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Delbridge schluckte gewaltig. »Herr, ich weiß wohl, daß Ihr mich sowieso schon weitgehend als Scharlatan abgetan habt, aber was ich gerade gesehen habe, kann ich kaum beschreiben. Es war mit nichts zu vergleichen, was ich je erlebt habe. Andere Visionen waren kurz und präzise; sie zeigten mir, was tatsächlich geschehen würde. Aber das hier war wie… ein Alptraum. Als ob ich Zeichen oder Symbole von dem sehen würde, was sich zutragen wird, aber nicht das Ereignis selbst. Ich bitte Euch, mir zu glauben, daß ich nicht versuche, Euch Angst einzujagen, aber der Knappe Rostrevor schwebt in großer Gefahr.«

Delbridge erzählte eilig, was er gesehen hatte, einschließlich der vorherigen Vision des trauernden Ritters. »Ich kann es nicht genauer erklären, aber ich weiß, daß es wahr ist«, schloß er.

Zu Delbridges Überraschung rümpfte nur Rostrevor die Nase. »Das ist Unsinn, Vater. Von einem roten Licht entführt! Ich bin viel zu stark – du hast mich schließlich persönlich ausgebildet –, als daß ich so etwas zulassen würde. Außerdem ist die Familie bei unseren Untertanen sehr beliebt, besonders du. Wer würde so etwas tun?«

Das Gesicht des alten Ritters verriet Besorgnis. »Es gibt immer Unruhestifter, die vielleicht mich durch dich verletzen wollen. Ich habe lange gelebt und mir für den Rest meines Lebens mehr als genug Feinde geschaffen.«

Mit finsterem Gesicht trat der junge Ritter um den Tisch herum und faßte Delbridge fest am Arm. »Ich finde, Ihr habt genug von meines Vaters Zeit verschwendet. Geht!«

»Wartet!« warf Balkom ein, der beschwörend die Hand hob. »Was hat dieser Mann zu gewinnen, wenn er eine betrügerische Vorhersage von solcher Tragweite macht? Ich gebe zu, ich habe Vorbehalte, aber wenn er sich diese Geschichte ausgedacht hat, wird die Zeit rasch zeigen, ob er recht hat.« Der rotgewandete Magier musterte Delbridge mit seinem einen Auge. »Ist es eine unmittelbare Gefahr?«

»Ich glaube schon, doch«, platzte Delbridge heraus. »So funktioniert meine Gabe.« Weil er sich etwas unsicher fühlte – wie eine Wanze unter dem Vergrößerungsglas –, kratzte sich Delbridge an der Wange.

»Dann empfehle ich doch, daß wir uns auf die sichere Seite schlagen, Herr«, sagte Balkom mit seiner wohlklingenden Stimme, »indem Rostrevor zumindest heute abend sein Zimmer nicht verläßt und damit außer Gefahr ist. Stellt Wachen an die Türen und Fenster. Ich werde mit magischen Siegeln und Schutzstäben an den Türen und Fenstern für zusätzliche Sicherheit sorgen. Keiner wird den Raum körperlich oder sonstwie betreten können, ohne meine Zauber auszulösen, und Rostrevor wird unmöglich zu entführen sein. Wenn wir verschwiegen sind, wird jedoch keiner außer den hier Anwesenden wissen oder annehmen, daß ein magisches Siegel von mir die Türen verschließt.«

Der alte Ritter sprang gleich darauf an. »Ausgezeichnete Idee! Damit vereiteln wir auf jeden Fall jeden Entführungsversuch, ob direkt oder durch Zauberei.«

»Aber Vater – « protestierte Rostrevor.

Lord Curston tat die Proteste seines Sohnes mit einer Handbewegung ab. »Laß du nur einen alten Mann gewähren, der seinen einzigen Sohn über alles liebt.«

Der junge Ritter war wütend. »Aber wenn wir schon den Versuch eines Anschlags vereiteln, wie sollen wir dann wissen, ob überhaupt jemand je so etwas vorhatte?«

»Wir werden Omardicar als Gast hierbehalten. Wenn nichts Entsprechendes geschieht, kann er noch ein zweites Mal versuchen, seine Begabung zu beweisen. In der Zwischenzeit gehen wir kein Risiko ein. Rostrevor, du bleibst bis morgen früh in deinem Zimmer. Wir werden auf der Stelle mit Balkom hochgehen und dich dort sicher unterbringen.« Mit entschlossener Miene stand der Ritter auf, stöhnte aber leise, weil die Gicht ihn in den Beinen schmerzte.

»Fröder!« rief er durch zusammengepreßte Zähne. Der weißhaarige, alte Gefolgsmann eilte am anderen Ende des Raums durch den Vorhang. »Die Audienz ist für heute vorbei. Bitte entschuldige mich bei allen, die noch draußen warten, und sag ihnen, daß es einen neuen Termin geben wird. Danach bringst du diesen Mann in der Burg unter. Ihr versteht sicher, Omardicar, daß ich Euch in Euren Räumen wissen möchte, bis wir genau erfahren haben, was los ist. Fröder, darum kümmerst du dich.« Damit ließ sich der Mann aus dem Raum helfen, wobei er sich schwer auf seinen resignierten Sohn stützte. Balkom folgte ihnen in angemessener Entfernung. Er hatte seine Hände in die weiten Ärmel seiner Tunika gesteckt, und seine Miene war so ungerührt wie die ganze Zeit vorher.

Delbridge, der mit Fröder zurückblieb, schüttelte verwundert den Kopf. Die Sache entwickelte sich recht gut, aber anders, als er gedacht hatte. Trotzdem, wer konnte Einwände gegen ein reichliches Abendbrot an einem Kaminfeuer erheben, das nur zu seinem Wohlbefinden angezündet wurde, wenn man anschließend noch tief und fest in einem sauberen Daunenbett schlafen konnte?

Ein leises Kitzeln an Delbridges Handgelenk erregte seine Aufmerksamkeit. Er legte eine Hand über das Kupferarmband. Das Metall war ziemlich warm. Delbridge war heute nicht mehr in der Verfassung für weitere Visionen, besonders nicht vor Fröder. Er versuchte, das Armband abzustreifen, aber es saß zu fest. Nach viel Ziehen und Zerren konnte er es schließlich mühsam von seinem dicken Handgelenk schieben, wobei er sich die Hand zerkratzte. Er steckte das Armband in seinen Beutel. Jetzt, wo er mit sich selbst so richtig zufrieden war, folgte er dem ungeduldigen Gefolgsmann aus dem Audienzsaal in die luxuriös ausgestattete Burg und freute sich auf den Lohn seiner Mühen.

Vielleicht hatte er endlich seine wahre Lebensstellung erreicht.

Delbridge erwachte, weil eine Hand ihn unsanft an den Schultern rüttelte.

»Omardicar, der Allwissende?«

»Wer? Oh, ja«, murmelte er nach kurzer Verwirrung. Während er zwinkernd ins Licht einer Lampe starrte, erinnerte sich Delbridge langsam wieder daran, wer er war und wo er war. Er setzte sich langsam auf, wobei eine leere Weinflasche vom Vorabend von seiner Brust rollte und auf dem Steinboden zerschellte. »Wer bist du, und was willst du?«

Der bullige Mann in Kettenrüstung über ihm lachte, so daß sein dicker, roter Bart und der Schnurrbart im flackernden Lichtschein tanzten. »Ich beantworte keine Fragen von Halunken. Du bist verhaftet.« Ein zweiter Soldat zog die Vorhänge vom Fenster an der gegenüberliegenden Seite des Raums zurück, womit er schwaches Dämmerlicht hereinließ. Der rotbärtige Mann nahm Delbridge am Oberarm und zerrte ihn aus dem Bett.

»Was redest du da?« kreischte Delbridge, während er versuchte, den starken Fingern des Mannes zu entkommen. »Ich bin Lord Curstons Gast! Es wird ihm sehr mißfallen, wie unhöflich ihr mich behandelt. Ich will ihn auf der Stelle sprechen!«

Der Feldwebel hielt ihn weiter fest, sagte aber kein Wort.

Delbridge wußte, daß er am Abend zuvor zuviel getrunken hatte, aber er war die ganze Zeit in diesem Zimmer gewesen und konnte demnach unmöglich irgend etwas verbrochen haben.

»Vielleicht brauchst du einen kleinen Anreiz«, gab Delbridge dem Mann zu verstehen, während er zum Tisch langte, wo ein kleiner Haufen Münzen lag, doch die Wache riß seinen Arm zurück.

»Versuch bloß keinen von deinen magischen Tricks bei mir, du Schweinehund.« Der Soldat zog Delbridge hinter sich her, aus seiner Schlafkammer im ersten Stock eine schmale Treppenstiege hinunter, und dann aus dem Osteingang der Burg heraus. Zwei weitere Wachen mit Piken schlossen sich ihnen an, als sie den Burghof überquerten und auf einen Torbogen mit der Aufschrift »Kerker« zusteuerten.

Delbridge lachte regelrecht hysterisch. »Merkt ihr’s denn nicht? Ihr habt mich mit jemand anderem verwechselt, kann ja leicht vorkommen bei so vielen Fremden am Audienztag.« Er versuchte, sich seinen Häschern zu entwinden. »Wenn ihr mich jetzt einfach gehen laßt, werde ich die Sache auf sich beruhen lassen.«

Statt dessen wurde er noch fester gepackt. Die Soldaten mußten Delbridge hinter sich her schleifen, als sie die Schwelle überschritten und den dunklen, kalten, faulig stinkenden Kerker betraten. Der rothaarige Feldwebel öffnete eine schwere, verriegelte Holztür, die mit quietschenden Angeln aufschwang. Obwohl Delbridge schluchzend seine Unschuld an jedwedem Verbrechen beteuerte, wurde er durch die Tür gestoßen und landete auf den Knien, in einer nassen, lichtlosen Zelle. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß, und die Wachen gingen davon.