Выбрать главу

Auch als die Großmutter noch hinzufügte: »Den Dickschädel hast du von deinem Vater«, hätte sie gerade so gut sagen können: »Also meinetwegen.« Und genau das sagte sie jetzt: »Also meinetwegen«, und damit es nicht allzu lieb klang, sondern ein bißchen streng, wie man das von einer Großmutter erwartete, ließ sie noch einen Nachsatz folgen: »Dann bleib halt.« Aber es klang nicht streng in Katharinas Ohren, sondern es klang wie ein lustiges Lied, bleiben durfte sie, wie gut hörte sich das an, sie fühlte sich wie der Floh im Elsaß, und auch als Grosi einen noch strengeren Satz anhängte, einen bösen eigentlich, damit wirklich klar war, daß sie streng und böse sein mußte mit einem derart unfolgsamen Kind, klang es für Katharina schmeichelnd und lieb, »dann geh ich eben mit Kaspar allein«, ja, dann sollte sie eben mit Kaspar allein gehen, das war genau das richtige, dann brauchte Katharina ihm nicht dauernd zu helfen, beim Brünzeln, beim Kotzen und beim Wassertrinken, und sie mußte auf niemanden aufpassen als auf sich selbst, und auch als jetzt die Base von oben rief, dann könne ihr ja die Didi die Kleine hüten, änderte das nichts an Katharinas Hochgefühl, denn die Didi, das war die Katharina, welche die andern kannten, die, die jetzt mit beiden Händen Kaspar die Pelerine hinhielt, aber irgendwo in ihr drinnen war die wirkliche Katharina, die kannte nur sie, die saß auf einer goldenen Kugel, mit einer silbernen Spange im Haar, und wußte genau, was sie zu tun hatte, und diese Katharina hatte sich durchgesetzt.

18

»Wollt ihr wohl?« sagte Katharina zu den Schafen, die auf der Türschwelle zu Grosis Zimmer standen. Sie waren als einzige nicht aus Knöchelchen gemacht, sondern aus kleinen Tannenzapfen, und als Beine hatten sie Streichhölzer. Ein feiner Duft nach Harz ging von ihnen aus.

Die Schafe blökten und wichen nicht von der Stelle. Als ob sie nicht wüßten, daß sie im Schlafgaden der Großmutter nichts zu suchen hatten.

»Dann muß der Sultan her«, sagte Katharina und holte den Hund, der auf einem der Ofentritte stehengeblieben war, als er eine Kuh hinaufgetrieben hatte. Sie stellte ihn hinter die kleine Herde, und nun bequemte sich ein Schaf nach dem andern, den langen Weg auf den Schieferofen unter die Füße zu nehmen, gefolgt vom schwarzen Sennenhund, der ihnen manchmal sogar nach den Hinterbeinen schnappte. Katharina, die auf den Knien rutschte, hob die Tiere auf und setzte sie in kurzen Abständen wieder auf den Boden, und so rückte die Herde langsam an den Fuß des Ofens.

Die kleine Anna war in einen Korb gebettet, der neben dem Ofen stand, und als der Hund wieder einmal ein langsames Schaf anbellte, begann sie zu weinen. Das war ärgerlich, denn die Schafe waren noch nicht an ihrem Ziel, und Katharina wollte sie zuerst zur Bauernfamilie bringen.

»Achtung, der Lämmergeier!« rief sie, packte zwei Schafe auf einmal und trug sie rasch auf den Ofen, wo sie mit tiefer Stimme »Brave Schafe!« sagte. Der Bauer hatte gesprochen. Dann verfuhr sie mit den andern ebenso, und nun war die ganze Familie mit allen Tieren auf dem Ofen versammelt, und Menschen, Schafe, Schweine, Kühe, Pferde, Ziegen und Hühner blickten vom Rand des Ofens in die Stube hinunter.

Jetzt holte Katharina das Kind aus dem Bettchen. Wie schwer so ein Säugling war! Sie ließ sich auf einem Stuhl am Tisch nieder und setzte sich das Kind aufs Knie. Das schien diesem zu gefallen, jedenfalls hörte es auf zu weinen und schaute sich in der Stube um.

»Alle sind dort oben«, sagte Katharina und zeigte zur Puppenfamilie. »Sie haben die Hühner gesucht, und jetzt haben sie sie gefunden. Siehst du die Hühner?«

Aber das kleine Kind schaute nicht zum Ofen hinauf, sondern auf den Boden hinunter.

»Die Hühner hatten Angst vor den Steinen und sind geflüchtet, ganz weit hinauf. Dort hinauf.« Katharina zeigte nochmals auf den Ofenrand knapp unter der Stubendecke, und als das Kind einfach nicht dorthin schauen wollte, nahm Katharina sein Kinn in die Hand, drehte es zum Ofen und drückte es dann nach oben. Das Kind begann zu klagen, wandte sein Köpflein zur Seite und stemmte sich mit den Füssen gegen Katharinas Oberschenkel. Katharina ließ ihre Hand sinken, und sofort schaute die kleine Anna wieder auf den Boden.

»Dann schau halt hin, wo du willst«, sagte Katharina. So ein Kind war wohl wirklich noch zu klein, um ihm etwas beizubringen. Oft konnte sie ja nicht einmal Kaspar dazu bewegen, das zu tun, was sie wollte, und der war immerhin schon vier. Vor zwei Stunden war er an der Hand der Großmutter den Weg ins Dorf hinuntergegangen. Wie ein Zwerglein hatte er ausgesehen in seiner Pelerine. Katharina hatte ihnen aus dem Stubenfenster nachgeblickt, die Großmutter trug am freien Arm den großen Schirm und den Deckelkorb, den sie mit zwei Schnallen verschlossen hatte, denn Züsi hatte sich fast nicht einsperren lassen, und ihr Miauen war noch zu hören, als die beiden im Wäldchen verschwanden. Der Base war es gelungen, Züsi auf der oberen Treppe einzufangen, und sie hatte noch einen Kratzer an der Hand erwischt, den ihr die Großmutter nachher mit Branntwein behandelte. Als Kaspar sah, daß seine Schwester noch dableiben durfte, wollte er zuerst auch nicht gehen.

»Will auch bleiben«, hatte er gesagt und sich in seiner Pelerine wieder auf das Schuhbänklein gesetzt.

»Kannst denken«, hatte die Großmutter gesagt und ihn sogleich wieder an der Hand in die Höhe gezogen, da hatte er sich gefügt. Inzwischen mußten sie in der »Meur« angelangt sein und hatten sicher beide schon das Schwesterlein gesehen. Ob es ihre Eltern wirklich Euphemia nennen würden, wie das die Großmutter wollte? Sie hatte ihren Schmuck so selbstverständlich für die kleine Fämmi bereitgemacht, als ob das Kind schon längst auf diesen Namen getauft sei. Vielleicht, dachte Katharina, hätte sie doch mitgehen sollen, nur um zu sagen, daß sie Vreneli besser fände. Aber auf sie würde man doch nicht hören, also konnte sie gerade so gut noch hierbleiben und ganz allein mit den Puppen spielen und dazu die kleine Anna hüten, die schon wieder auf den Boden schaute statt zum Ofen hinauf.

Als nun Katharina auch auf den Boden schaute, merkte sie erst, was Annas Blick anzog. Da stand immer noch der kleine schwarze Sennenhund und wartete darauf, daß ihn ein Lämmergeier oder eine Hand, die einen Lämmergeier spielte, zu der Bauernfamilie und ihren Haustieren hochtrug.

»Armer Sultan«, sagte Katharina, »bist du ganz allein zurückgeblieben?«

Sie nahm die kleine Anna in beide Arme und wollte aufstehen, um sie wieder in ihren Korb zurückzulegen, aber bevor sie sich erheben konnte, fing Anna wieder an zu weinen, und Katharina behielt sie auf ihren Knien.

»Du mußt warten«, sagte sie zu dem verlassenen Sultan, »ich bring dich dann schon zu den andern.« Und sie ließ Anna auf ihren Knien ganz leicht auf und ab hopsen, was sie wieder beruhigte. Als diese jedoch nicht aufhörte, auf den Boden zu starren, fragte Katharina: »Willst du züm Wauwau?« Ohne abzuwarten, legte sie die Kleine auf dem Bauch direkt vor den Knöchelhund, aber Anna brach sogleich in durchdringendes Geschrei aus. Unwillig packte Katharina sie wieder und versuchte sie mit dem Rücken an die Wand des Schieferofens zu setzen. Anna sank zur Seite und konnte sich nicht wieder aufrichten, und sie begann zu jammern. Da setzte sich Katharina selbst mit dem Rücken an den Schieferofen, spreizte ihre Beine und setzte Anna vor sich hin, indem sie sie mit beiden Armen umfing. In dieser Stellung, die Anna endlich zu behagen schien, wartete sie ein Weilchen. Sie ließ ihre Zöpfe vor der Kleinen hin- und herbaumeln, und Anna schaute zuerst zu, und dann griff sie solange danach, bis sie einen erwischt hatte, um den sie ihre kleine Faust schloß. Als sie daran zog, stieß Katharina einen kleinen Schmerzensruf aus, und das Händchen gab den Zopf wieder frei. Katharina schwang die Zöpfe hinter ihren Kopf, löste dann vorsichtig einen Arm und streckte ihn nach dem Hund aus.

In dem Moment wurde ein Kanonenschuß auf das Haus abgefeuert, der sämtliche Scheiben erzittern ließ. Katharina hörte das Bäsi im oberen Stock aufschreien. Sie ließ die kleine Anna zu Boden sinken und rannte zum Stubenfenster. Uber dem Plattenberg stieg eine böse dicke Rauchwolke auf, nicht von einem Feuer und nicht von einer Kanone. Da mußte etwas Mächtiges abgebrochen sein, mehr als ein Felsblock, ein Stück vom Berg.