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Jörn wandte sich zu Katha. „Deine Strafe wird später kommen!“

Sie beugte ihren Kopf und blickte dann auf. Harkins stellte erstaunt fest, daß in ihren Augen unverkennbare Liebe für Jorn geschrieben stand.

Jörn deutete auf den Wald. „Verschwinde!“

„Jetzt gleich?“

„Jetzt“, sagte Jörn. „Am Morgen darfst du nicht mehr hier sein. Ich hätte gleich nicht erlauben dürfen, daß du hier bleibst.“

3.

Das Glück schien ihm im Augenblick alles andere als wohlgesinnt zu sein, dachte Harkins, als er am Waldrand stand. Es war wirklich eine Ironie des Schicksals, ihn zuerst mit einer Art von Zivilisation in Verbindung zu bringen und ihn dann wieder in die Unsicherheit des Waldes hinauszustoßen.

Es begann zu dämmern. Er hatte den Großteil der Nacht damit verbracht, auf der Lichtung auf- und abzugehen, um den gefürchteten Augenblick so weit wie möglich hinauszuschieben, wo er wieder in den Wald eindringen mußte. Er hatte nicht die geringste Lust, das zu tun, solange es noch dunkel war, wenn er auch wußte, daß es mindestens ebenso gefährlich war, nach Tagesanbruch in der Nähe des Dorfes gefunden zu werden.

Er zog sich an den Rand der Lichtung zurück und wartete.

Eine Zeitlang hatte man Schläge gehört, die von Jörns Hütte herüberhallten, dann war es ruhig geworden.

Jörn hatte richtig gehandelt, indem er ihn ausstieß, gab Harkins zu. In einer Stammesordnung von dieser Art mußte die Autorität des Häuptlings unter allen Umständen gewahrt werden, und jedermann, der auch nur im entferntesten Anstalten machte, ihm eben diese Autorität streitig zu machen, selbst gegen seinen Willen, so wie Harkins, mußte ausgestoßen werden.

Nur — es würde nicht gerade ein Vergnügen sein, allein mit dieser wilden Welt fertig zu werden …

Als die ersten schwachen Strahlen der Sonne den Horizont zu erhellen begannen, ging Harkins in den Wald. Beinahe im gleichen Augenblick veränderte sich die Luft, es wurde kühler und feuchter. Der dichte Vegetationsvorhang, der wie ein Dach über dem Wald lag, ließ kaum das Sonnenlicht eindringen. Harkins schritt vorsichtig aus und folgte dem niedergetretenen Pfad, den der Sternriese hinterlassen hatte.

Irgendwo in der Nähe mußte die Tunnelstadt sein. Das stand fest, denn in einer nicht-technisierten Gesellschaft wie dieser hier war es unmöglich, über eine größere Entfernung hinweg Krieg zu führen. Und die Tunnelstadt, was auch immer das sein mochte, war bewohnt. Er hoffte nur, daß er sie fand, ehe er im Dschungel auf irgendwelcheGefahren stieß. Als Ausgestoßener aus Jörns Gruppe würde er vermutlich dort Zuflucht finden.

Plötzlich war vor ihm das Geräusch von zerbrechendem Holz zu hören. Er preßte sich an einen moosbedeckten Felsen und spähte in die Ferne.

Über den Bäumen war der rotbraune Kopf eines Sternriesen zu sehen, der durch den Wald schritt. Harkins spielte einen Augenblick mit dem Gedanken, auf den Riesen zuzugehen, überlegte es sich dann aber anders und schlug einen Bogen. Der Sternriese hatte ihn einmal leben lassen, aber er wußte nicht, wie es beim nächsten Zusammentreffen sein würde.

Außerdem hatte er in dieser Beziehung ohnehin keine Wahl, denn der Riese entfernte sich schnell von ihm, wobei er mit jedem Schritt wenigstens zwölf Meter zurücklegte.

Harkins sah dem riesigen Wesen nach, bis es ihm aus den Augen entschwand und folgte dann seiner Spur. Vielleicht führte sie sogar zu der Tunnelstadt, dachte er — vielleicht aber auch nicht. Im Augenblick hatte er nur wenig zu verlieren, ganz egal, welchen Weg er einschlug.

Aber er hatte sich geirrt — der andere Weg wäre vielleicht gefahrlos gewesen, dieser hier wurde ihm von einem fleischgewordenen Alptraum versperrt.

Plötzlich tauchte ,es’ vor ihm auf. Seine sechs Beine waren gegen zwei dünne Bäume gespreizt. Das Wesen besaß ein Paar zähnefletschender Mäuler. Rasiermesserscharfe Zähne glitzerten im grünlichen Zwielicht des Waldes.

Harkins erstarrte förmlich in seiner Bewegung. Er war unfähig, sich umzudrehen und davonzulaufen, brachte es aber auch nicht fertig, einfach die Offensive zu ergreifen. Das Heulen des Scheusals wurde immer schriller …

Und dann begann es sich vorwärtszubewegen. Harkins spürte, wie ihm der Schweiß über den Rücken lief. Das Tier hatte einen weißen Pelz und glich in etwa einem Wolf — und es war sichtlich hungrig. Harkins zog sich schrittweise zurück, während die Bestie sich zum Sprung anschickte.

Ohne bewußt zu denken, tastete Harkins nach einem abgestorbenen Baum hinter sich und riß an einem der Äste. Er brach ab und überschüttete ihn mit morscher Borke. Als das Monstrum sprang, wirbelte er die provisorische Keule nach Art eines Baseballschlägers um sich.

Sie krachte in das weitaufgerissene Maul des einen Kopfes der Bestie, und die Zähne splitterten an dem trockenen Holz. Harkins sprang mit einem Satz vor und zwängte den Ast zwischen die Kinnladen des zweiten Kopfes, so daß sie sich nicht mehr bewegen konnten. Das Tier versuchte Harkins mit seinen Krallen zu erreichen, aber dazu waren die Vorderbeine zu kurz.

Die Partie war unentschieden. Harkins hielt das Tier auf Armeslänge von sich. Es knurrte und zischte, war jedoch nicht imstande, ihn zu erreichen. Er wagte nicht, die Keule loszulassen, aber er wußte natürlich, daß seine Kräfte nicht ewig ausreichen würden.

Langsam drängte das Tier ihn nach rückwärts. Harkins spürte, wie seine Oberarmmuskeln von der ungewohnten Anstrengung zu erlahmen drohten. Er schob nach vorne, und die Bestie heulte vor Schmerz auf. Die Zähne des zweiten Kopfes schnappten wütend.

Über sich hörte Harkins fremdartige Vogelschreie, und als er aufblickte, sah er ein paar große Vögel mit bunten Schnäbeln geduldig auf einem Ast warten. Er hatte noch nie solche Vögel gesehen, wußte aber sehr wohl, welche Funktion sie in diesem Wald erfüllten. Es waren Geier, die nur darauf warteten, daß der Kampf sich entschied.

Und das würde bald der Fall sein. Harkins würde die wütende Bestie nicht mehr lange zurückhalten können. Seine Finger zitterten schon, und bald würde ihm der Ast entfallen. Und dann …

Eine blitzende metallische Hand griff plötzlich von irgendwo über ihm herunter, und im gleichen Augenblick ließ der Druck nach. Zu seiner grenzenlosen Verblüffung sah Harkins zu, wie die Hand das Tier in die Höhe zog.

Er folgte ihm mit den Augen. Über ihnen stand ein Roboter und betrachtete die wilde Bestie, die er in der Hand hielt. Harkins blinzelte. Er war so mit dem Tier beschäftigt gewesen, daß er das Kommen des Roboters gar nicht wahrgenommen hatte.

Der Roboter packte das Tier an seinen beiden Hälsen und drückte. Dann warf er den noch zuckenden Kadaver in das Gebüsch, wo er noch ein paar Augenblicke um sich schlug, ehe er erschlaffte — und dann setzte der Roboter seinen Weg durch den Wald fort, während die „Geier“ von ihrem Ast herunterschwebten und sich ihrer Beute annahmen.

Harkins sank auf einen bemoosten Baumstumpf und atmete ein paarmal tief ein und aus. Sein überbeanspruchter Arm zitterte so stark, daß er nicht imstande war, ihn wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Es war gerade, als wäre der Roboter mit dem Auftrag ausgeschickt worden, das Raubtier zu töten — und dann nach getaner Arbeit wieder zu seinem Stützpunkt zurückgekehrt, ohne sich weiter für Harkins zu interessieren.

Ich bin nur eine Schachfigur, dachte er plötzlich. Der Gedanke traf ihn wie ein körperlicher Schlag. Das war es: eine Schachfigur!

Er wurde hin- und hergeschoben wie eine Figur auf dem Brett. Man hatte ihn aus seiner eigenen Zeitepoche herausgerissen, ihn in Jörns Dorf geworfen, ausgestoßen und ihn von einer tödlichen Gefahr in die andere geschoben.