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Margret wußte nicht recht, ob sie sich ärgern oder freuen sollte und entschied sich dann für das zweite. Alle waren so fröhlich und ausgelassen, daß sie nicht schmollen konnte.

»Fall mir nur nicht um«, sagte sie zu Paul, der immer noch keuchte, »sonst trag ich dich in die Küche.«

Paul lachte und rief Anna zu, hier seien ihre Hühner.

»Sind das unsere?« fragte Katharina erstaunt.

Nein, sagte Anna, die seien der alten Elsbeth fortgelaufen, die hätte sie schon überall gesucht, und sie werde sie ihr jetzt hinunterbringen, und Katharina und Kaspar könnten auch gleich mitkommen, die Eltern und das neue Schwesterlein warteten auf sie.

Katharina zuckte zusammen. Sie wollte nicht schon wieder zurück. Daß die Eltern auf sie warteten, mochte wohl sein, aber daß ein neugeborenes Schwesterlein schon auf sie warten konnte, schien ihr unwahrscheinlich, es kannte sie ja noch gar nicht.

»Sind sie das?« fragte Margret und zeigte Anna die beiden Hühner, die sich argwöhnisch gegen die Hauswand zurückzogen.

»Kann schon sein«, sagte Anna, »eine Henne soll einen bräunlichen Fleck am Bürzel haben.«

»Vom Scheißen«, sagte Paul und lachte, und alle Männer stimmten in sein Lachen ein.

»Hat sie auch, die rechts. Siehst du?« rief Margret und zeigte auf das Huhn, das zwischen den Blumenstengeln verschwand, »jetzt mußt du sie nur noch erwischen.«

Anna öffnete das Gartentörchen und ging vorsichtig ein paar Schritte an der Hauswand entlang. »Wo sind sie?« fragte sie leise.

»Da!« rief die Großmutter laut, die sich zum offenen Fenster hinauslehnte.

Erschrocken flatterten die Hennen auf und versuchten sich über den Zaun davonzumachen. Mit einem Aufschrei barg Katharina das Gesicht in ihren Armen, denn eines der Hühner flog genau auf sie zu. Johannes fing es ab, umklammerte es an den Beinen und hielt es sofort mit dem Kopf nach unten. Das Huhn wehrte sich mit heftigen Flügelschlägen, einer davon streifte Katharina, die so rasch zurückwich, daß sie Kaspar umschmiß, der hinter ihr stand.

Das zweite Huhn hatte den Sprung über den Zaun nicht geschafft; es war wieder ins Vorgärtchen zurückgefallen und rannte nun in höchster Angst am Zaun entlang, gefolgt von Anna, die es aber, da sie die Pflanzen schonen wollte, nicht erwischte. Da traf es ein Stein, den Hans-Kaspar geworfen hatte, am Kopf, es taumelte und blieb stehen, und geschickt packte es Anna an den Beinen und hob es mit dem Kopf nach unten in die Höhe.

Das entsetzte Gackern der Hühner, der Ruf nach Schnüren, das Weinen Kaspars, der ein Stück den Abhang hinuntergekugelt war, die Bravorufe der Männer, das Lachen der Frauen, das alles vermischte sich zu einem Lärm, der Katharina fast betäubte und sie gleichzeitig mit großem Glück erfüllte, fast wie der Gesang von gestern abend. Sie wollte Kaspar aufhelfen, aber der zog seine Hand, die Katharina ergriffen hatte, wütend zurück und rappelte sich alleine auf.

»Blöde Kuh«, sagte er nur.

»Muh!« antwortete Katharina und streckte ihm die Zunge heraus.

Den Hühnern wurden nun mit Schnüren, welche die Großmutter zum Fenster hinausgeworfen hatte, die Füße zusammengebunden, und dann wurden sie an einem Zaunpfahl aufgehängt, und ihr Gluckern wurde langsam leiser, als hätten sie gemerkt, daß sie ihrem Schicksal nicht entgehen konnten.

»So, wie war’s in der Kirche?« fragte die Großmutter, die immer noch am Fenster stand, »ist der kleine Nigg getauft worden?«

Ja, sagte Fridolin, es sei anzunehmen.

Was das heißen solle, fragte die Großmutter.

Man hätte eben kaum etwas gehört, sagte Fridolin, ein solcher Saukrach sei gewesen von den Felsabbrüchen, einmal habe sogar der Pfarrer Mohr den Siegrist mitten in einem Lied hinausgeschickt, um nachzuschauen, ob etwas passiert sei. Und gerade bei der Taufe sei wieder eine Ladung gekommen, und da wären sie eben alle hinausgerannt. Ein paar Brocken seien bis hinter die Wirtschaft »Zum Martinsloch« gerollt, aber haargenau, und einer sei knapp daran vorbei und liege nun mitten im Raminerbach, das Wasser staue sich schon.

»Noch ein paar mehr, und ihr habt hinter der ›Meur‹ einen See!« sagte Paul und grinste.

»Und die Kathrin und das Kind?« fragte die Großmutter, zu Anna gerichtet.

Es gehe ihnen gut, aber Mutter habe ziemlich viel Blut verloren und sei noch sehr schwach. Jedenfalls sei sie noch nicht aufgestanden heute, sagte Anna. Und dem Kind fehle nichts, trinken tue es gut.

»Gottseidank«, sagte die Großmutter.

Ob denn die Kleinen bereit seien zum Mitkommen, fragte Anna.

Nein, sagte Katharina, sie wolle lieber hier Mittag essen. Aus dem offenen Fenster schwebte ein verheißungsvoller Duft, es roch fast wie an Neujahr.

Als Anna die Einladung zum Mittagessen ablehnte, weil man sie in der »Meur« unten brauche, sagte die Großmutter, sie nehme dann die Kinder am Nachmittag mit, und Anna solle doch noch ein paar Dahlien pflücken für die Kathrin.

Auf einmal erschien die Katze auf dem Fenstersims.

»Züsi!« rief Anna, »du Landstreicher, kommst du mit mir und den Hühnern?«

Züsi schmiegte sich schnurrend an den Ellbogen der Großmutter. »Die bring ich dann mit«, sagte diese, »wenn ich mit den Kindern komme.«

Im Untertal verstehe niemand, wie die Katze den Weg in die »Bleiggen« gefunden habe, sagte Anna, und auch noch das mit den Hühnern, ein Rätsel sei das.

»Die Tiere haben halt auch ihre Launen«, sagte Paul, »wie die Kinder, gell, Didi?« und gab Katharina einen Klaps auf die Schulter, der sie fast umstieß.

»Ja«, sagte Katharina, und fügte dann schnell hinzu: »Vielleicht haben sie Angst.«

Alle schwiegen einen Moment, überrascht von der Antwort, dann sagte die Großmutter, sie sollten hereinkommen, gleich stehe das Essen auf dem Tisch.

Wenig später waren nur noch Katharina, Hans-Kaspar und Anna draußen, Hans-Kaspar sagte zu Anna, er käme heute gegen Abend nochmals in die ›Meur‹, es begann wieder zu regnen, und als Anna auf dem Fußweg talwärts ging, in einer Hand einen Strauß roter Dahlien, in der andern die Schnur, an der die leise gackernden Hühner baumelten, und sich vor dem Wäldchen noch einmal umdrehte und ihr und Hans-Kaspar mit dem Blumenstrauß zuwinkte, spürte Katharina einen Klumpen im Hals, der schlimmer war als der Kropf, an dem Großvater gestorben war.

17

»Nein«, sagte Katharina.

Die Großmutter hatte sie gerade aufgefordert, sich bereitzumachen, um mit ihr und Kaspar in die »Meur« zu gehen. Katharina kniete vor dem Puppenhaus in der Stube und hatte die ganze Knöchelfamilie vor dem Haus versammelt, Vater, Mutter, Knecht und Magd samt drei Kindern standen in einer langen Reihe. Katharina war daran, die zwei Kühe aus dem Stall zu holen und zu den Schafen, den Schweinen und dem Hund ans Ende der Reihe zu stellen. Die Hühner hatte sie vorher zuoberst auf den Schieferofen gebracht, wo es ein kleines, warmes Bettlager gab, auf das sich die Großmutter nach dem Mittagessen kurz hingelegt hatte, bevor sie in ihr Zimmer gegangen war, um sich für den Besuch im Untertal anzuziehen. Dieses Bettlager war nur erreichbar, wenn man hinter dem Ofen drei hohe Tritte hinaufstieg, und Katharina hatte jedes der sechs Hühner einzeln hochgetragen. Auf Kaspars Frage, wohin die Bibi gingen, hatte sie geantwortet, in die »Bleiggen«. Und nun hatte die Bauernfamilie beschlossen, die Hühner suchen zu gehen, und alle kamen mit, auch die Tiere, denn gerade sie wollten unbedingt wissen, wohin die Hühner verschwunden waren.

»Aber Kind«, sagte die Großmutter, »willst du denn dein Schwesterlein nicht sehen?«

»Nein«, sagte Katharina und hob die zweite Kuh von ihrer Krippe weg und gesellte sie zur ersten, die bereits zwischen einem Schwein und dem Hund stand.

»Und warum nicht?« fragte die Großmutter.

»Ich kann noch lange genug Kindsmagd sein.«

Davon hatte ihr die Mutter schon mehrmals gesprochen, wie sehr sie auf sie zähle, wenn das Kleine einmal auf der Welt sei.