Das Quietschen der rostigen Angeln hallte lange in der Finsternis nach.
9
Tanz im Wald
Die schmale junge Frau war in einen dunkelblauen Mantel feinster Machart gehüllt. Sie hatte sich einen kornblumenblauen Seidenschal um den Kopf gelegt, der sich unter dem Kinn kreuzte und ihr über die Schultern bis zur Taille hing. Ihre Gesichtszüge waren ebenmäßig, doch ihre vollen Lippen wirkten wegen der Blässe ihres etwas kantigen Gesichts ungewöhnlich rot.
»Wenn ich es nicht besser wüßte, Meister Feuerschmied«, sagte sie mit ihrer tiefen, ruhigen Stimme, »dann würde ich glauben, daß Ihr mir aus dem Weg geht.« Ihre meergrünen Augen, die so groß waren wie zwei Stahlmünzen, fixierten seine niedergeschlagenen Augen.
Flint sah auf. Seine Wangen waren knallrot. »Aber bestimmt nicht… Ach, großer Reorx«, fluchte er, »auch durch Lügen kann ich meine Seele nicht retten. Ich bin Euch aus dem Weg gegangen, aber nicht aus den Gründen, die Ihr vielleicht vermutet.«
Tanis bemerkte, daß auf der Brücke Fußgänger stehenblieben und die exotische Frau und den aufgeregten Zwerg anstarrten. »Laßt uns doch drinnen reden«, schlug er eilig vor, wobei er Flint und Tolpan vor sich her in sein Haus schob. Die Frau folgte ihnen in majestätischer Haltung. Angesichts ihrer Schönheit stockte Tanis der Atem.
In Tanis’ Baumhaus plumpste Flint mutlos auf den Schaukelstuhl aus gebogener Weide, den Tanis extra für ihn an den jetzt kalten Kamin gestellt hatte. Er legte seinen zottigen Kopf in beide Hände. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll…«
»Du könntest doch damit anfangen, uns vorzustellen«, flötete Tolpan. Ohne abzuwarten, stellte er seinen Hupak in eine Ecke und streckte seine kleine Hand aus. »Tolpan Barfuß, stets zu Diensten.« Die Frau sah seine Hand an, als wüßte sie nicht, was sie damit machen sollte, schließlich schüttelte sie sie doch.
In diesem Moment kam Tanis mit vier Gläsern und einer staubigen Flasche gesüßtem Bier herein. Er lächelte die Frau an und sagte: »Tanis, der Halbelf.«
Sie musterte seine schönen Gesichtszüge, die leicht mandelförmigen Augen und die Andeutung von Spitzen an den Ohren unter seinen dichten, rotbraunen Haaren. »Ich fand gleich, daß Ihr zu grob für einen reinen Elfen, aber zu schön für einen Menschen ausseht…«, überlegte sie.
Jetzt errötete Tanis. »Von Euch kennen wir nur den Namen, den Flint uns gesagt hat«, meinte er hastig. »Selana, nicht wahr?« Er bot ihr ein Glas an. Sie streckte ihre schlanke, fast durchscheinende Hand danach aus, die leicht zitterte, als Tanis das helle Bier in das Gefäß goß.
»Ja, ich heiße Selana.« Sie nahm rasch einen Schluck von dem Bier, hustete aber schon beim Schlucken. Tolpan klopfte ihr auf den Rücken. »Ich dachte, es wäre Wasser«, keuchte sie.
»Wasser?« Der Kender klatschte sich vor Lachen auf die Knie. »Puh, höchstens ein Oger würde Wasser trinken, das wie Sumpfsaft aussieht.«
»Tolpan.« Tanis sprach seine Warnung leise aus, nachdem er Selanas beschämten Gesichtsausdruck gesehen hatte. Zögernd nahm sie einen weiteren Schluck Bier. Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie hustete nicht noch einmal. Mit entschlossener Miene wandte sie sich Flint zu, der in seinem Schaukelstuhl saß.
»Flint Feuerschmied, ich komme wegen meines Armbands. Ich bin nicht so dumm, daß ich nicht sehe, daß etwas schiefgegangen ist. Konntet Ihr es nicht fertigstellen? Vielleicht würdet Ihr mir das endlich verraten?«
Flint schüttelte den Kopf. »Doch, ich habe es gemacht, alles ganz richtig, und es war – nein, ist – ein wunderschönes Armband«, fiel er sich hastig selbst ins Wort, während er sich verzweifelt am Kinn rieb und überlegte, wie er ihr alles am besten erklären konnte.
Tolpan ließ sich auf dem Boden nieder, wo er im Schneidersitz Selana zu Füßen saß. »Seht mal, die ganze Sache war meine Schuld. Na ja, nicht nur meine Schuld. Es war einfach eine dumme, seltsame Laune des Schicksals, durch die das Armband beim ersten Mal an meinem Handgelenk gelandet ist. Natürlich wußte ich, wieviel es Flint bedeutete, nachdem er beim ersten Mal so wütend geworden war, weil er es verloren hatte, darum wußte ich auch, daß er ganz verzweifelt und zornig sein würde, als er merkte, daß er es fahrlässigerweise ein zweites Mal verloren hatte.«
»Das reicht!« brüllte Flint den Kender an. »Deine Art Hilfe brauch ich nicht.« Der Zwerg erzählte nach und nach die Ereignisse der letzten Tage, von der Herstellung des Armbands über sein Verschwinden – mit Tolpans Hilfe – bis zu dem Diebstahl aus dem Wagen des Kesselflickers.
»Wir wollten gerade aufbrechen, um diesen diebischen Barden zu suchen und Euer Armband zurückzuholen, als wir, äh, Euch draußen trafen. Mir hat noch nie etwas so leid getan«, sagte Flint und ließ den Kopf hängen. »Und auch wenn ich diesen Kender am liebsten erwürgen würde«, raunzte der Zwerg mit zusammengebissenen Zähnen und schmalen Schlitzaugen, »bin trotzdem ich selbst für dieses ganze, verdammte Mißgeschick verantwortlich. – Ich würde Euch gern Euer Geld zurückgeben, wenn ich es könnte, aber das habe ich bereits für Reiseproviant ausgegeben«, fügte er betreten hinzu.
»Das Geld will ich nicht«, sagte die junge Frau. »Es ist das Armband, das ich brauche, und ich bestehe darauf, daß Ihr es auf der Stelle wieder beschafft.«
Bei ihrem herrischen Tonfall wurde Flint vor Scham noch röter, doch der Halbelf ärgerte sich. »Natürlich hätte das Armband nicht herumliegen dürfen«, sagte Tanis kalt, »aber es würde Euch nichts schaden, wenn Ihr etwas Geduld und Verständnis aufbringen könntet. Flint hat Euch erklärt, daß er sich bemüht hat, es zurückzuholen.«
»Weißt du, Flint, ich habe nachgedacht«, mischte sich der Kender ein. »Es ist doch ganz gut, daß ich damals vorbeigekommen bin. Reorx allein weiß, wer es da mitgenommen hätte, wo du es sorgloserweise liegengelassen hast, wenn ich es nicht gleich in Sicherheit gebracht hätte.«
»Sorgloserweise liegengelassen?« bellte Flint und sprang auf. »Das Armband lag sicher aufbewahrt in meinem Schaukasten! Und du hast nur versucht, es zu stehlen, du diebischer, kleiner – «
»Dieb!« schrie Tolpan beleidigt, als er sich mit geballten Fäusten vor den kochenden Zwerg stellte. »Ich hab’s endgültig satt, immer die Schuld für die Nachlässigkeit anderer Leute zu kriegen. Hör mal zu, du alter – aua, Tanis!« Tolpan funkelte den Halbelfen an, der sich zwischen sie gestellt hatte und den Kender in die rechte Schulter kniff.
»Schluß damit, ihr beide«, ermahnte Tanis sie. »Das hilft uns auch nicht, das Armband zu finden.« Er drehte sich zu der blassen Frau um, die während des heftigen Wortwechsels geschwiegen hatte und deren Gesicht jetzt alle Schattierungen zwischen Verärgerung und Sorge zeigte. »Wenn Ihr das Armband wollt, warum kann Flint nicht einfach ein neues machen?«
»Ihr begreift gar nichts!« schrie Selana, wobei sie unwirsch mit dem Fuß aufstampfte. »Selbst wenn die Zeit dazu reichen würde, diese besonderen Materialien waren einzigartig. Ihr habt keine Ahnung, was ich durchgemacht habe, um sie zu bekommen.« Bei der Erinnerung schluchzte sie auf.
»Warum erzählt Ihr es uns nicht?« beharrte Tanis. Ihre Reaktion bestätigte seinen wachsenden Verdacht, daß es hier um mehr ging, als um ein fehlendes Armband. »Wenn Ihr schon dabei seid, warum sagt Ihr uns nicht, warum ein zartes Mädchen ein magisches Armband braucht, das die Zukunft vorhersagen kann?«
Ihre schlanke Hand flog vor den Mund. »Ihr wißt es?«
Tanis schüttelte den Kopf. »Bis jetzt hatten wir nur das Geschwätz eines abergläubischen Kesselflickers und Tolpans Verdacht.«