Flint lehnte sich auf der Bank wieder vor und senkte seine tiefe Stimme zum Flüstern. »Letzte Woche tauchte diese Frau auf einmal auf und behauptete, sie würde meine Arbeit aus der Zeit kennen, wo Tanis und ich in Qualinost lebten.
Daraus habe ich natürlich gefolgert, daß sie Elfin ist, aber sie sah gar nicht aus wie eine Elfin, jedenfalls nicht wie eine gesunde Elfin. Sie war bestimmt das blasseste Geschöpf, was ich je gesehen habe – durchsichtig wie der Tod persönlich –, und trug nur reine Seide.«
»Vielleicht war sie eine Untote oder ein Sukkubus, der gekommen war, um dich zu verführen und dir die Lebenskraft auszusaugen!« schlug Tolpan eifrig vor.
»Sie war viel zu nervös, um irgend jemanden zu verführen«, sagte Flint.
»Ein Sukkubus wäre bestimmt nervös«, überlegte Tolpan.
»Tolpan, kannst du ihn nicht ausreden lassen?« mischte sich Tanis ein und brachte den wild spekulierenden Kender so zum Schweigen.
»Jedenfalls«, fuhr Flint fort, »hat sie gesagt, daß sie dieses Armband brauchte, aber es müßte ganz genau nach ihren Anweisungen hergestellt werden. Ich habe ihr gesagt, ich könnte alles machen, egal, wie sie es wollte. Da gab sie mir einen Haufen Zeichnungen und sagte: ›Macht es ganz genau so.‹
Nun, ich habe schon eher Sachen für Leute hergestellt, die von Details besessen waren, aber das war unglaublich. Jedes Stückchen des Armbands war auf dem Papier ganz genau beschrieben und vorgezeichnet. Und zu alledem gab sie mir noch ein Säckchen mit Kupferbarren, Edelsteinen, Pülverchen und Gläschen mit Flüssigkeiten, die noch in das Metall gemischt werden mußten. Sie hat gesagt: ›Alles, was Ihr braucht, ist in diesem Sack.‹ Sie hat mich sogar ausdrücklich gebeten, mein Zeichen nicht darauf zu machen.«
Flint lehnte sich zurück. »Das hat mich natürlich etwas befremdet. Warum will sie ein Original von Flint Feuerschmied, wenn sie sein Zeichen nicht will? dachte ich mir.«
Tanis war erstaunt. »Das ist wirklich komisch. Ich hoffe, sie hat dich gut bezahlt.«
»Das ist es ja gerade«, sagte Flint mit verwirrtem Gesichtsausdruck. »Ich fand die ganze Sache so seltsam, daß ich ihr einen für meine Begriffe unverschämten Preis nannte. Sie hat alles bezahlt und noch die Hälfte dazu, einfach so, ohne mit der Wimper zu zucken! Da konnte ich nicht ablehnen!«
Flint sah in seinen Bierkrug und schob ihn dann fort. »Ich habe die Anweisungen buchstabengetreu befolgt und sie dann verbrannt, als ich fertig war. Das Armband hatte ich in meinem Stand, weil sie gesagt hat, sie würde beim Frühjahrsmarkt zurückkommen und es abholen. Ich erwarte sie jeden Tag.« Jetzt lehnte sich der Zwerg zurück, weil er mit seiner Geschichte fertig war.
Tolpan starrte das Armband an, das jetzt auf dem Tisch lag. »Kein Wunder, daß du dich deswegen so angestellt hast. Was glaubst du, wer sie ist, und wozu sie das Armband braucht?«
»Ich bin kein Hellseher«, sagte Flint. »Aber ich kann dir versichern, daß wirklich etwas an dem Armband nicht ganz normal ist. Ich bin froh, wenn ich es los bin.«
Tanis nickte. »Es ist dieser Frau, wer auch immer sie ist, offenbar äußerst wichtig.« Er streckte sich und sah zur sterbenden Glut im Kamin. Die Wirtsstube hatte sich geleert. Otik sah schläfrig von der Theke zu ihnen herüber. »Will noch jemand eine letzte Runde?«
Flint folgte Tanis’ Beispiel, warf die Arme zurück und streckte sein Gesicht zu einem wilden, kieferbrechenden Gähnen. »Nein, ich hatte schon mindestens drei zuviel«, sagte er, während er sich am Tisch hochdrückte. »Laß uns nach Hause wanken, Tanis, sonst schlafe ich hier noch ein.«
»Was ist mit meinen Karten?« fragte Tolpan. »Ihr habt sie kaum angeschaut.«
Tanis runzelte die Stirn, doch sein bierumnebelter Kopf konnte nicht die Wahl treffen, ob er nach Hause und ins Bett gehen sollte oder hierbleiben und die Karten ansehen.
Zum Glück hatte Tolpan eine Lösung für ihn. »Ich bleibe heute nacht im Wirtshaus. Wie wär’s, wenn ich morgen bei Flints Stand vorbeischaue, und ihr könnt sie euch dort ansehen?«
Tanis sah mit Erleichterung, daß Flint bereits zur Tür gestapft war und den Vorschlag nicht gehört hatte. Der Halbelf nahm die Idee hastig an, verabschiedete sich von dem Kender und sprang hinter dem betrunkenen Zwerg her, damit der nicht von den Hängebrücken fiel.
Da Tolpan jetzt in der Stille und im Rauch des Schankraums allein war, stieg er die enge Treppe zu den Schlafräumen hoch. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen.
»Ich ruh mich nur noch ein paar Minuten aus, bevor ich schlafen gehe«, sagte er zu sich selbst, als er auf die gefederte Matratze in seinem kleinen, sauberen Zimmer fiel. Obwohl seine Augen zu waren, drehte sich das Bett schwindelerregend. Er war sich unklar dessen bewußt, daß ihn etwas äußerst unbequem an der Brust drückte. Daher stützte er sich auf die Seite, schob die Hand in die Tasche und zog Flints Kupferarmband heraus.
»Wie um alles in der Welt kommt das denn in meine Tasche?« überlegte er. Als er es durch halbgeschlossene Augen anstarrte, räusperte er sich erstaunt. »Ich darf nicht vergessen, es zurückzugeben.«
Ohne nachzudenken, stopfte er das Armband wieder in die Tasche, drehte sich um und fiel in den tiefen Schlaf der Unschuldigen und der Betrunkenen.
3
Rein und raus
Jemand schnarchte markerschütternd, und Flint schlug die blutunterlaufenen Augen verwundert auf. Er lag auf dem Rücken in seinem Bett und hatte noch einen seiner schweren Lederstiefel und ein verdrecktes Hosenbein an. Als er den Kopf reckte, erkannte er die vertrauten Regale und Stühle seines Hauses in dem ausgehöhlten Vallenholzstamm. Wie bin ich hierher gekommen, fragte er sich.
Das letzte, woran er sich erinnerte, war, daß er auf einer von Otiks bequemen Bänken im Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« gehockt hatte. Da war es dunkel gewesen. Jetzt war Tag, das verriet ihm das gedämpfte Licht, das jetzt durch die Pergamentfenster drang. Stirnrunzelnd setzte er sich abrupt auf, um dann aufs Bett zurückzusinken. Seine pochenden Schläfen erklärten die Gedächtnislücke. Er hatte sich gestern abend tatsächlich vollaufen lassen.
Dann sah er Tanis. Der Halbelf lag voll bekleidet mit Hosen, Stiefeln, Tunika und Wollweste auf dem Dielenboden neben dem Kamin. Eine kleine Speichelpfütze breitete sich bei jedem Atemzug auf seinen offenen Lippen aus. Der alte Zwerg gluckste vor Lachen, obwohl dabei der Schmerz in seinem Kopf wieder losging.
Dadurch erwachte der jüngere Halbelf und wischte sich mit dem Handrücken die Spucke von den Lippen. Das unvermeidliche Federstirnband, das sein widerspenstiges, langes rotes Haar bändigte, war ihm über die Augen gerutscht, und er schob es verärgert auf die Stirn zurück. Als Tanis den grinsenden Zwerg bemerkte, runzelte er die Stirn. Langsam rollte er sich herum und setzte sich auf, wobei er den Kopf in beide Hände legte.
»Otiks Bier ist einfach zu süffig«, stöhnte er.
Flint nickte, diesmal etwas langsamer, und zog das eine Hosenbein an, das er gestern abend noch abgestreift hatte. »Aber am nächsten Morgen zahlst du die Zeche«, sagte er und fügte hinzu: »Besonders, wenn man doppelt soviel trinkt, wie man selber wiegt!« Den zweiten Stiefel fand er unter dem Bett. Er schob den Fuß hinein, zog sein pelzbesetztes Wams zurecht und stopfte die grobgewebte Tunika wieder in die Hose. »Wenigstens habe ich es bis ins Bett geschafft und immerhin die Hälfte meiner Sachen ausgezogen.«
Tanis schoß zurück: »Das liegt nur daran, weil du älter bist und mit so was mehr Erfahrung hast. Ganz zu schweigen davon, daß dein Gewicht dir mehr Bier erlaubt…«, endete er mit einem Blick auf Flints runden Bauch.
»Etwas mehr Respekt vor dem Alter bitte, Kleiner!« grollte Flint und knuffte Tanis an den Kopf. Er lief zur Vorratskammer, die sich gegenüber vom Kamin im ausgehöhlten Boden des riesigen Vallenholzbaumes befand. »Ich hab noch zwei eingelegte Eier, drei Streifen Dörrfleisch und einen etwas angeschimmelten Brotrest.« Er nahm ein großes Schnitzmesser und schnitt großzügig den grünen Bewuchs vom Brot ab. »Da, sieht doch gut aus.« Er blickte Tanis an. »Was möchtest du?«