Dieses Ochsenjoch war ein wunder Punkt von Gäsil. Hepsiba hatte es einem Nachbarn abgekauft, der im vorletzten Herbst in schweren Geldnöten gesteckt hatte. Sie hatte fast nichts dafür bezahlt und Gäsil erzählt, daß er es viel teurer weiterverkaufen konnte. Aber Zwischenhandel gehörte nicht zu Gäsils Geschäft, und ihm mißfiel beides, wie sie sich in seine Arbeit einmischte und wie sie die Notlage eines Nachbarn ausgenutzt hatte. Dennoch schleppte er das Joch brav von Fest zu Fest mit und stellte es aus, nur um es am Ende des Fests wieder unter dem Karren festzuzurren.
Jetzt hatte er den Wagen deutlich ohne Ochsenjoch gesehen, und das war das einzig Bemerkenswerte daran. Er fand, das könnte nur zwei Bedeutungen haben: Entweder würde er es hier verkaufen – was er bezweifelte –, oder jemand wollte es hier stehlen – was er noch mehr bezweifelte. Auf jeden Fall beschloß er, daß das Joch im Stand besser aufgehoben war, sowohl zum Ausstellen als auch zum Schutz.
Er brauchte nicht lange, um das häßliche Ding in den Stand zu holen. Als er es gerade gegen das Faß in der Ecke lehnte, kam ein Kunde. Den schwieligen Händen und den groben Kleidern nach war der Mann anscheinend ein Bauer. Er faßte das Joch sorgfältig und fachmännisch ins Auge, spuckte dann aus und fragte: »Wieviel?«
Die Frage traf Gäsil völlig unvorbereitet. Da er nie wirklich erwartet hatte, daß jemand das Joch kaufen würde, hatte er sich nie überlegt, wieviel es wohl wert war. Er entschied sich für den uralten Trick: »Was bietet Ihr denn?«
Der Bauer untersuchte das Joch noch einmal, nahm es hoch, drehte es um und spuckte wieder aus. »Ich gebe Euch eine Stahlmünze und drei Kupferstücke.«
Der Kesselflicker hatte sich vor langer Zeit schon geschworen, das erstbeste Angebot für das Joch anzunehmen, nur um es los zu sein. Er wollte gerade einschlagen, als ihm ein anderer Gedanke kam. Er merkte, wie warm das Armband an seinem Handgelenk geworden war.
Darum zog er das Auge aus der Tasche und warf es auf den Verkaufstisch: Erde. Glück!
Aus einem beschwingten Gefühl heraus beschloß Gäsil zu feilschen. »Zwei Stahlmünzen, ein Kupferstück«, gab er zurück. Der Bauer überlegte, wog nachdenklich den Geldbeutel in seiner Hand und sagte dann: »Ich muß an die Aussaat gehen. Ich gehe bis zu einer Stahlmünze und acht Kupfermünzen.«
»Verkauft!« verkündete Gäsil. Seit Jahren hatte er nicht mehr so gegrinst wie jetzt, als er fröhlich das Joch über den Tisch reichte und das Geld des Mannes entgegennahm. Kaum war der Bauer gegangen, da verschwand Gäsil hinter dem Vorhang und untersuchte das Armband genauer.
Ob es Glück brachte, fragte er sich. Es konnte Zufall oder einfaches Glück sein. Niemand konnte beweisen, daß der unerwartete Handel von dem Armband beeinflußt worden war. Während Gäsil diese Gedanken durch den Kopf gingen, fiel ihm plötzlich auf, daß Kunden von seinem Stand fortgingen.
Er zog den Vorhang zur Seite und kam nach vorne. Drei Frauen, jede mit einem Korb voll Messer, gebrochener Nadeln und kaputter Scharniere, wollten gerade weitergehen. Als sie Gäsil sahen, hellten sich ihre Gesichter auf. Minuten später hatte Gäsil genug Arbeit für den ganzen Nachmittag.
Noch zweimal an diesem Tag machte Gäsil ein Geschäft, indem er auf seine Eingebung hörte. Als am Ende des Tages der Rest der Menge den Platz verließ, staunte Gäsil über das Gewicht der Münzen in dem Beutel an seinem Gürtel. Nie hatte er so gute Geschäfte an einem Tag gemacht. Und obwohl er es nicht erklären konnte, war er sicher, daß er alles dem glückbringenden Armband des Zwergs verdankte. Was für ein mächtiger Talisman das sein mußte; es konnte jeden Mann reich machen! Es war schade, daß er es dem Zwerg zurückgeben mußte, doch Gäsil war ein ehrlicher Mensch, und zurückgeben wollte er es schon. Er hoffte nur, daß der Zwerg nicht vor dem Ende des Marktes zurückkam.
Geschwind sammelte der Kesselflicker sein Werkzeug ein und legte es in seinem gut aufgeräumten Wagen an den richtigen Platz. Sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, daß er seit dem Frühstück nichts gegessen hatte. Er dachte an das Trockenfleisch und die alten Kekse im Wagen, die Hepsiba ihm am Vortag in Dern als Proviant eingepackt hatte. Aber nach einem solchen Tag wie heute wollte er Spaß und gutes Essen. Er wußte von seinen Kunden, daß es ein Bierzelt gab, das noch lange offen hatte, nachdem die Händler ihre Stände zumachten. Also machte er die Karrentür hinter sich zu und brach auf, um dem fröhlichen Lärm nachzugehen.
Das Zelt wurde vom Inhaber des Wirtshauses »Zum Trog« geleitet, einer verrufenen Schenke, an der Gäsil gestern auf seinem Weg auf der Südstraße von Solace vorbeigekommen war. Es war die einzige Konkurrenz zur »Letzten Bleibe«. Wenn die eigentliche Kneipe ungefähr dem Zelt glich, war es allerdings keine große Konkurrenz.
Zwei schmutzige, flackernde Öllampen hingen an Stangen vor der Öffnung eines sandfarbenen, viereckigen Segeltuchzelts, in dessen Mitte man fürs Dach eine Stange aufgestellt hatte. Eine Ecke war eingesackt, aber nicht wieder aufgerichtet worden. Dünne, ungehobelte Planken lagen auf den matschigen Durchgängen zwischen den Tischen, aber sie waren schon längst im Matsch versunken. Die Stiefel der Gäste standen so tief im schmutzigen Wasser, daß nicht einmal Stroh oder Sägemehl geholfen hätte.
Die Gäste selbst erinnerten Gäsil an jene Sorte Kanalratten, die gemeinhin die üblen, engen Spelunken besuchten, wie sie an den Kais der Hafenstädte lagen. Auch wenn er bezweifelte, daß er hier gutes Essen bekommen oder sich vergnügen können würde, war er zu müde, um den langen Weg durch die Stadt zum Gasthaus »Zur Letzten Bleibe« auch nur in Erwägung zu ziehen. Er würde entweder hier essen oder in seinem Karren. Hier würde er sich wenigstens nicht langweilen. Er wollte sein überraschendes Glück feiern und deshalb auf ein paar Krüge Bier dableiben.
Also machte er sich über die Bretter zu einem leeren Tisch am Ende des Zelts in der eingesunkenen Ecke auf. Indem er mit dem Arm winkte, konnte er irgendwann jemanden hinter der Bar auf sich aufmerksam machen. Ein dicker, kleiner Bursche in einer zu engen, schlammbespritzten Tunika watete gemütlich durch die Tischreihen zu Gäsil.
Mit seinen Schweinsäuglein blickte er griesgrämig auf ihn herunter. »Ja?«
»Ich hätte gern einen Krug von Eurem besten Bier«, sagte Gäsil freundlich.
»Ist das alles? Wir haben nur eine Sorte, und die hättste an der Bar gekriegt. Ich komme nur für Essensbestellungen. Du mußt Essen bestellen, wenn du zur Vorstellung bleiben willst.«
Gäsil zog überrascht die Augenbrauen hoch. Er erinnerte sich vage, draußen am Zelt ein Schild gesehen zu haben, mit der Aufschrift: »Amateurabend im Trog. Erster Preis: ein Freiessen. Immer hereinspaziert.« Gäsil fand, daß der Abend doch noch unterhaltsam werden könnte. »Na schön, was gibt es denn?«
Ohne Gäsil in die Augen zu sehen, wies der unfreundliche junge Mann mit dem Kopf ungeduldig zum Zelteingang. »Steht alles da.«
Als Gäsil in dem schwachen Licht über die beträchtliche Entfernung dort hinsah, erblickte er ein kleines, schlecht lesbares Schild an der Bar, auf dem stand: »Zwei Eier – ein Kupferstück; Brot – ein Kupferstück; Bier – drei Kupferstücke. Tagesessen: Eier, Brot und Bier – fünf Kupferstücke.«
»Äh, ich nehme das Tagesessen.« Gäsil schluckte.
Der junge Mann ging fort, holte einen vollen Krug von der Bar und watschelte zurück, um ihn vor Gäsil auf den Tisch zu setzen, wobei der Schaum hochspritzte. »Essen kommt dann irgendwann«, sagte er, schlurfte davon und bediente den nächsten Gast.
Selbst der unhöfliche Kellner konnte Gäsil die gute Laune nicht verderben. Nachdem er einen Schluck von dem Bier probiert hatte, zuckte er jedoch zusammen. Das war zweifellos das schlechteste Bier, das er je getrunken hatte. Es schmeckte wie mit Essig vermischtes Spülwasser. Immerhin brachte es seinen Kopf schon nach den ersten Zügen zum Schwimmen, was durchaus nicht zu unterschätzen war. Ja, je mehr das Bier ihm die Sinne benebelte, desto besser schmeckte es. Selbst das Zelt sah schließlich zwar nicht gerade erfreulich, aber wenigstens nicht mehr wie ein Sumpfloch aus.