Zurückweichend und wild um sein Gleichgewicht zappelnd, taumelte Tolpan gegen einen Stapel Teppiche. Darauf brachte er sich in Sicherheit, setzte sich, überblickte die Menge und rieb sich den schmerzenden Fuß.
Grobe Hände packten ihn von hinten. »Runter mit deinen Dreckfüßen von meiner Ware, du kleine Kröte!« Tolpan wurde herumgerissen und sah sich einem ärgerlichen, schlanken Mann mit Bart und großem Satinhut gegenüber.
Tolpan warf einen Blick auf seine vor Dreck starrenden Hosen und die Spur nasser, dreckiger Fußabdrücke, die über die Teppiche zu seinem augenblicklichen Standort führten, und kicherte, was auf jeden Fall ein Fehler war. Er hatte das Wort »Entschuldigung« noch nicht ganz ausgesprochen, als auch der Händler seinen Fehler bemerkte.
»Ein Kender! Und ich hab dich für ein unschuldiges Kind gehalten. Verschwinde!« brüllte er.
»Aber ich wurde geschubst«, protestierte Tolpan. »Es war nicht meine Schuld – «
»Verschwinde!« Das Gesicht des Teppichhändlers lief vor Wut puterrot an. Seine Hände glitten über Tolpans Oberkörper, um das Wollhemd und die Taschen des Kenders zu durchsuchen, was Tolpan erneut zum Kichern brachte. Als der Händler sich vergewissert hatte, daß nichts aus seinem Besitz an Tolpans Körper versteckt war, wirbelte er den Knirps herum und stieß ihn wieder zurück in die drängelnde Menge.
Es wäre nur natürlich gewesen, wenn Tolpan durch all die Mißhandlungen, denen er ausgeliefert war, entmutigt gewesen wäre, doch Kender sind nicht so leicht zu vergraulen. Das gehörte einfach alles zu dem Markt, und Tolpan fand Gefallen an Aufregungen. Er fand auch Gefallen an den knusprig gebratenen Spiralkuchen mit Puderzucker, die er von einer zahnlosen, aber fröhlichen und rotbackigen, alten Frau kaufte. Während er sich geistesabwesend den Zucker von den Fingern leckte, machte er sich daran, das Gelände zu erkunden.
Exotische Musik drang über den Jahrmarkt; die Töne von langen Saiteninstrumenten und winzigen Zimbeln, nahmen Tolpan mit ihrem pulsierenden Rhythmus gefangen. Wie ein Hund auf der Fährte trottete der Kender durch die Menschenmenge und fand seinen Weg zur Bühne. Dort wirbelte und wogte eine dunkelhäutige Frau, deren Seidenschleier wie zarte Blütenblätter schwebten. Stahlmünzen klimperten an ihren Handgelenken, Knöcheln und Hüften. Die fremdartige, wundersame Musik beschwor bunte Farben und ferne Düfte.
Aber selbst das reichte nicht, um Tolpans Aufmerksamkeit zu fesseln, als im Nachbarstand die Zaubervorstellung begann.
Übelriechender Rauch trieb über die Bühne. Mit einem Zischen tauchte ein grinsender Mann aus dem Rauch auf. Die Menge wich ehrfürchtig zurück, auch wenn Tolpan ziemlich sicher war, daß er direkt vor der »Materialisation« des Mannes eine Bewegung im Vorhang gesehen hatte. Der Mann trug eine bodenlange, waldgrüne Tunika, die so dunkel war, daß sie schon fast schwarz wirkte. Eine pelzbesetzte Robe derselben Farbe reichte ihm gerade bis unter den Bauch. Beide Kleidungsstücke waren mit einer Vielzahl geheimnisvoller Symbole verziert.
»Ich bin der großmächtige Fozgoz Mithrohir«, verkündete der Zauberer, »Enkel und einziger überlebender Erbe des ebenso großmächtigen Fozgond Mithrohir, dem ewigen Glanzlicht und Großschnurrbart des herrschenden Ordens der Grünen Zauberer! Tretet zurück!«
Damit zog er einen Stab aus seinem linken Ärmel und wedelte diesen drohend vor der Menge, die respektvoll zurückwich.
»Hier und jetzt werde ich vor euren Augen durch meine große Macht ein Wesen der niederen Ebenen beschwören, eine gefährliche Bestie von einem Ort, den ihr euch nicht vorstellen könnt, denn nur ich, Fozgoz, habe es je gewagt, dorthin zu gehen, und bin als einziger zurückgekehrt. Habt keine Angst, denn ich habe völlige Macht über dieses Wesen. Ich bin der Herr dieses schrecklichen Tiers, denn ich habe meine Macht im Kampf gegen die Gesetze seiner eigenen magischen Welt bewiesen! Aber nun Ruhe bitte und zurücktreten!«
Tolpan starrte wie alle anderen mit weitaufgerissenen Augen hin, als Fozgoz seinen Stab mit komplizierten magischen Gesten durch die Luft schwenkte. Während er das schweflige Muster zog, stoben Funken aus der Spitze. Dann brach mit einem Knall eine zweite Wolke aus beißendem Rauch über die Menge. Tolpan und die anderen Zuschauer in den vordersten Reihen wichen zurück, wobei sie husteten und sich die tränenden Augen rieben. Der erste, der danach wieder nach vorn rannte, war Tolpan, der gebannt in den Wolkenwirbel schaute. Etwas benommen und nicht besonders wild, tauchte darin etwas auf – für Tolpan hatte es in etwa Gestalt und Größe einer Ziege, war aber ganz ohne Fell und offenbar mit orangen Schuppen bedeckt. Es hatte nur ein Horn. Während die Menge staunend Mund und Nase aufsperrte, stand das Tier friedlich kauend da. Gerade als Tolpan die Hand nach ihm ausstreckte, sprang ein Assistent vor und führte das unglaubliche Monster hinter den Vorhang.
Fozgoz’ Augenbrauen waren unnatürlich verzogen, als er Tolpan wütend ansah.
»Bestimmt bist du ein tapferer und abenteuerlustiger Kerl, kleiner Wanderer«, verkündete er. »Dieses Tier hätte dir den Arm abgerissen und in einem Stück heruntergeschluckt und dann dein Blut zum Nachtisch getrunken, wenn ich nicht hiergewesen wäre, um seine animalischen Instinkte zu zügeln.«
»Es sah aus wie ein Ziegenbock«, meinte Tolpan mißtrauisch.
»Das ist dir aufgefallen, ja?« Fozgoz setzte ein gönnerhaftes Lächeln auf. »Das kommt daher, daß das Universum nur eine begrenzte Anzahl Formen zur Verfügung hat. Damit alle Wesen existieren können, müssen manche Formen auf den vielen Existenzebenen zweimal oder sogar noch öfter verwendet werden. Laß dich nicht täuschen. Es sah nur äußerlich einer Ziege ähnlich.« Die verblüffte Menge gab diese neue Erkenntnis murmelnd weiter.
Tolpan drehte sich zu dem Mann neben sich um und murmelte: »Es sah ganz bestimmt wie eine Ziege aus. Fandest du das nicht auch?«
Bevor der Mann antworten konnte, mischte sich Fozgoz ein. »Sag mir, kleiner Wanderer, du bist doch ein Kender?«
»Tolpan Barfuß, von den Barfußens aus Kenderheim. Hast du schon von uns gehört?«
»Zum Glück nicht«, sagte Fozgoz, was ihm Lacher aus der Menge einbrachte, »aber ich bin sicher, jeder hier hat schon von den seltsamen und wunderbaren Dingen gehört, die Kender in ihren Beuteln herumschleppen. Du erlaubst doch?« Mit fragend erhobener Augenbraue streckte der Zauberer eine Hand nach Tolpan aus.
Tolpans Gesicht leuchtete auf. »Aber sicher, gern!« Er trat vor und ließ den Beutel von seiner Schulter gleiten. Als er die Schnur aufknoten wollte, hielt Fozgoz ihn zurück.
»Bitte«, sagte er, »ich bin schließlich ein Zauberer. Es ist nicht nötig, den Beutel zu öffnen. Ich kann auch sagen, was darin ist, wenn er zugebunden ist, ja, ich kann es sogar herausholen. Stell dich hierhin.«
Tolpan stellte sich gehorsam neben Fozgoz. Der Magier legte seine linke Hand leicht auf den Beutel. Mit der Rechten schwang er seinen Stab.
»Jetzt entspanne dich, mein tapferer Freund«, mahnte er. Er kniff die Augen zusammen. Dann preßte er die Lippen fest aufeinander und näherte den Stab dem Beutel. »Radorum, Radorae, Radorix, Radorostrum!« Ein Funkenschauer brach aus der Spitze des Stabs und regnete über Tolpan herunter. Fozgoz trat triumphierend zurück und hielt die linke Hand hoch. Die Menge hielt die Luft an. Langsam brachte er seine Handfläche auf Augenhöhe von Tolpan, und der Kender sah darin den vertrockneten Fuß und den Schnabel eines Raben.