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Katharina stand auf einem Küchentaburett am Spültrog und versuchte mit einer Bürste die Kruste vom Boden der Pfanne zu kratzen. Sie hatte schon alle Teller und alle Kacheln abgewaschen und auf das Abtropfbrett neben dem Trog gestellt, den ersten Teller hatte sie an eine Kachel gelehnt, und die nächsten Teller an den ersten Teller, so daß sie nun schräg hintereinander standen wie eine Reihe von Suworows Soldaten, in die der Wind blies.

Das wäre doch eine kleine Arbeit für die Didi, hatte die Großmutter gesagt, und für die kleine Arbeit hatte sie »Ärbetli« gesagt, ein Wort, dem Katharina zutiefst mißtraute, denn fast immer stellte sich heraus, daß es sich um eine große, oft sogar besonders mühsame Arbeit handelte. Von einem »Ärbetli« sprach auch ihr Vater, wenn er sie in das Weinfaß schickte. Unten im Keller der »Meur« standen zwei große Weinfässer. War eines davon leer, konnte man beim Spund ein Türchen öffnen, das gerade groß genug war für ein Kind wie sie, und dann mußte sie hineinkriechen und die Wände und den Boden des Fasses mit einer Bürste und einem Scheuerlappen reinigen, während der Vater mit seiner Sturmlaterne hineinzündete. Das Weinfaß war so groß, daß sie sich in seinem Innern ganz aufrichten konnte, und als Katharina daran dachte, wie ihr Vater mit ihr die Kellertreppe hinunterstieg und wie er sie etwas hochhob, um ihr beim Hineinkriechen zu helfen, und wie er dann die ganze Zeit bei ihr blieb, um den weingetränkten Scheuerlappen auszuwringen, den sie ihm jeweils hinausreichte, und seinen Kopf durch das Türchen streckte, um ihr diese oder jene Stelle zu zeigen, wo der Weinstein noch nicht ganz weg war, und wie er sie wieder herunterhob, wenn sie fertig war, und er ihr dann eine ganze Handvoll Birnenschnitze gab, die er noch im Keller aus seiner Hosentasche zog, merkte sie, daß sie sich schon auf das nächste leere Weinfaß freute, obwohl ihr auch wieder mit Schrecken der Augenblick in den Sinn kam, als die Kerze in der Laterne erlosch und der Vater keine Streichhölzer bei sich hatte und nach oben gehen mußte, um welche zu holen und sie ganz allein im dunklen Keller zurückließ, im Bauch des noch dunkleren Weinfasses, umgeben von einer süßlich-sauer riechenden Finsternis, in der sie zu ersticken glaubte; damals hatte sie, auf den Knien und den Kopf am Türchen, laut und heftig zu weinen begonnen, zu brüllen fast, und als sich das schwankende Licht der Laterne wieder genähert hatte, bestand sie darauf, sofort aus dem Faß zu steigen, und der Vater mußte sie zuerst eine Weile in den Armen halten und ihr zusprechen, bevor sie wieder hineinkroch, um das »Ärbetli« zu beenden. Und sie wußte noch gut, wie er sie getröstet hatte, der Ätti, er hatte ihr gesagt, das könne eben einzig und allein sie machen, sie, Katharina, weil Jakob und Regula schon zu groß wären für die kleine Faßtüre, und wie froh er sei um sie, und daß er sonst gar nicht wüßte, wie er dieses Faß sauber bekäme.

Das hatte sie sonst nie gehört von ihm, daß er froh war um sie, und auch die Mutter hatte nie so etwas gesagt, nicht einmal, wenn sie bei der alten Elsbeth Eier holen ging. Wieso sollten Eltern auch froh sein um ihre Kinder? Kinder gab es einfach, sie kamen auf die rätselhafte Art zustande, über die Katharina ihre älteste Schwester zu befragen gedachte, sobald sie sie das nächstemal alleine sähe. Die Mutter hatte jedenfalls nicht ausgesehen wie jemand, der sich freut, als sie mit kalten Händen stöhnend in ihrem Bett lag.

Aber jetzt ging es ihr bestimmt wieder besser, sicher hatte sie viel Tee getrunken und lange geschlafen, außer wenn sie das Bébé geweckt hätte, weil es trinken wollte. Nun mußte also auch ihre Mutter einem Kleinen ihre Brust hinhalten, wie die Kläfi und die Base. Noch nie hatte Katharina die Brust ihrer Mutter gesehen, aber auf diesen Anblick war sie mindestens so gespannt wie auf den Anblick ihres neuen Schwesterleins.

Die Frauen hatten zwei Brüste, das war praktisch, wenn es Zwillinge gab. »Eine Mutter hat 2 Brüste und bringt Zwillinge zur Welt. Wieviele Brüste kommen auf ein Kind?« Katharina kicherte. So eine Rechnung würde nie im Büchlein stehen. Warum eigentlich nicht? Im Kapitel »Die Zahlen eins und zwei«? Von den Vätern stand doch auch alles mögliche in den Rechenaufgaben, zum Beispiel die wirklich kinderleichte Rechnung »Der Vater will unter seine 2 Kinder 2 Äpfel verteilen, wie viele Äpfel erhält jedes Kind?« Und darauf hatte Anna Elmer doch tatsächlich geantwortet: »Zwei«, Katharina konnte sich noch genau erinnern, vor allem weil Anna danach dem Lehrer Wyss ihre Hände hinhalten mußte und auf jedes eine Tatze bekam, das machte zusammen zwei Tatzen.

Aus der Stube hörte sie Kaspar muhen. Er durfte schon wieder mit dem Puppenhaus spielen, in das er gestern erbrochen hatte, und er brauchte ihr nicht einmal zu helfen in der Küche. Offenbar trieb er jetzt die Tiere in den Stall, denn nun blökte er auch noch wie ein Schaf, und kurz darauf bellte er. Katharina ärgerte sich. Sie wollte auch in die Stube zum Puppenhaus. Schließlich war Sonntag, und wenn von den Großen niemand arbeitete, wieso sollte ausgerechnet sie in der Küche stehen? Es war unglaublich, wie fest die Kruste an der Pfanne klebte, viel fester als der Weinstein am Faß, dabei hatte sie nicht nur einen Schuß Essig, sondern auch noch einen Löffel voll vom Sand dazugegeben, der in einer Dose neben dem Trog stand. Katharina stieg von ihrem Hocker, trug ihn zum Herd, über dem sich das Regal mit den Gewürzen befand, und holte sich das Glas mit dem Salz herunter. Sie griff mit einer Hand hinein und nahm sich soviel, wie sie mit drei Fingern fassen konnte, stellte das Glas auf den Herd, ging zum Spültrog hinüber und warf das Salz in die Pfanne. Dann holte sie ihr Taburett zurück, stellte sich darauf und begann zu bürsten, so stark sie konnte. »Wenn sanden nichts hilft, dann salzen wir eben«, sagte in solchen Fällen ihre Schwester Anna, der sie das abgeguckt hatte.

Immerhin mußte Katharina nicht zur Kirche, darüber freute sie sich. Heute war die Taufe von Kleopheas Säugling, da ging es noch länger als sonst. Und die Geschichte von Noah, die Pfarrer Mohr in der Kinderlehre zu Ende erzählen wollte, kannte sie ja jetzt von der Großmutter. Ob der Meergletscher noch von der Sintflut her so hieß? Der war doch auch vom Meer überschwemmt gewesen, samt dem Hausstock. Katharina konnte sich das fast nicht vorstellen. Dann wären ja auch in der »Bleiggen« die Fische über die Weiden geschwommen, ganz zu schweigen von der »Meur«, die unerreichbar tief auf dem Grund des Ozeans gelegen wäre.

Draußen krachte es, und unter den Beinen des Hockers miaute Züsi. Katharina warf einen Blick auf das Schüsselchen mit Brot und Milch, das die Base heute morgen neben dem Ofen für die Katze bereitgemacht hatte. Es war immer noch unberührt. Sie stieg vom Hocker, holte das Schüsselchen und stellte es Züsi vor dem Spültrog auf den Boden. »Nimm’s doch«, sagte sie, »etwas Besseres gibt es nicht.« Vorwurfsvoll starrten sie die zwei gelben Augen an, und das Miauen hörte nicht auf. Katharina packte den Kopf der Katze und drückte ihn ins Schüsselchen. Empört entwand sich Züsi ihrem Griff und flüchtete durch die Tür in die Stube.

»Wer nicht will, hat gehabt«, sagte Katharina und stieg wieder auf ihr Taburett. Als sie die Bürste zur Hand nahm, kam vom Herd her ein böses, scharfes Geräusch. Das Glas mit dem Salz war zersprungen, zwischen den beiden Hälften quoll es weiß heraus und begann sofort zu rauchen. Katharina hüpfte hinunter und stieß dabei ihren Hocker um. Das Schüsselchen für die Katze bekam einen Stoß und überschlug sich, die Milch floß unter den Rändern hervor und suchte sich einen Weg auf dem Küchenboden.

Katharina war verzweifelt. »Grosi!«, rief sie und stieß die Stubentür auf, »Grosi, ein Unglück!«

Erstaunt hob Kaspar seinen Kopf vom Puppenhaus, vor dem er mit zwei Schafen in der Hand kauerte. Gleich danach trat die Großmutter aus ihrem Zimmer in die Stube, gefolgt von der Base, die einen von Großmutters Zöpfen in den Händen hielt, während ihr die andere Hälfte des Haares über die Schultern hing.