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Die Großmutter schüttelte den Kopf. »Hör jetzt«, sagte sie dann zu ihr, »du hilfst nun dem Kaspar, seine Schuhe und seine Pelerine anzuziehen, und du ziehst sie am besten auch gleich an und machst euer Bündelchen bereit, das Bäsi kann dir dabei helfen.«

Widerwillig erhob sich Katharina, nahm Kaspar bei der Hand und ging mit ihm durch die Küche in den Vorraum. Vom Tisch, an dem sie vor kurzem alle gesessen hatten, ging immer noch ein Duft nach Schinken und Kohl aus, der Katharina angenehm in die Nase stieg und sie an das wunderbare Essen erinnerte, das ihr warm im Magen lag. Zwar hatten sich die Männer fast während des ganzen Essens gestritten, immer über dasselbe, nämlich ob das etwas zu bedeuten habe, wenn während eines Gottsdienstes ein solcher Steinschlag sei, und ob man deswegen im Schiefer nicht mehr arbeiten dürfe, und wer darüber überhaupt zu bestimmen habe, ein Förster aus Glarus oder einer aus Matt, oder sie hier in Elm, und wenn Paul mit donnernder Stimme von den paar Steinchen sprach, neigte Fridolin seinen Krauskopf etwas zur Seite und sagte dauernd, man dürfe nicht vergessen, man müsse auch bedenken, man solle sich doch vorstellen, und Johannes nickte abwechselnd zum einen und zum andern und sah etwas unglücklich aus, denn am liebsten hätte er einfach gegessen und sich still gehalten. Die Frauen schienen keine Meinung zu haben, worüber sich Katharina wunderte, aber die Base sagte nichts, und die Großmutter warf von Zeit zu Zeit ein, sie sollten sich nicht streiten an einem Sonntag, und wer noch mehr Schinken oder Kohl wolle. Immer, wenn Fridolin sprach, ließ Katharina ihre Gabel sinken und hörte auf zu kauen, und wenn Paul das Wort hatte, schaute sie auf ihren Teller und aß weiter.

Nachher waren sie einträchtig ins Dorf aufgebrochen, Fridolin wollte seinen Wochenlohn vom Schieferwerk abholen, Johannes wollte ins Wirtshaus, und Paul wollte zum Schindelmacher nach Steinibach, weil das Stalldach neu gemacht werden sollte.

Als Katharina vor ihrem Bruder kniete, der auf dem Schuhbänklein saß, und ihm seine Füße in die Schuhe drückte, hörte sie die Katze miauen. Züsi stand auf der Schwelle zur Küche und rieb sich ihren Buckel am Türpfosten.

Katharina ließ den Schuh fallen, den sie in der Hand hatte, und ging durch die Küche in die Stube zum Zimmer der Großmutter. »Grosi«, sagte sie, als sie unter der Tür stand.

Das Grosi saß auf einem Stuhl und hatte ein geöffnetes Schmuckkästchen auf den Knien. Sofort vergaß Katharina, was sie die Großmutter hatte fragen wollen, und blickte staunend auf den Silberschatz, der ihr aus dem kleinen Behälter entgegenblitzte. Ketten sah sie, und Armreifen, und Fibeln, und war das nicht eine Perlenschnur, die dort über den Rand hinaushing? Wo war sie hier, in Grosis Schlafgaden in der »Bleiggen« oder beim Kaiser von China?

»Die da«, sagte die Großmutter und hielt eine Brosche in die Höhe, »die da ist für die kleine Fämmi. Sie ist noch von meiner Großmutter. Gefällt sie dir?«

Katharina kam näher, und die Großmutter legte ihr die Brosche in die Hände. Es war eine zierliche, silberne Blume.

Katharina nickte. Natürlich gefiel sie ihr. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, daß eine solche Brosche jemandem nicht gefiel.

»Jede Enkelin«, sagte die Großmutter, »bekommt von mir zur Geburt einen kleinen Schmuck. Du hast auch einen, gell?«

Jetzt kam Katharina in den Sinn, daß ihre Mutter eine Haarspange für sie aufbewahrte. »Ja«, sagte sie, »aber ich darf sie erst bei der Konfirmation tragen.«

»Dann bist du auch groß genug und kannst darauf aufpassen. Und nachher hast du sie ein ganzes Leben.«

Katharina fand zwar, auf eine Haarspange könnte sie schon jetzt aufpassen, doch sie widersprach nicht.

Als die Großmutter die Brosche in ein Seidenpapier einwickelte und das Schmuckkästchen wieder schloß, erschien Kaspar mit einem Schuh in der Hand.

»Schuhe anziehen«, sagte er vorwurfsvoll zu Katharina.

»Ja«, sagte das Grosi, »macht vorwärts!«

Nun kam Katharina wieder in den Sinn, was sie hatte fragen wollen.

»Grosi«, sagte sie, »was machen wir mit Züsi?«

Die Großmutter sagte, sie hole gleich den Deckelkorb in der Küche, und Katharina solle Züsi einfangen und ihr bringen.

Kaspar war vom Gehörten begeistert. »Züsi fangen!« rief er, rannte mit seinem Schuh in der Hand zur Küchentür und warf ihn auf die Katze, die sofort die Treppe hinauf in den oberen Stock entwischte.

»Dumm, dumm, dumm!« rief Katharina ihrem Bruder zu, »so vertreibst du sie!«

Kaspar ließ sich nicht beirren und kraxelte die Treppenstufen hoch. Als ihm allerdings vom obersten Absatz die Katze entgegenfauchte, ließ sein Eifer etwas nach, und er blickte sich nach seiner Schwester um. Die ging an ihm vorbei auf Züsi zu, der sie ruhig zuzusprechen versuchte. »Komm«, sagte sie so lieb wie möglich, »komm, du darfst wieder nach Hause.«

Aber Züsi hatte offensichtlich keine Lust, nach Hause zu gehen, sie flüchtete vor Katharina die nächste Treppe hinauf, die in den obersten Stock führte, wo Johannes und Fridolin ihre Schlafkammern hatten. Dort war Katharina noch nie gewesen, und nur zögernd setzte sie ihren Fuß auf die erste Stufe. »Jetzt geht sie ganz hinauf!« schrie sie ihrem Bruder wütend zu, der nun den ersten Stock auch erreicht hatte.

»Kommt, Kinder!« rief die Großmutter von unten, »zieht euch zuerst an, dann kommt die Katze von selber herunter!«

Hinter Bäsis Tür begann die kleine Anna zu greinen. Die Tür öffnete sich, und die Base schaute verärgert heraus. »Was ist das für ein Mordskrach?« fragte sie, »jetzt habt ihr mir die Kleine geweckt!« Betreten schlichen Katharina und Kaspar an ihr vorbei und gingen die Treppe hinunter. Die Großmutter setzte Kaspar auf das Schuhbänklein und steckte ihm den einen Fuß in den Schuh, den er Züsi nachgeworfen hatte. Dann band sie ihm die Schnürsenkel zu, worüber Katharina sehr froh war, denn das konnte sie nur bei sich selbst. Wenn sie es bei Kaspar machen sollte, mußte sie sich hinter ihn stellen und ihm von hinten an die Schuhe greifen, damit sie die Schuhbändel vor sich hatte, als ob es ihre eigenen wären, und wenn sich Kaspar, dem das gar nicht gefiel, dabei umdrehte, dann war alles verloren, und sie konnte wieder von vorn anfangen.

»So, Didi, und deine Schuhe?« fragte die Großmutter.

Katharina war immer noch in den Socken und merkte, daß sie danebenstand und zuschaute wie jemand, der nicht mitkommt. Sie hatte weder begonnen, ihre Pelerine anzuziehen noch ihr Bündelchen zu packen.

»Ich komme nicht mit«, sagte sie. Das Blut schoß ihr in den Kopf. Was hatte sie da gesagt?

Das durfte man doch gar nicht. Sie war noch klein, so klein, daß man ihr nicht einmal eine Haarspange gab, die doch ihr gehörte, und die Großmutter war groß, und mit einem solchen Satz durfte man ihr nicht kommen. Aber eigentlich war es ihr, als hätte sie ihn gar nicht selbst gesagt, sondern eine zweite Katharina, die irgendwo in ihrem Bauch wohnte.

»Was hast du gesagt?« fragte die Großmutter denn auch prompt, und Katharina, die eigentlich sagen wollte, sie ziehe gleich die Schuhe an, wiederholte diesen verbotenen Satz nochmals: »Ich komme nicht mit.«

Sie senkte den Kopf, denn sie war sicher, daß sie gleich eine Ohrfeige bekäme oder daß sie das Grosi mindestens an den Zöpfen ziehe. Statt dessen fragte Grosi etwas Unerwartetes: »Wann willst du denn wieder heim?«

Das hatte sich Katharina nicht überlegt, aber die zweite Katharina meldete sich wieder, und ihre Antwort kam wie von selbst: »Morgen nach der Schule«, sagte sie, »ich kann doch von hier aus in die Schule, oder?«

Als die Großmutter keine Antwort gab, fügte sie hinzu: »Ich kenne ja den Weg.«

Und als die Großmutter immer noch stumm blieb, rief ihr die innere Katharina fröhlich zu: »Ich kann mit Lena hinuntergehen!«

Und je länger die große Großmutter schwieg, desto kleiner wurde sie, und desto größer wurde die Katharina in ihrem Innern.

»Du Trotzkopf«, sagte das Grosi.

Die beiden Katharinas jubelten lautlos. Sie wußten, daß sie gewonnen hatten.