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Tolpan griff zu und umfaßte die Hand des Mannes. »Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich kennenzulernen, Tanis. Du bist der erste hier, der freundlich zu mir ist. Ich bin Tolpan Barfuß, von den Barfußens aus Kenderheim. Vielleicht hast du ja schon von uns gehört? Freut mich auch, deine Bekanntschaft zu machen, Flint Feuerschmied. Tut mir leid, daß du meine Absichten mit dem Armband falsch verstanden hast. Es ist ein schönes Stück.«

Tolpan streckte dem Zwerg seine Hand entgegen, doch der verschränkte die Arme und starrte in den Himmel, bis ihn ein Stoß von Tanis’ Ellenbogen fast umwarf. Nachdem er Tanis einen finsteren Blick zugeworfen hatte, nahm Flint schließlich widerwillig Tolpans »Entschuldigung« an und drückte ihm die Hand.

Tanis betrachtete amüsiert Flints verbohrtes Gesicht. »Nun, Tolpan«, sagte er, »ich bin froh, daß das beigelegt ist. Ich wünsche dir eine gute Reise, wo auch immer du hingehst.«

»Eigentlich«, erwiderte der Kender nachdenklich, »könnte ich jetzt, wo ich hier in Solace Freunde habe, auch eine Weile bleiben.«

»Eigentlich«, sagte Flint hastig, »wohnen wir gar nicht – «

Der Absatz von Tanis’ Stiefel drehte sich auf Flints Zehen und schnitt dem Zwerg so das Wort ab. »Was Flint sagen wollte, ist«, erklärte Tanis, »daß wir zwar hier wohnen, aber in ein, zwei Tagen aufbrechen, sobald die Straßen wieder trocken sind. Der Frühlingsmarkt geht nur noch zwei Tage, und dann brechen wir mit unseren Waren auf, wahrscheinlich nach Süden, nach Qualinost.«

Tolpans Gesicht leuchtete. »Wirklich? Ich war noch nie in der alten Hauptstadt der Elfen, aber sie soll atemberaubend sein. Mein Onkel Fallenspringer hat mal die Stimme der Sonne kennengelernt. Ich hatte selbst schon überlegt, ob ich mal dahin ziehen soll.« Sein erwartungsvoller Blick glitt von Tanis zu Flint und dann schnell wieder zu Tanis.

Tanis trat verlegen von einem Bein auf das andere. »Nun, die Reise nach Qualinost steht noch nicht fest. Nicht ganz, jedenfalls. Wir gehen vielleicht auch erst, ähm, nach Abanasinia. Wir haben uns noch nicht entschieden. Hängt ganz davon ab.«

»Wovon hängt es denn ab?« fragte der Kender unschuldig.

Flint verschränkte die Arme und grinste Tanis frech an, um dann augenzwinkernd zu sagen: »Das wüßte ich auch gern, Tanis. Wovon genau hängt es denn eigentlich ab.«

Tanis räusperte sich verlegen und versuchte dann, den Kloß im Hals herunterzuschlucken. »Das Übliche. Wie die Straßen aussehen, und was wir von anderen Kaufleuten über die Gegend hören, und ob wir gute Wegbeschreibungen bekommen«, – er wurde rot – »und so.«

Tolpan strahlte. »Um die Wegbeschreibungen braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Ich habe phantastisch genaue Karten von der ganzen Gegend. Die zeigen, wo die Straßen herkommen und wo sie hinführen – jedenfalls meistens. Und wo schlechte Brücken sind und wo man hohe Zölle bezahlt und wo man gutes Essen bekommt. Es steht alles mögliche drauf.«

Der Kender richtete sich entschlossen auf. »Ihr werdet noch gewaltig froh sein, daß ihr mich getroffen habt.«

2

Unter Freunden

Das Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« schmiegte sich hoch oben in die Äste eines der dicksten Vallenholzbäume von Solace. Das war nur angemessen, denn das Wirtshaus war eines der größten Häuser der Stadt. Selbst unten auf der Erde hätte es einladend ausgesehen. Aber dort oben in den Zweigen dieses mächtigen Baums wirkte das zweistöckige Gebäude wie verzaubert.

Der einzige Nachteil, den seine Lage mit sich brachte: Es war mühsam zu erreichen. Eine lange Rampe wendelte sich immer wieder um den dicken Stamm, bis der unvorbereitete Gast endlich schnaufend und überaus durstig vor der Wirtshaustür stand. (Selbstverständlich hatte diese Rampe auch ein festes Geländer, was jenen Besuchern zugute kam, die vielleicht Schwierigkeiten beim Abstieg hatten.)

An diesem Abend machten sich Tanis und Flint nach oben auf.

Als Flint einen Augenblick stehenblieb, um sich am Stamm anzulehnen und um sich durch den Bart zu streichen, sagte er: »Ich schwöre, daß dieses Schlitzohr von Otik sein Wirtshaus jedes Jahr ein kleines bißchen höher baut. Und überhaupt, welcher Trottel sorgt dafür, daß sein Geschäft so schwer zu erreichen ist?«

»Es ist nur schwer, wenn man von unten kommt. Du beschwerst dich schließlich nie, wenn wir über die Hängebrücke kommen«, erwiderte Tanis. »Ich glaube, das eigentliche Problem ist, daß du alt wirst.«

»Und ich glaube, du wirst blöd«, raunzte der Zwerg, als er weiterstieg. »Nur ein Hirnloser würde einen Kender zum Bier einladen, und nur ein verfluchter Idiot würde einen zu einer Reise einladen.«

Tanis, der nach all den Jahren an die gallige Zunge des Zwergs gewöhnt war, war nicht beleidigt. »Keiner sagt, daß du mitkommen mußt, Flint. Ich kenne deine Waren gut genug, um sie für dich verkaufen zu können. Jemand in deinem Alter sollte wahrscheinlich sowieso nicht mehr so viel reisen.«

Flint zeigte mit seinem kurzen, dicken Finger auf seinen frechen, jungen Freund. »Vergiß nicht, daß ich dich selbst in meinem Alter noch in der Mitte durchbreche wie einen fettigen Hähnchenknochen. Du lebst bloß noch, weil ich nicht so eine große Reichweite habe.«

Tanis legte dem Zwerg lachend den Arm um die breiten Schultern. »Egal«, sagte er, »es hat auch keiner gesagt, daß er mitkommen muß. Wahrscheinlich vergißt er, daß wir das je vorgeschlagen haben. Wenn er wirklich Karten von der ganzen Gegend hat, die wir ansehen und vielleicht sogar abmalen können, kann er uns Unmengen Zeit und vergebliche Mühen ersparen. Du weißt, wie verwirrend die Kharolisberge sein können.«

»Ja, ich weiß«, brummte der Zwerg. »Und ich weiß auch, daß ich vor meinem Feuer sitzen könnte, die Beine hochlegen, meinen eigenen geräucherten Schinken essen und guten Zwergenschnaps trinken könnte.«

Der Halbelf seufzte. »Es wird dir guttun, rauszukommen. Ich schwöre«, sagte er kopfschüttelnd, »du wärst ein richtiger Einsiedler, Flint Feuerschmied, wenn ich dich ließe.«

»Warum tust du’s dann nicht?«

Tanis schlug Flint freundschaftlich auf die Schulter.

»Zu schade, daß ich der einzige bin, der weiß, wie leicht du’s einem machst.« Er kniff den Zwerg einmal fest und warnend in die Schulter. »Und jetzt versuch wenigstens, freundlich zu Tolpan zu sein. Er scheint wirklich ein netter, kleiner Kerl zu sein.«

Flint schnaubte nur als Antwort. Seine schweren Stiefel trabten laut über die Holzstege.

Dann kamen sie auf der Veranda vor der Tür zum Wirtshaus an. Von innen schienen helle Lichter warm durch die bunten Glasfenster. Gelächter und Gesang drangen als Willkommensgruß für die neuen Gäste aus der Schenke. Tanis schloß die Augen, machte die Tür auf und holte tief Luft, als er den Raum betrat.

Die Düfte im Wirtshaus fand Tanis unwiderstehlich. In der Luft mischten sich Pfeifen- und Kaminfeuerrauch mit dem Geruch nach Otiks Würzkartoffeln, brutzelnden Würstchen, Brathähnchen und frischem Brot aus der Küche und dem allgegenwärtigen Frühlingsduft des mächtigen Vallenholzbaumes, dessen Stamm durch die Mitte des Schankraums wuchs.

Als Tanis die Augen wieder aufmachte, verschlug es ihm die Freude an den Wohlgerüchen. Die Gäste des Wirtshauses waren oft ausgelassen. Heute abend aber standen und saßen mehrere Dutzend Stammgäste überall herum, klatschten und schlugen ihre Krüge im Takt zu einem peinlich unflätigen Lied. Und ausgerechnet der, den sie hier treffen wollten, stand im Mittelpunkt des Ganzen, sprang von Tisch zu Tisch und kletterte sogar auf den Schultern seines Publikums herum: der unverwüstliche Kender persönlich, Tolpan Barfuß.

Flints Ellenbogen fuhr Tanis in die Rippen, wodurch die Luft herausströmen konnte, die Tanis angehalten hatte. Tanis warf Flint einen Blick zu, konnte jedoch als Antwort auf die finstere Miene des Zwergs nur mit den Schultern zucken. Mit geübter Geduld begann Tanis, sich einen Weg durch die laute, stampfende Menge zu bahnen.