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Der Zwerg untersuchte auf einem Bein kniend den weichen Boden am Fluß. »Seht euch das an«, sagte er und zeigte darauf. »Das sind Fußabdrücke in Selanas Größe.«

»Und was ist das?« fragte Tolpan und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf einen Haufen tierischer Fußabdrücke, die ihre umgaben. »Das sieht aus wie Hufe von…« Verwundert sah er auf. »Ziegen? Ist Selana mit einer Herde Ziegen weggelaufen?«

Flint und Tanis sahen sich wissend an. »Keine Ziegen. Satyre. Sie mögen Elfen und Frauen und besonders Elfenfrauen.«

Gleichzeitig hörten sie etwas weiter weg das melancholische Lied einer Rohrflöte. Tanis wollte noch warnend die Hände über die Ohren legen, doch zu spät. Der Ton der Satyrflöte hatte ihn schon verzaubert.

»Was ist das für eine wunderbare Musik, und wo kommt sie her?« fragte der Halbelf mit glasigen Augen.

Mit heiterem Lächeln zeigte Flint, der seine scharfen Zwergenohren spitzte, mit seinem dicken Finger auf einen Espenhain, der flußabwärts am Ufer wuchs. »Ich glaube, die Musik kommt von da drüben.«

»Also, los!« brach Tolpan strahlend los, der die drei Gefährten anführte, als sie wie Kinder dem klagenden Klang der Flöten nach durch das erwachende Land hüpften. Kreischend vor Entzücken, pflückte Tolpan eine Pusteblume und blies Flint ihre gefiederten Samen ins Gesicht. Kichernd versetzte der rotgesichtige Zwerg dem Kender einen spielerischen Schubs, und Tolpan kugelte lachend den Hang hinunter. Mit zurückgeworfenem Kopf hob Tanis den hilflosen Tolpan kichernd auf und warf ihn sich auf die breiten Schultern.

Allesamt hielten sie auf den Hain zu.

Nachdem sie durch den Baumring getaumelt waren, erblickten sie Selana, deren Umhang offenstand und darunter eine enge, wadenlange Tunika enthüllte. Fröhlich hüpfte sie in der Mitte eines Kreises aus sechs Ziegenmännern herum. Einer davon kippte ihr eine Mischung aus weißem und rotem Wein in den offenen Mund, die sie glücklich herunterschluckte.

Als sie die anderen sahen, winkten die ausgelassenen Halbmenschen oder Halbziegen sie freudig mit ihren Menschenarmen herbei und traten dabei mit den Hufen aus. Kurz darauf hatten sich die drei Reisenden dem Spaß angeschlossen und sprangen Arm in Arm mit ihren Gastgebern durch den Wald.

»Tolpan, Flint, Tanis, meine lieben Freunde!« rief Selana und umarmte sie alle. Mit einer Handbewegung bezog sie die Satyre mit ein. »Ich will euch meine neuen Freunde vorstellen: Enfeld, Bomaris, Gillam, Pendenis, Kel und Monaghan! Ist ihre Musik nicht zauberhaft?« fragte sie mit verträumtem Gesicht. »Spielt das kleine Willkommenslied noch mal«, bettelte sie.

»Für dich tun wir alles, liebe Prinzessin«, brummte der Satyr namens Enfeld mit seiner klangvollen Baßstimme. Wie auf Kommando senkten die versammelten sechs Ziegenmenschen die Köpfe mit den kurzen Hörnern und hielten Holzflöten an die Lippen. Ein schwungvoller Tanz ging los.

Glücklich und hingerissen griff Flint nach einem angebotenen Becher Wein, hob ihn hoch und trank schmatzend, wobei die Hälfte in seinen Bart lief. Dann gab er den Becher an Tanis weiter, der ihn Tolpan reichte.

Pendenis schlug dem Kender auf die Schulter. »Das Leben ist zu kurz, um ernst zu sein, nicht wahr, kleiner Freund? Komm, kletter auf meinen Rücken, dann zeig ich dir, welche Freuden uns im Herzen des Waldes erwarten.«

»Gehen wir doch alle!« rief Flint, der sich auf Kels Rücken schwang. Obwohl er normalerweise jedes Tier nur mit Mißtrauen bestieg, konnte sich der Zwerg in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen. Gillam duckte sich, griff Tanis spielerisch von hinten an und warf sich den lachenden Halbelfen auf sein Ziegenhinterteil. Selana ritt auf Enfelds Rücken voraus.

Während sie alle ungehörigen Lieder sangen, die sie kannten, vergnügten sie sich sorglos und ungehemmt wie Kinder im Garten der Natur. Tanzend, trinkend und herumtollend wie nie zuvor, tauchten sie in die glückliche Welt der Satyre ein, wo es weder Reue noch Schuld noch Gewissen gab. Der sie umgebende Wald verdeckte gnädig alles weitere.

Tanis erwachte als erster in der Stille des Hains. In den Feuergruben rauchte noch die Asche, und der Himmel im Osten glühte rosarot. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, was er hier machte, aber irgend etwas hier kam ihm sehr, sehr verkehrt vor.

Zum einen fühlte sich sein Kopf so matschig an wie eine überreife Tomate. Zum anderen lag Tolpan quer über seinen Beinen.

Vorsichtig rüttelte der Halbelf den Kender wach. Tolpan plapperte nur etwas im Schlaf, wälzte sich zur Seite und schmiegte seinen zarten Körper an einen dicken Stein.

Mehrere Fuß weiter lag der Zwerg laut schnarchend auf dem Rücken. Ein leerer Weinschlauch baumelte von seinen bärtigen Lippen. »Flint!« zischte Tanis.

Flint erwachte schnaubend und spuckte den Schlauch aus. »Huch? Wer ist da?« Jammernd legte er eine Hand an die Schläfe und schloß die Augen wieder. »Wer du auch bist, bitte säg mir den Kopf ab, aber mach schnell!«

»Ich mein’s ernst!« schimpfte Tanis.

»Wer macht denn Witze?« grollte Flint, der endlich doch die Augen aufschlug und sich hinsetzte. »Was ist passiert? Wo sind wir?«

Tanis schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Nachdenklich kniff er die Augen zusammen und sagte dann langsam: »Der Sonne nach ist es Morgen, auch wenn ich nicht weiß, wieviel Zeit vergangen ist. Das letzte, woran ich mich erinnere, ist, wie wir nachmittags am Wasser standen. Wir haben Selana gesucht und fanden – «

»Hufspuren von Satyren!« stöhnte Flint. »Ihre Flöten haben uns verhext!« Erschrocken sah er sich im Hain um und entdeckte den zusammengerollten Körper des Kenders. »Da ist Tolpan, aber wo ist die Prinzessin? Meinst du, sie haben sie entführt?«

Die beiden Männer sprangen auf und rannten herum, bis sie die Meerelfenprinzessin hinter einem Strauch fanden. Sie atmete noch und lächelte sogar selig im Schlaf. Ihr blauer Umhang war unter ihr ausgebreitet. Die Tunika hatte sie verkehrt herum an, und ihr Haar war völlig durcheinander. Kleine Stöckchen und trockenes Gras hatten sich darin verwickelt.

»Den Göttern sei Dank, da ist sie«, seufzte Flint.

Tanis rieb sich träge das Gesicht. »Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber ich kann mich an überhaupt nichts erinnern.« Er warf einen Blick auf die schlafende Prinzessin. »Wir sollten sie lieber wecken und uns auf den Weg machen. Nur die Götter wissen, wieviel Zeit wir verloren haben.«

»Zeit ist nicht das einzige, was wir verloren haben«, piepste Tolpan, der plötzlich hinter ihnen stand. »Guckt mal eure Taschen nach. Selanas Lichtmuschel ist weg.«

Tanis und Flint drehten beide ihre Taschen um und machten ihre Beutel auf: leer. »Verdammt!« schrie der Zwerg. Er sah das Messer an Tanis’ Hüfte und merkte, daß die Axt noch an seinem Gürtel hing, woraufhin er einen resignierten Seufzer von sich gab. »Wenigstens haben sie uns unsere Waffen gelassen.«

»Mit diesen magischen Flöten brauchen sie sich wahrscheinlich kaum zu verteidigen«, sagte Tanis, als er seinen Bogen und den Köcher voller Pfeile in den tiefhängenden Ästen eines Baums wiederfand.

Komischerweise war es der Kender, dessen Beutel mit Wertsachen nicht angetastet worden war, der vor Wut kochte. Er stampfte mit dem Fuß auf. »Schon, vielleicht wissen sie ja zu feiern«, erregte er sich, »aber ansonsten beeindrucken mich diese Satyre nicht besonders, das kann ich euch sagen! Das muß man sich mal vorstellen, da nehmen die sich einfach etwas, was ihnen gar nicht gehört!«

»Das muß man sich mal vorstellen«, trällerte Flint leise.

10

Der letzte Verrat

Was Delbridge an der winzigen Zelle, in der er saß, am meisten störte, war der faulig-feuchte Gestank, den nicht einmal frisches Stroh überdecken konnte. Eine Zeitlang versuchte er, durch den Mund zu atmen, was auch half, ihm aber einen rauhen Hals machte.

Außerdem haßte er Langeweile. Die Zelle war finster, denn es gab kein Fenster und nicht einmal einen Türspalt, so daß er schon längst jedes Zeitgefühl verloren hatte. Eine Weile hatte er sich damit beschäftigt, die Steinblöcke des Bodens zu zählen, indem er sie mit den Fingern abtastete, aber dabei hatte er auch so viele andere Dinge gefunden – Dinge, die ihn schon bei der ersten Berührung entsetzten –, daß er bei dreiunddreißig mit dem Zählen aufgehört hatte. In der Ferne hörte er Wasser tropfen und zählte auch die Tropfen, aber bei neunhundertzweiundsiebzig gab er auf, weil es zu regnen anfing und das Tropfen in ein gleichmäßiges Rauschen überging.