie anziehen, und dann konnte sie gehen.

Der erste Knopf mit den Schnürsenkeln gelang ihr nicht. Hilfesuchend blickte sie sich im Vorraum um, wo sie auf der kleinen Schuhbank saß, aber dann besann sie sich darauf, daß sie allein eine Treppe zum Knarren bringen konnte, also konnte sie auch allein die Schuhe binden, und schon hatte sie einen schönen Knopf zustande gebracht. Erst als sie beide Schuhe an den Füßen hatte, sah sie, daß die zwei Nachttöpfe noch unten an der Treppe standen. Die würde sie später hinauftragen, wenn sie wieder zurück wäre.

Das hintere »Bleiggen«-Haus war gleich das nächste am Weg. Trotzdem ging Katharina nicht gern. Eigentlich hatte sie sich vorgestellt, sie käme ein paar Tage hierher in die Ferien, aber kaum war sie da, mußte sie schon etwas tun, und natürlich brauchte Kaspar nicht mitzukommen, sondern durfte bei der Base in der warmen Stube bleiben. Zu Hause wurde sie manchmal zur alten Elsbeth geschickt, um Eier zu holen, wenn sie in der Gaststube welche brauchten und selbst keine mehr hatten. Doch das war nicht dasselbe, denn die alte Elsbeth kannte sie, die roch immer nach dem Tabak ihres Mannes, und ihr Mann war der obere Jaggli, der dauernd hustete, weil er immer eine Pfeife im Mund hatte, und er hieß der obere Jaggli, weil in Untertal auch noch der untere Jaggli wohnte, auf dem Weg von der »Meur« zur eisernen Brücke, und auch den unteren Jaggli kannte sie, samt seiner Frau, obwohl sie dort nie Eier holen mußte, und sogar die Elsbeth, ihre Tochter, die eine Frau war und keinen Mann hatte und deshalb auch keine Kinder, was vielleicht mit ihrem Kropf zusammenhing, der ihr am Hals klebte wie eine Kröte, würde sie wohl auch einmal daran sterben, wie der Großvater, der Kropftod könnte am ehesten so gehen, daß sich der Kropf einfach immer stärker aufblähte, bis man eines Tages daran erstickte. Erschrocken griff sich Katharina an den Hals und war froh, daß sie dort nichts würgte.

Sie war um eine kleine Wegbiegung gekommen und sah schon das Dach des Hauses, zu dem die Hühner gehörten.

Zu fremden Leuten ging Katharina ungern, und die Barbara kannte sie kaum. Sie wußte nur, daß sie die Mutter von Hans-Kaspar war, der mit Anna hinters Haus ging und der am Vorabend in die Küche gekommen war, und sie war auch die Mutter von Lena, die mit ihr zur Schule ging. Lena hatte keinen Vater mehr, und sie kam immer barfuß. Einmal hatte Katharina gesehen, wie Lena mit einem Suppengeschirr aus der Armenstube kam.

Wenn Lena keinen Vater mehr hatte, dachte Katharina, dann hat ja die Barbara auch keinen Mann mehr. Wer schaut denn wohl nach dem Hof?

Eine Kuh stand am Wegrand und glotzte Katharina an.

Katharina dachte an ihre Kühe Bleß und Stern, die beide noch auf der Falzüber-Alp waren, und an ihre Kälber. Die Milch hatten sie in der »Meur« von der dritten Kuh, der Lobe, die als einzige im Sommer dablieb. Etwa in vierzehn Tagen, hatte der Vater kürzlich gesagt, kämen Bleß und Stern wieder zurück, und Katharina war neugierig, wie groß dann die Kälber sein würden. Auch auf Grosis Hof war nur eine Kuh zurückgeblieben für die Milch, sie hieß Bliiemli, und Katharina hatte Paul gestern abend zugeschaut, wie er sie gemolken hatte. Die andern waren auf der Alp, aber sie wußte nicht, wieviel es waren.

Als sie den Pfad einschlug, der jetzt vom Weg nach unten abbog, kläffte vor dem Haus ein Hund. Katharina blieb stehen.

Eine Frau trat aus der Tenne neben dem Haus und sah sich um. Uber dem Tennstor hing schief der gebleichte Schädel einer Kuh, ein Horn zeigte nach unten. Jetzt hatte die Frau das Mädchen erblickt.

»Was willst du?« rief sie.

Offenbar wußte sie nicht, wer dort stand. Zwei kleine Buben kamen zur Haustür heraus und starrten zum Weg hinauf. Der Hund war inzwischen zur Frau gelaufen und bellte an ihrer Seite ununterbrochen weiter.

Katharina überlegte einen Augenblick, was sie eigentlich wollte, und rief dann: »Ich bin die Katharina!«

Die Frau wußte immer noch nicht Bescheid.

»Was?« schrie sie zurück.

Die hielt sie wohl für ein Bettelkind, daß sie ihren lärmenden Hund nicht am Halsband packte. Es war nicht leicht, ihn zu übertönen.

»Ich komme vom Grosi in der ›Bleiggen‹«! rief Katharina so laut sie konnte, und versuchte sich zu erinnern, wie das Grosi eigentlich mit Vornamen hieß, denn das Grosi war sie ja nur für sie, aber nicht für die Frau dort, welche die Barbara sein mußte. Jetzt hatte diese aber offenbar begriffen, wer sie war. Sie faßte ihren Hund am Hals, ging mit ihm die paar Schritte zur Hundehütte, band ihn dort fest und rief dann: »Kannst kommen!«

Katharina ging den Pfad hinunter zum Haus, wo die Frau sie in einer unglaublich schmutzigen Schürze erwartete, zusammen mit den zwei Buben, die sich links und rechts an einer Rockfalte hielten. Der Rock der Frau war voller Löcher, und an den nackten Füßen trug sie Sandalen, die mit Schnüren zusammengebunden waren. In ihrem Blick war nichts Freundliches, als sie fragte, ob sie die Didi von der »Meur« sei, wo es ein Kindbett gebe.

Katharina nickte und sagte dann möglichst schnell, es seien zwei weiße Hühner in Grosis Garten, und das Bäsi meine, sie kämen von hier.

Als Barbara unnwirsch fragte, wieso von hier, sagte Katharina, beim Grosi hätten sie nur gesprenkelte. Das würde sie wundern, sagte Barbara, wenn ihr zwei Hühner davon wären, sie hätte den Stall nicht aufgemacht.

»Sepp!« rief sie ins Haus hinein, doch als niemand auftauchte, murmelte sie etwas von einem faulen Hund, hieß Katharina mitkommen und schlurfte um das Haus herum, gefolgt von den beiden Buben, deren Beine bis zu den Knien dreckig waren.