Выбрать главу

»Nun, dann ist es einfach«, sagte Tanis. »Der Kender hat gesagt, daß er ein paar Tage hier im Gasthaus bleiben wollte. Wir suchen ihn einfach und bekommen es zurück«, beschloß er vernünftig.

»Ja, ich werde es schon zurückbekommen.« Mit einem bösen Glitzern in den Augen stand Flint auf.

Otik stützte sich auf den Ellbogen auf der Bar auf. »Redet ihr von diesem kleinen Kender, mit dem ihr gestern abend getrunken habt?« Flint nickte. Da schüttelte Otik seinen schon etwas kahlen Kopf. »Den werdet ihr hier nicht finden. Er kam schon früh die Treppe runtergesprungen, hat gefrühstückt – und zwar reichlich, muß ich sagen –, und dann ist er gegangen, mit diesem kleinen Schlingenstock über die Schulter.«

Flint packte Otik am Arm. »Er ist aber doch nur für heute gegangen?«

Otik schüttelte wieder den Kopf. »Ich glaube nicht… Er hat seine Rechnung bezahlt.« Otiks Gesicht nahm einen Ausdruck der Verwunderung an. »Könnt ihr euch das vorstellen, ein Kender, der tatsächlich seine Rechnung bezahlt? Ich mußte ihn natürlich ein paarmal erinnern – einmal war er schon aus der Tür raus –, aber er hat wirklich bezahlt.«

»Hat er gesagt, wo er hin wollte? Zum Markt vielleicht?« fragte Tanis.

Otik ließ sich schwerfällig auf einem Hocker nieder und klopfte sich nachdenklich ans Kinn. »Markt, hmm. Ich weiß nicht mehr… nein, ganz sicher nicht, wenn ich richtig überlege. Um ein bißchen zu plaudern, habe ich ihm genau dieselbe Frage gestellt. Er hat gesagt, er hätte vom Vortag genug und wollte seinen Finger in die Luft halten und dahin gehen, wohin der Wind ihn treibt.«

Tanis schüttelte traurig den Kopf und klopfte Flint mitleidig auf die zusammengesunkenen Schultern. »Das wär’s dann, Flint. Du mußt dieser Frau einfach die Wahrheit sagen und ihr das Geld zurückgeben. Bestimmt wird sie Verständnis haben.«

Flint starrte schweigend ins Nichts, ganz in Gedanken an die Rache und an die Kenderjagd versunken. Auf einmal fuhr er herum, packte Tanis am Revers und schüttelte ihn. »Du verstehst gar nichts! Ich kann ihr das Geld nicht zurückgeben, weil ich es nicht mehr habe! Ich habe es für die Vorräte für unsere Reise ausgegeben! Das kann ich wohl kaum erklären, was?«

Tanis versuchte, Flints Hände von seinen Kleidern abzustreifen, konnte sich jedoch nicht aus dem Griff des Zwergs lösen. »Dann biete ihr eben an, ein neues zu machen.«

»Hast du gestern abend denn nicht zugehört?« bellte Flint. »Sie hat mir besondere Zutaten gegeben, und die reichten gerade für ein Armband! Sie hat mir ausdrücklich eingeschärft, nur eins zu machen! Sie ist zu mir gekommen, weil sie mir vertraut hat – nur mir –, daß ich es auf Anhieb richtig machen würde. Was soll ich da bloß sagen?« stöhnte er, während sich sein Gesicht zu einer sarkastischen Grimasse verzog. »›Ja, Madame, ich habe es gemacht, wirklich. Es ist wunderschön. Leider habe ich einen fingerfertigen Kender damit abziehen lassen.‹ Ich wäre zutiefst gedemütigt. Und was noch schlimmer ist, wenn sich das herumspricht, ist mein Ruf als Goldschmied zum Teufel!«

Flint, der immer noch Tanis festhielt, sah zur Tür. »Otik, was meinst du, wie lange der Kender schon weg ist?«

»Vier Stunden vielleicht.«

»Du spielst doch nicht etwa mit dem Gedanken, ihm zu folgen?« fragte Tanis ungläubig. »Du weißt doch nicht einmal, welche Richtung er eingeschlagen hat.«

»Natürlich weiß ich das. Er wollte mit dem Wind ziehen.« Flint ließ Tanis los, steckte einen Finger in den Mund und starrte ihn dann an. »So werde ich feststellen, wo er hin ist.« Tanis’ skeptische Miene ärgerte den verzweifelten Zwerg. »Habe ich eine andere Wahl? Er hat höchstens vier Stunden Vorsprung. So wie Kender reisen, wie sie stehenbleiben, um mit Käfern und Wolken zu reden und weiß Reorx für anderen Quatsch zu treiben, kann ich ihn wahrscheinlich einholen, das Armband aus ihm herausschütteln und mit etwas Glück noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein.«

»Und wenn deine Kundin am Stand auftaucht, um nach dem Armband zu fragen, während du weg bist?«

Flint dachte einen langen Augenblick darüber nach. »Du kennst meine Waren so gut, daß du hierbleiben und den Stand aufmachen könntest. Halt sie hin, wenn sie auftaucht – sag ihr, daß ich noch daran arbeite oder so.«

Tanis hielt abwehrend die Hände hoch und wich zurück. »Oh, nein, daraus wird nichts. Ich bleibe doch nicht hier und halte für dich den Kopf hin – außerdem bin ich überhaupt nicht gut im Lügen, das weißt du genau.« Tanis schüttelte mit Nachdruck den Kopf. »Nein, wenn du dem Kender hinterher willst, komme ich mit. Wir können schließlich ein Schild am Stand aufhängen, wo draufsteht: ›Vorübergehend geschlossen‹ oder so was.«

Flint sah die Welt schon wieder etwas optimistischer. »Das könnte gehen. Also gut. Laß uns aufbrechen, bevor dieser Kender uns noch eine Meile weiter voraus ist. Und wenn wir ihn finden, dann leg ich meine Finger um seinen mageren, kleinen Hals und drück zu, bis – «

»Bis er das Armband zurückgibt, und dann läßt du ihn los«, warnte Tanis. »Ich komme nämlich unter anderem auch mit, um einen Mord zu verhindern.«

»Das werden wir ja sehen«, murmelte Flint.

4

Düsterweg

Tolpans klare, schwungvolle Stimme eilte ihm auf der Straße nach Süden voraus. Seit er bei Tagesanbruch das Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« verlassen hatte, hatte der Kender bestimmt schon vier oder fünf Meilen zurückgelegt. Um sich die Zeit zu vertreiben, sang er das Wanderlied der Kender.

Deine einzige Liebe ist ein Segelschiff, Das ankert bei uns am Kai. Wir hissen die Segel, bemannen die Decks, Wir schrubben die Bullaugen frei.
Und, hoi, unser Leuchtturm leuchtet ihm, und, hoi, unsere Küste ist warm. Wir steuern es sicher zum Hafen hin – In jeden Hafen bei Sturm.
Die Seeleute stehen auf den Docks, In Schlangen stehen sie an, So gierig wie ein Zwerg nach Gold Und Zentauren nach billigem Wein.
Denn alle Seeleute lieben es Und strömen herbei, wenn es naht, Denn jeder hofft, daß er mitfahren kann, Wenn’s losgeht auf große Fahrt.

Es war ein ungewöhnlich erfreulicher Morgen, ganz wie es der Kender liebte. Freundliche Sonnenstrahlen, die durch die bunten Glasfenster in sein Zimmer fielen, hatten ihn geweckt. Der strahlende Sonnenschein hatte es ihm praktisch unmöglich gemacht, noch länger im Bett zu bleiben. Dann war das beste Frühstück seit Monaten gefolgt: Würzkartoffeln, pochierte Enteneier und Rosinenbrötchen mit frischer Butter. Die komischen Geschichten des Wirts Otik hatten es noch leckerer schmecken lassen.

Tolpan schwor sich, daß er eines Tages nach Solace zurückkehren würde. Der Ort war so schön, daß man ihn mindestens zweimal besuchen mußte. Bis dahin – nun, diese Zeit im Leben eines Kenders trägt nicht ohne Grund den Namen »Wanderlust«.

Kein Kender kann den Gedanken an einen leeren Magen ertragen, deshalb hatte er vor Verlassen der Stadt natürlich noch Proviant eingekauft. Unter dem Arm trug er wie einen Ball einen hellen, knusprigen Brotlaib, und in seinem Beutel steckten ein orangefarbenes kleines Käserad und eine Flasche frischer Milch. Die drei glänzenden, roten Äpfel, die gleichfalls in seinem Beutel herumlagen, verblüfften ihn jedoch; er erinnerte sich, daß er sie bewundert hatte, während er seine anderen Einkäufe bezahlt hatte, aber wie waren sie in den Beutel gekommen?

Der Kender zuckte glücklich mit den Schultern.

»Vielleicht hatte der Kaufmann ein Sonderangebot – kauf Käse, dann gibt’s Äpfel umsonst«, folgerte er. »Oder vielleicht sind sie bloß vom Karren gerollt und in meinen Sack gefallen.« Das alles war sehr merkwürdig, gerade so geheimnisvoll und fesselnd, wie Kender es gern hatten.