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Der untersetzte Mann drehte nervös einen Ring an seinem Finger. »Was ich gestern erzählt habe, war das, was ich gesehen habe. Ich war mir nicht sicher, wie es zu deuten war. Es war so lebhaft und erschreckend. Und ich hatte bestimmt keine Ahnung, daß die Kräfte, die da am Werk waren, selbst Eure Macht überstiegen.«

Delbridge arbeitete sich zäh weiter. »Wenn ich meine Kraft nur richtig unter Kontrolle hätte! Ich bin sicher, daß ich unendlich viel Gutes – «

»Das reicht«, unterbrach ihn Balkom. Sein grimmiger Blick schnitt Delbridge das Wort ab. Balkom faltete die Hände hinter dem Rücken und lief durch die Zelle. Der Pseudozauberer hingegen verlor langsam jedes bißchen Zuversicht.

Nachdem er die Zelle zehn- oder zwölfmal durchmessen hatte, blieb Balkom direkt vor Delbridge stehen und sah ihm ins Gesicht. Etwas erschrocken merkte der Gefangene, daß Balkom gefährlich nah bei dem Armband stand, das im verfaulten Stroh verborgen lag.

»Ich glaube, daß manches an Eurer Geschichte der Wahrheit entspricht«, fing Balkom an. »Nicht der größte Teil, noch nicht einmal ein Drittel davon, aber manches. Zum Beispiel glaube ich, daß Ihr Fetzen der nahen Zukunft wahrnehmen könnt. Ich glaube auch, daß Ihr Schwierigkeiten hattet zu begreifen, was Ihr da erfahrt.

Der Rest Eurer Geschichte… nein, davon glaube ich gar nichts. Zum Beispiel glaube ich nicht, daß es eine angeborene Fähigkeit ist, die Ihr schon immer besessen habt. Wenn das so wäre, solltet Ihr inzwischen damit umgehen können. Ich glaube Euch auch nicht, daß Ihr sie je zum Nutzen von irgend jemand außer Euch selbst eingesetzt habt.

Fangen wir also noch einmal von vorne an und sehen wir mal, ob wir der Wahrheit etwas näherkommen. Erzählt mir genau, was Ihr in Eurer Vision ›gesehen‹ habt. Vor allem, ob Ihr irgendeine Ahnung habt, wer hinter dem Verschwinden des Knappen steckt.«

Diese Art von Verhör war viel mehr nach Delbridges Geschmack. Zum ersten Mal im Leben überlegte er, ob er vielleicht die Wahrheit sagen sollte. Leider befürchtete er, daß seine Antworten Balkom enttäuschen würden.

»Als ich gestern vor Euch stand, habe ich zum ersten Mal etwas von dieser Sache erfahren.« Delbridges Stimme zitterte, weil er es nicht gewohnt war, die Wahrheit zu sagen. »Ich stand da und war völlig unvorbereitet. Ich hatte mir nichts zurechtgelegt, was ich sagen wollte. Ich habe einfach auf die rechte Eingebung gehofft und gedacht, mir würde schon etwas kommen. Bloß auf das, was kam, war ich nicht vorbereitet.«

Balkom hatte Delbridges Bericht genau zugehört. Jetzt trat er zurück, als wäre er beleidigt. »Das ist alles? Weiter nichts, keine Namen, keine Gesichter, keine Motive?«

»Nein, Herr«, entschuldigte sich Delbridge.

»Das ist nicht viel.«

Balkom stand am Eingang und ließ sich Delbridges Geschichte durch den Kopf gehen. Im Licht von dem Stab sah sein blasses Fleisch grau und unnatürlich aus. Einen Moment lang kam es Delbridge so vor, als stünde der Tod im Raum. Rasch schüttelte er diesen Gedanken ab, indem er sich daran erinnerte, daß dieser Mann seine einzige Hoffnung auf Rettung war.

Als Balkom schließlich redete, fixierte sein eines Auge kalt und starr den Gefangenen. »Wenn ich Lord Curston diese Geschichte erzähle, wird er nicht überzeugt sein. Sie hört sich zwar durchaus wahr an, ist aber durch nichts zu beweisen. Für einen Mann wie Curston ist es viel einfacher zu glauben, er wäre das Opfer einer Verschwörung, als daß Euch irgendeine großzügige, magische Kraft ohne ersichtlichen Grund heimsucht.«

Während er sprach, veränderte sich der Tonfall des Magiers. Er war kein Ankläger oder Inquisitor mehr, sondern klang vielmehr wie ein vertrauter Berater. Wieder lief er hin und her. »Lord Curston ist ein Ritter von Solamnia. Er glaubt an die Macht des Schwerts. Er versteht und glaubt an Dinge, die er berühren kann, Dinge, die er mit seinem Schwert verteidigen kann. Was er nicht berühren kann – wie zum Beispiel die Fähigkeit, die Zukunft vorherzusehen –, dem wird er nicht lange trauen. Vielleicht glaubt er von so einer Geschichte von vornherein kein Wort.

Wenn es noch irgend etwas gibt, was Eure Fähigkeit angeht, dann solltet Ihr es mir jetzt sagen, denn wenn ich Lord Curston berichte, was Ihr mir gesagt habt, wird er auf der Stelle das Urteil fällen.«

Balkom drehte sich zur Zellentür um und stand mit dem Rücken zu Delbridge. »Ich bin sicher, das Urteil lautet: Hängen.«

Delbridge wog ab, welche Wahl er hatte. Er erinnerte sich vage daran, wie ihm ein alter Soldat in einer Taverne einst erzählt hatte, daß die unmittelbare Todesdrohung seine Sinne gewaltig schärfte – nur deshalb hätte er solange überlebt. Delbridge hatte das selbst hin und wieder erlebt. Jetzt herrschte in seinem Kopf ein einziges Durcheinander.

Auf seiner Stirn bildete sich Schweiß, der ihm beißend in die Augen rann. Seine Gedanken schweiften ab. Wieder mußte er an das Armband denken. Das war die Ursache für den ganzen Ärger. Wenn er es los wurde, war er womöglich auch seine Probleme los.

»Würde Lord Curston mir glauben, wenn er einen Beweis sehen würde? Wirklich etwas berühren könnte? Ich habe einen Beweis. Den könntet Ihr ihm zeigen.«

Balkom drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen wieder zu Delbridge um. »Was für einen Beweis?«

»Ein magischer Gegenstand«, blökte Delbridge, »ein Kupferarmband. Ich weiß nicht, wo es herkommt. Ich habe es erst vor zwei Tagen von einem Kesselflicker bekommen… oder waren es drei?«

»Wo ist dieses Armband?« wollte Balkom wissen. »Habt Ihr es noch?«

Eine zitternde Hand wies in die Richtung, wo Delbridge das Kupferarmband hingeschleudert hatte. Balkom nahm den leuchtenden Stab von der Mauer und ging in die Ecke. Er stieß das feuchte, schwarze Stroh mit dem Fuß beiseite, bis er etwas glitzern sah. Langsam bückte er sich und hob das Armband auf. Die kostbaren Steine fingen das Licht aus Balkoms Stab ein und warfen es in hundert Pünktchen zurück, die über die rauhen Wände tanzten.

Balkom untersuchte es genauer, legte es aber nicht an. Mit dem Armband in den Fingern drehte er sich zu Delbridge um. »Wenn dieses Ding wirklich das kann, was Ihr sagt, dann gibt es sicher eine Chance, daß Lord Curston Euch gegenüber nachsichtiger urteilt. Ich werde ein gutes Wort für Euch einlegen.«

Nachdem er sein Ziel erreicht hatte, klopfte Balkom mit seinem Lichtstab an die Zellentür, die behäbig und mit protestierenden Angeln aufschwang. Als der Magier hinausging, legte sich Dunkelheit über den Raum, und die Tür fiel mit einem Knall zu.

Das Klicken eines Türbolzens und kreischende Angeln weckten Delbridge. Angesichts des hellen Fackellichts, das durch den Türrahmen hereinströmte, rollte er sich wie eine Schlange zusammen und starrte zunächst einmal benommen an die Rückwand seiner Zelle. Als er richtig wach wurde, fiel ihm ein, wo er war.

Während er sich langsam umdrehte und dabei immer noch eine Hand über die Augen hielt, blinzelte er zur Tür hin. Dort stand jemand vor einer brennenden Fackel. Delbridge sah den Umriß eines spitzen Helms und eines senkrecht gehaltenen Speers.

»Los, komm schon, du hast eine Verabredung mit Lord Curston.« Die Stimme war barsch und voller Sarkasmus.

Delbridge schrak zurück und kauerte sich in die Ecke. »Was soll das? Läßt er mich holen? Werde ich freigelassen?«

»Ich bin nicht hier, um Fragen zu beantworten. Los, ich habe keine Lust, dich hier rauszuschleifen.«

Eine zweite Gestalt trat ins Licht. »Na gut, Toseph, warte im Gang«, sagte sie leise und dann lauter: »Du da, Gefangener, hoch mit dir. Es wird Zeit, daß du Lord Curston unter die Augen trittst.«

»Bin ich begnadigt? Wo ist Balkom?«

Beide Wachen ignorierten seine Fragen. Langsam erhob sich Delbridge von den Knien und ging zögernd zur Tür. Mittlerweile hatten sich seine Augen an das Fackellicht gewöhnt. Im Gang sah er drei weitere Soldaten, die offenbar alle darauf warteten, ihn zu Lord Curston zu begleiten. Beim Überschreiten der Schwelle taumelte er etwas.