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Dennoch preßte er mit resignierter Miene die Lippen zusammen. »Trotzdem bin ich ein Ehrenmann. Wenn diese geheimnisvolle Frau zurückkommt und ich weder das Armband noch seine Bestandteile noch wenigstens das Geld habe, das sie mir im voraus bezahlt hat, würde selbst ein Kender«, das sagte er mit einem Seitenblick auf den schmollenden Tolpan, »erkennen, daß mein Name entehrt wäre. Also, was soll ich tun?«

Tanis stand auf, wobei er seinen Körper wegen der niedrigen Decke des Wagens leicht vorbeugte. »Wir gehen nach Hause, schlafen ein paar Stunden, packen Essen und Kleider zusammen und brechen dann auf.«

»Nein, wir dürfen keine Zeit verlieren«, sagte der Zwerg barsch, wobei er seinen zotteligen, grauen Kopf schüttelte. »Ich gebe zu, daß wir Vorräte brauchen, aber dann brechen wir sofort auf.«

Jetzt protestierte Tanis. »Flint, ich bin erschöpft. Es war eine lange Nacht.«

Flint zwickte Tanis in den Oberarm. »Du bist über den Winter verweichlicht«, schimpfte er mit seinem jungen Freund. »Bleib doch zu Hause für deinen Schönheitsschlaf, wenn es sein muß«, fuhr er fort. »Aber ich bin fort, bevor die Morgensonne über den Bäumen steht, mit dir oder ohne dich.«

Seufzend rückte der Halbelf sein Federstirnband zurecht, indem er die Lederbänder hinter seinem Kopf nachzog. »Na schön«, gab er nach, weil er ganz genau wußte, daß er den störrischen alten Abenteurer auf keinen Fall umstimmen konnte. »Wir machen es so, wie du willst.«

»Prima.« Flint nickte zufrieden. »Hol dir, was du brauchst, und sei in zwanzig Minuten an meinem Haus.«

Damit kletterten die beiden Gestalten vom Wagen und liefen die schlammige Straße hinunter.

Tolpan, der immer noch eine Bandage nach der anderen um Gäsils Kopfwunde schlang, blickte sich ungeduldig im Wagen um, weil er etwas suchte, womit er die Tücher festmachen konnte. Da er nichts in Reichweite fand, nahm er schließlich Gäsils Hand und legte sie auf das sorgfältig gefaltete Tuchstück über der Wunde. »Halt das da fest«, wies er ihn kurz an, bevor er aufsprang und durch die Tür hinter seinen rasch verschwindenden Gefährten her sauste.

»Warte doch!« rief Gäsil, der dabei viel zu langsam nach dem Kender griff. »Und was wird aus mir?« Doch schon war er allein. Nur Bella war noch da, und die verlangte schnaubend ihr Frühstück.

Tolpan holte Flint und Tanis nach etwa fünfzig Schritten auf der Straße ein. »Junge, ist das aufregend«, piepste er. »Eine Verfolgungsjagd! So ein Spaß!«

Flint blieb wie angewurzelt stehen. »Wie kommst du denn darauf, daß du mit sollst? Ich habe dich nicht eingeladen, und ich will nicht, daß du uns hinterherrennst, also verschwinde.«

Aber der hartnäckige Kender hatte nicht vor, zurückzubleiben. »Ihr braucht mich. Ich habe Karten vom Norden – glaube ich.«

Flint sah Tanis um Unterstützung heischend an, fand aber keine. »Wenn er Karten hat, könnte er eine große Hilfe sein, Flint«, sagte der Halbelf.

»Der Blick auf seine Karten hat uns diesen Schlamassel überhaupt erst eingebrockt.« Der aufgebrachte Zwerg warf die Arme in die Luft. »Aber gut, soll er mitkommen. Soll er doch gleich alle einladen, die wir noch treffen. Bis wir dahin kommen, wo wir hin müssen, haben wir eine ganze Armee. Dann können wir die Stadt belagern. Hauptsache, wir gehen jetzt los!« brüllte er und rannte schon wieder die Straße hinunter.

Zwei Schritte weiter blieb Flint wieder stehen. »Moment mal! Was machen wir denn da? Ich kann nicht nach Hause.« Ein Hauch von Panik zog über sein Gesicht. »Wenn Selana irgendwo in der Stadt ist, kommt sie auf jeden Fall zu meinem Haus, wenn sie mich sucht. Ich weiß, es klingt feige, aber ohne das Armband kann ich ihr nicht unter die Augen treten!« Er sah verlegen aus. »Ich möchte bloß erst die Chance haben, die Sache zu klären. Du mußt mein Zeug holen, Tanis.«

»Aber wenn sie mich sieht?« wandte der Halbelf ein.

»Bleib bei der Geschichte des Kesselflickers. Sag ihr, ich mußte die Stadt unerwartet für ein paar Tage verlassen. Oder sag ihr, daß ich entführt wurde. Ist mir egal, sag ihr einfach irgend etwas, um sie hinzuhalten!«

Tanis rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ich kann sie nicht anlügen, Flint. Du weißt, daß ich sowieso nicht gut darin bin. Da brauchen wir schon eine bessere Geschichte.«

»Schau mal, es ist doch keine Lüge«, bettelte Flint. »Ich verlasse die Stadt doch wirklich unerwartet für ein paar Tage. Ich kann ja gleich aufbrechen und unterwegs auf dich warten, wenn es dir dann besser geht.«

Achselzuckend gab Tanis nach. »Mit etwas Glück lauf ich ihr nicht über den Weg, und die Frage stellt sich gar nicht erst. Ich gehe, aber du mußt bei mir vorbeigehen und meine Sachen zusammenpacken«, sagte er. »Ich treff dich dort, wenn ich soweit bin.« Schon im Gehen fügte der große Halbelf noch hinzu: »In der Vorratskammer ist jede Menge zu essen – aber pack mir bloß nicht diese gräßlichen Bohnen ein, die du so gerne magst«, warnte er den rundlichen Zwerg mit erhobenem Zeigefinger.

»Ich habe noch nie ein Zwergenhaus gesehen«, meldete sich der fast vergessene Kender. »Ich begleite Tanis«, verkündete er glücklich.

Flint fuhr auf den frechen kleinen Kerl zu und bohrte ihm den Finger gegen die Brust. »Oh, nein, das machst du nicht«, sagte er mit Nachdruck. »Das letzte, was ich brauche, ist ein großmäuliger Kender mit langen Fingern, der in meiner Abwesenheit in meinem Haus herumstreicht.« Er packte den Kender fest am Ellbogen. »Du kommst mit mir, damit ich ein Auge auf dich haben kann.«

»Meine Güte, Flint«, schimpfte Tolpan, dessen Gefühle offensichtlich verletzt waren. Sein faltiges kleines Gesicht verzog sich zu einer beleidigten Miene. »Ich hätte erwartet, daß wenigstens du begreifen könntest, daß ich trotz meiner unterdurchschnittlichen Größe kein Kind bin.«

Flint lief knallrot an und nickte hilflos, als er versuchte, ganz ungewohnte Worte über die Lippen zu bringen. »Gut, gut, es tut mir leid«, knurrte er.

»Na, wunderbar«, sagte Tolpan mit der unheimlichen Fähigkeit der Kender, schlechte Gefühle im Handumdrehen zu vergessen. Er strahlte, weil er einen neuen Einfall hatte. »Sag mal, haben Zwerge besonders kleine Möbel in ihren Häusern, oder springt ihr da auch einfach auf Stühle für Menschen?«

Flint hätte dem Kender fast sein Lieblingsschimpfwort an den Kopf geworfen, begnügte sich aber mit einem wilden Blick und einem Schubs zur nächsten Treppe in die Vallenholzbäume.

»Los!« fauchte er. Der Zwerg warf einen nervösen Blick über die Schulter. Wenn Selana noch in der Stadt war (und bei seinem augenblicklichen Pech hatte er jeden Grund, das anzunehmen), dann hoffte Flint, daß sie unten am Boden bleiben würde, denn die meisten Besucher von außerhalb kletterten nicht auf die Hängebrücken. Auch wenn die Wege als Straßen dienten und in Solace als öffentliches Eigentum galten, kamen sich Fremde vor wie Eindringlinge, wenn sie hinaufstiegen, denn die Mehrheit davon führte zu Privathäusern.

»Diese schwankenden Brücken sind toll!« rief Tolpan aus. »Wie baut ihr die so in der Luft?« Er schoß auf der Brücke von einer Seite zur anderen, warf Zweige über das Geländer und sah zu, wie sie kreiselnd zu Boden fielen.

»Laß das!« sagte Flint, der nur knapp der Versuchung widerstehen konnte, dem Kender wie einem Kind auf die Finger zu schlagen. »Sonst triffst du noch jemand auf den Kopf. Darum steht eine ziemlich hohe Strafe darauf, etwas von den Brückenwegen zu werfen.«

Tolpan zog die Hände zurück und gab sich momentan geschlagen. »Also, wie werden sie gebaut?« faßte er dann wieder nach. »Stelzen? In Kenderheim, wo ich herkomme, stellen wir uns in Pyramiden auf, um Schilder aufzuhängen oder so was, aber das hier« – er wies mit der Hand auf die Brücke unter seinen Füßen –, »das ist viel schwerer zu bauen, wenn man bei jemandem auf den Schultern steht.«

Der Zwerg schloß die Augen und biß die Zähne angesichts des unaufhörlichen Geplappers des Kenders zusammen. »Man baut sie unten und hängt sie hinterher auf«, erwiderte er schließlich mit erzwungener Geduld. Nach wenigen Minuten standen Zwerg und Kender vor Tanis’ Haustür. Über ihnen erstreckten sich die knospenden Zweige des mittelalten Vallenholzbaums, der das Haus trug.