Als der säuerliche junge Mann Gäsils Eier brachte, deren zerlaufene Eigelbe in wäßrigem, ungekochtem Eiweiß schwammen, konnte der Kesselflicker bereits den nächsten Krug vertragen. Er bestellte gleich zwei, damit er möglichst wenig mit dem Kellner zu tun bekam.
»Wann geht die Vorstellung los?« fragte Gäsil.
»Mir doch egal.« Der junge Mann ging zur Bar zurück.
Gäsil sah auf seinen Teller. Ein Kanten schimmliges Brot schwamm in den Eiern. Er riß den pelzigen Teil ab und tunkte die guten Teile in das Eiweiß. Wenn er einen Bissen im Mund hatte, kaute er nur kurz und schluckte dann sofort, um möglichst wenig zu schmecken. Zum Glück hatte er eine Pferdenatur und war lausiges Essen gewöhnt. Kochen war nicht Hepsibas starke Seite, falls sie überhaupt eine hatte. Gäsil schnaubte, wobei ihm Bierschaum in die Nase drang. Kurz nach seiner Hochzeit war er zum letzten Mal in einer Kneipe gewesen. Hepsiba wäre auf keinen Fall einverstanden, wenn sie ihn jetzt sehen könnte. Dieser Gedanke und das Bier bewirkten, daß es ihm immer besser ging.
Während er noch über seine Lage nachdachte, kletterte ein kleiner, fetter Mann in einem fast platzenden, grellgrünen Samtmantel mit goldenen Schnallen und Knöpfen auf ein paar Heuballen neben der Bar. Seine Knollennase wirkte in dem feisten Gesicht genau am richtigen Platz und glänzte genauso wie sein kahler Kopf im Licht. Er zupfte ständig an den Vorderzipfeln seines Mantels, womit er seine ansonsten eingebildete Haltung Lügen strafte.
Ohne Überleitung begann der Mann, eine Geschichte zu erzählen. Die Leute beachteten ihn kaum – nicht weil er in dem lauten Zelt schwer zu verstehen war, sondern weil die Geschichte anscheinend absurd war.
»Ich habe tatsächlich mit dem Schwein geredet«, schloß er mit erwartungsvollem Blick mit der Pointe jenes uralten Witzes. Der Geräuschpegel schwoll an, und Buhs und Pfiffe vertrieben den Mann von seiner kleinen Bühne.
Der unglückliche Barde hielt zunächst den Kopf noch hoch erhoben, als er zu seinem Tisch zurückmarschierte, der nahe bei Gäsils stand, dann zog er den Schädel allerdings vor den verschimmelten Brotkrusten ein, die an ihm vorbeiflogen. »Ein Haufen ungehobelter Schnösel«, murmelte Sir Delbridge. Als er seine Sachen in seinen Sack räumte, blitzten an fast allen seiner dicken Finger Ringe auf. Das Hohngeschrei verwandelte sich in Pfiffe, als eine attraktive junge Frau in einem engen Kleid auftrat und gnadenlos schief zu singen begann.
»Wie wär’s mit einem Krug Bier, Sir?« rief Gäsil ihm durch den Lärm zu. »Ihr seht so aus, als wenn Ihr einen vertragen könntet.«
Delbridge Fidington hatte den Grundsatz, keine Einladung auszuschlagen. »Danke, guter Herr«, sagte er mit einem Nicken. Er ließ seine umfangreiche Gestalt auf den Stuhl neben dem Kesselflicker plumpsen. »Ich fühle mich etwas ausgedörrt. Auftreten strengt einen so an.«
»War das Euer erster Auftritt auf einer Bühne?« fragte Gäsil, der mit einem Bissen des alten, schimmligen Brotes kämpfte. Er hatte den Auftritt des Barden nicht so schlecht gefunden wie die anderen Leute, aber schließlich kannte er sich mit Barden auch nicht aus.
Delbridge sah beleidigt aus. »Gütiger Himmel, nein. Ihr habt doch bestimmt schon von Sir Delbridge Fidington gehört? Meinen Titel hat mir Königin Wilhelmina von Tarryn persönlich verliehen – für treue Dienste als Hofbarde.«
»Oh«, schluckte Gäsil. »Ich komme selten über Abanasinia hinaus und höre wenig Barden. Ich glaube kaum, daß ich je von Tarryn, geschweige denn Königin Wilhelmina, gehört habe.«
»Das ist ein kleines, aufstrebendes Königreich in, äh, den östlichen Staubebenen.« Delbridge tat die Sache mit einem Wink ab, mit dem er gleichzeitig den Kellner rief.
»Mein neuer Freund hier besteht darauf, mir etwas zu trinken zu spendieren«, sagte Delbridge glücklich zu demselben dicken Burschen, der Gäsil bedient hatte. »Einen Krug von Eurem besten Glühwein, guter Mann.« Um sich Arbeit zu sparen, war der Kellner dazu übergegangen, gleich volle Krüge mitzunehmen. Einen stellte er vor dem Barden auf den Tisch.
Delbridge sah verächtlich über den Rand des Krugs. »Aber das sieht doch aus wie – «
»– Bier. Ist es auch.« Damit verschwand der Mann.
Gäsil lächelte verlegen. »Ich fürchte, das ist alles, was es hier gibt. Nach den ersten paar Schlucken ist es gar nicht so schlecht.«
Delbridge nahm mit skeptischem Gesicht einen Schluck, an dem er fast erstickte. »Würde sagen, Ihr habt recht«, sagte er kurz darauf, nachdem er einen weiteren Zug genommen hatte. Einträchtig schweigend, saßen sie ein paar Minuten beieinander und tranken.
»Warum seid Ihr denn jetzt nicht mehr Hofbarde bei Wilhelmina?«
»Wo?« Bei Delbridge machte sich die Wirkung des Alkohols bereits bemerkbar. »Ach, die. Ich war es leid, immer die gleichen, alten Geschichten zu erzählen. Barden gehören auf die Straße, finde ich, und müssen immer wieder mit dem Leben in Berührung kommen.« Er sah sich verächtlich in dem schlammigen Zelt unter den einfachen Gästen um. »Das hier ist allerdings etwas… gewöhnlicher, als ich erwartet habe.«
Delbridge wischte sich einen Krümel von seinem Samtrevers und rückte dann seine vielen Ringe zurecht. »Ich wette, ich komme noch an einen Ort, wo sich nicht soviel Pöbel herumtreibt.« Laut prustend, putzte er sich mit einem großen, fadenscheinigen Seidentuch die Knollennase. »Ich sage Euch, diese Stadt hier habe ich satt.«
»Ach, ich hatte hier heute richtig Glück«, sagte Gäsil und nahm einen weiteren Schluck Bier. »Heute auf dem Markt habe ich soviel Arbeit gehabt wie letztes Jahr höchstens an fünf Tagen.« Der Kesselflicker hatte allmählich Schwierigkeiten, sich auf seinem Stuhl zu halten. Aber vielleicht schwankte auch der Tisch, er war sich gar nicht sicher.
»Scheiße«, murmelte Delbridge aus Versehen.
»Das kommt von dem Glücksarmband von dem Zwerg, wißt Ihr.« Er sah zu den Beinen seines Stuhls hinunter und klammerte sich an der Tischkante fest, um nicht umzukippen. »Ist Euch schon aufgefallen, daß sich die Möbel hier bewegen?«
»Glücksarmband?«
»Was? Oh, das Armband.« Er hob fast anklagend den Finger vor dem Barden. »Ich war Zeuge, als es passiert ist!« Er schob den Ärmel zurück und zeigte das Armband vor. »Viermal wurde das Ding hier heute heiß, genau bevor ich diese merkwürdigen Ahnungen hatte, richtige Visionen, und dann tauchten Kunden auf!«
Delbridge sah sich das Schmuckstück genau an. »Ihr meint, Ihr konntet die Zukunft vorhersehen?« fragte er mißtrauisch.
»So könnte man es wohl nennen.« Gäsil blickte ihn durch glasige Augen an. »Das wäre doch eine tolle Geschichte, was? Ob das ein Omen ist?« Rasch warf er hinter vorgehaltener Hand das Auge. Er glaubte, Wasser zu sehen, das Zeichen für Unglück, doch auch als er einmal blinzelte, um es besser erkennen zu können, konnte er das Symbol in dem schwach erleuchteten Zelt kaum richtig ausmachen.
Delbridge, der ihm zugesehen hatte, erhob sich lachend auf seine stämmigen Beine. »Ihr habt wohl zuviel getrunken, und Euer Verstand hat Euch Streiche gespielt. Vielleicht sollte ich Euch nach Hause bringen.«
Der Kesselflicker schüttelte den Kopf, bis der schlaff herunterbaumelte, und winkte ab. »Nicht nötig. Ich bleibe hier auf dem Markt in meinem Karren und schaff das ganz gut alleine.«
»Dann wünsche ich eine gute Nacht.« Der Barde tätschelte seinen Wanst und schlug Gäsil gutmütig auf die Schulter. »Danke für die Einladung und die Unterhaltung. Ich hoffe, Euer Glück hält an, und ich habe morgen auch ein bißchen mehr.« Damit klappte er seinen Kragen gegen den kalten Frühlingswind hoch und verließ das laute Zelt.
Gäsil kippte den Rest von seinem Bier herunter und beschloß, ebenfalls nach Hause zu gehen. Er fummelte in seiner Geldbörse herum, zahlte und ließ aus reiner Gewohnheit eine Kupfermünze für den unhöflichen Kellner liegen. Als er aus dem Zelt trat, war er sich nicht ganz sicher, in welcher Richtung sein Wagen stand. Nachdem er aber ein bekanntes Schild an einem Stand neben seinem entdeckt hatte, taumelte er heimwärts.