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Mit großen Augen platzte Tolpan heraus: »Wo warst du denn? Ich wette, du warst in Gefahr!«

Selana lächelte versonnen. »Ja, aber nicht so sehr wie mein Vetter Trudarqqo. Er war erst acht und war vor der Zeremonie auf eigene Faust losgezogen. Meine Tante, die Schwester meines Vaters, war sehr in Sorge und hatte mich gebeten, ihr suchen zu helfen. Das war ein paar Stunden vorher. Wir haben ihn überall auf den Korallenbänken gesucht, wo er immer spielte, aber wir haben ihn nicht gefunden. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus bin ich in die Stadt zurückgeschwommen, in eine verlassene Gegend, die uns verboten war. Wie alle Kinder zieht so ein verbotener Ort natürlich auch junge Dargonesti-Elfen an. Und da fand ich ihn. Er hat alles ausgekundschaftet und gespielt, er wäre Nakaro Silberwache auf seiner langen Suche.«

Tanis hörte gefesselt zu. Selana erinnerte ihn sehr an Laurana, die Tochter der Stimme der Sonne, mit der er aufgewachsen war. Wie sie besaß Selana ein herzliches Wesen, das sich hinter ihrem hochmütigen, selbstsüchtigen Auftreten versteckte.

»Ich wußte, daß der Festakt inzwischen angefangen hatte und daß mein Vater mich ausschimpfen würde. Darum wollten wir eilig zurück, aber als wir an einem verlassenen Haus vorbeikamen, roch ich den unverkennbaren Gestank der Haie, unserer Todfeinde.

Ich spähte hinein und entdeckte drei große, weiße Monster, die sich zweifellos versammelt hatten, um ein paar Dargonesti-Elfen aufzulauern, sie zu töten und uns das Fest zu verderben. Und sie hatten Trudarqqo bemerkt und stießen voller Mordlust aus ihrem Versteck hervor.

Mit ihren schrecklichen Zähnen schnappend, schossen die Riesenviecher durch die Wellen und jagten dem entsetzten Kind nach. Mich hatten sie nicht gesehen, und dadurch hatte ich einen Vorteil. Mit meinem mächtigsten Zauberspruch erschuf ich sechs Abbilder von mir und umringte die Haie. Ich ließ mich so wild wie möglich aussehen und tat, als wenn ich sie angreifen wollte. Weil sie glaubten, sie wären zahlenmäßig unterlegen, flohen die Haie – direkt zum Festplatz!

Ich habe sie die ganze Zeit gejagt, und als sie auf dem Festplatz auftauchten, war dort die Hölle los. Mein Volk ist nicht kriegerisch, und die Haie suchten in ihrer Panik Schutz in der Menge. Zum Glück ist die Leibwache meines Vaters gut ausgebildet, und die hat sofort eingegriffen. Innerhalb von wenigen Minuten hatten sie die Haie aus der Menge getrieben und getötet. Niemand wurde ernstlich verletzt.

Nachdem die Körper unserer Feinde in die Küchen geschleppt worden waren, fuhr mein Vater mit dem Festakt fort. Während seiner Ansprache gab er mir öffentlich den Beinamen ›Haijägerin‹. Das war der schönste Augenblick in meinem Leben.«

»Hui, was für eine Geschichte! Siehst du es nicht vor dir, Tanis?« Tolpan platzte fast vor Aufregung. »Die Haie rasen in die Menge, während die Soldaten näherkommen, und überall flitzen Bilder von Selana herum. Das hätte ich gern gesehen.«

»Bestimmt, Tolpan«, stimmte Tanis zu und reckte sich. »Ihr seid wirklich abenteuerlustig, Prinzessin.«

Obwohl es im flackernden Licht des Feuers und wegen Selanas Blässe schlecht zu erkennen war, kam es Tanis so vor, als ob die Meerelfenprinzessin errötete. »Das Leben im Meer ist schön und voller Kraft, aber oft auch rauh.«

Es kam eine kurze, fast unangenehme Stille auf, bis Tanis anbot: »Ich übernehme die erste Wache.« Die Nacht war warm, aber ein leichter Frühlingswind von den immer noch schneebedeckten Bergen im Osten kühlte die Luft ab. Tolpan kletterte auf die untersten Äste einer Espe und schlief in seiner Pelzweste schnell ein, wobei er seinen Hupak fest umklammerte. Flint rollte sich am Feuer zusammen. Den zotteligen Kopf legte er auf einen bemoosten Felsen und zog sich die Kappe über den Kopf. Selana wandte allen den Rücken zu, zog ihren Umhang um sich und schlief in einer schützenden Haltung im Schneidersitz ein, die furchtbar unbequem aussah. Tanis legte sich seine Decke um die Schultern und hielt Wache.

Zwei Stunden später, als der Mond fast direkt über ihnen stand, warf Tanis eine Handvoll Kieselsteine gegen den Baum, um den Kender zu wecken. Tolpan schreckte hoch und rutschte gutgelaunt vom Baum, um seinerseits über die Gruppe zu wachen.

Wieder zwei Stunden später erwachte Flint weniger fröhlich, und der Rest der Nacht verlief ereignislos.

Während sie morgens weitermarschierten, wurde wenig geredet. Tanis kam es so vor, als wäre Selana noch zurückhaltender als bisher. Er hatte gehofft, daß sie sich mehr der Gruppe zugehörig fühlen würde, nachdem sie letzte Nacht ihre Geschichte erzählt hatte, aber sie schien noch weniger dazu geneigt, irgend etwas mitzuteilen, als würde sie sich für ihre Enthüllungen schämen. Obwohl er wußte, daß das endlose Laufen sie anstrengte, fand der Halbelf ihre hochnäsige Art aufreizend.

Als sie zum Mittagessen Rast machten, setzte sich Selana wortlos mehrere Schritte abseits.

»Verzeiht, Prinzessin«, rief Tanis ungehalten, »aber meint Ihr, Ihr könntet Euch dazu aufraffen, uns ein bißchen Wasser zum Essen zu holen?«

»Wenn ich mich mit etwas auskenne, dann mit Wasser«, gab sie zurück. Wütend riß sie ihm den kleinen Topf aus der Hand und ging halb stampfend, halb hinkend dem Geräusch von fließendem Wasser nach.

Flint legte dem Halbelfen die Hand auf den Unterarm. Graue Augen musterten das bedrängte Gesicht des jungen Elfen. »Was ist in dich gefahren, Tanis? Du hast doch sonst keine Schwierigkeiten, mit anderen auszukommen. Zu der Prinzessin warst du schon einige Male richtig grob.«

Tanis schüttelte den Kopf. »Ich weiß, Flint, aber manchmal erinnert sie mich so an Laurana und ihre eingebildete Art.«

Wie Flint wußte, war Laurana die Tochter von Tanis’ Vormund, Solostaran. Ihre selbstsüchtige Liebe zu Tanis war der Anlaß gewesen, warum er Qualinost verlassen hatte, wo er geboren war. »Nach all den Jahren überrascht es mich, daß diese Art von Frauen mich immer noch aufregt.« Er rieb sich müde das Gesicht.

»Eines Tages wirst du dein Problem mit Laurana lösen«, sagte Flint voraus. »Selana und Laurana haben wirklich viel gemeinsam, vor allem natürlich ihre aristokratische Elfenerziehung«, stimmte er zu. »Aber laß nicht die eine für die Fehler der anderen büßen.«

Zwanzig Minuten später war das Essen fertig, und sie warteten, doch Selana war noch nicht zurück. Nach weiteren zwanzig Minuten war Tanis verstimmt, der alte Zwerg jedoch machte sich Sorgen.

»Es ist sicher alles in Ordnung, Flint«, sagte Tanis. »Sonst würde sie in ihre Muschel stoßen.«

Tolpan, der in der warmen Sonne mit seinen Karten beschäftigt war, hob den Kopf. »Ähm, das würde sie bestimmt, wenn sie sie hätte. Ich wollte sie ihr ja wirklich gestern abend zurückgeben, aber dann sind wir alle eingeschlafen, und es ist mir einfach entfallen. Ich geb sie ihr gleich wieder, wenn ich sie sehe.«

»Wenn einer von uns sie je wiedersieht«, murmelte Flint, der unablässig die Umgebung mit den Augen absuchte. »So lange braucht man nicht zum Wasserholen. Los, wir müssen sie suchen.«

»Wahrscheinlich ist sie an den Fluß gekommen und konnte der Versuchung nicht widerstehen, schwimmen zu gehen«, meinte Tanis trocken und wollte sich damit selbst beruhigen. Er trottete neben Flint und Tolpan über das unebene, hügelige Gras, während sie dem Geräusch von fließendem Wasser nachgingen. »Ist euch nicht aufgefallen, wie sie sich immer das Gesicht mit Wasser aus ihrem Weinschlauch bespritzt?«

Sie eilten durch stachlige Büsche und kamen am Flußufer heraus. Selana war nirgends zu sehen.

»Vielleicht ist sie an einer anderen Stelle rausgekommen«, meinte Flint. Ohne abzuwarten, rannte Tolpan am Fluß ein Stück weiter nach rechts hoch, während Tanis sich nach links aufmachte. Als sie zu Flint zurückkamen, hatten sie beide nichts gesehen.