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Während sie dem Fluß in die Berge gefolgt waren, war das frühlingshafte Grün der Landschaft allmählich winterlichem Eis und Schnee gewichen. Tolpan war zum Flußufer gelaufen, um sich schnell einen Schluck Wasser zu schöpfen, aber das Land unter seinen Füßen hatte sich als schneebedecktes Eis erwiesen. Das fand er jedoch erst heraus, als es unter lautem Ächzen und Knirschen vom Ufer abgebrochen war.

»Zu dumm, daß ich nichts mehr von Selanas Trank habe, ihr wißt schon, den Trank, mit dem ich mich in einen Vogel verwandeln konnte. Dann könnte ich zu euch rüberfliegen«, rief Tolpan ihnen unbekümmert zu. »Habe ich euch schon erzählt, wie ich eine Fliege war und mich dann in eine Maus verwandelt habe und aus dem Netz gefallen bin, als mich diese riesige, haarige Spinne gejagt hat?« Bei der Erinnerung rieb sich Tolpan die Hüfte.

»Der Verwandlungstrank. Das hast du uns erst tausendmal erzählt«, keuchte Flint, der sich anstrengen mußte, nicht von einer Schneebank zu rutschen, während er auf gleicher Höhe neben dem treibenden Eisstück herlief. »Ich mein’s ernst, Tolpan. Hör auf mit dem Unfug und komm da runter.«

»Flint«, rief Tanis, der leichtfüßig hinter dem Zwerg her durch den fast knietiefen Schnee sprang, »ich glaube nicht, daß Tolpan diesmal Unfug macht.« Dann fügte er mit leiser Stimme an Flint hinzu: »Er merkt es vielleicht gar nicht, weil er vor nichts Angst hat, aber er ist wirklich in Gefahr.«

»Großer Reorx«, schimpfte der alte Zwerg, blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir sollten ihn einfach zurücklassen, so viel Scherereien wie er uns schon gemacht hat.«

Tanis blieb ebenfalls stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Zum Beispiel, als er uns aus dem Gefängnis befreit hat?« fragte er gereizt.

Flint sah ihn finster an. »Ich dachte mehr an die Male, wo er das Armband gestohlen hat, womit dieser ganze Alptraum angefangen hat, aber ich gebe zu, daß er hin und wieder ganz nützlich war«, sagte er. Dann senkte er den Kopf. »Was sollen wir jetzt also machen?«

Sie sahen zu dem Kender rüber, dessen Eisscholle sich gerade in einem Haufen alter Zweige in der Mitte des Flusses verfangen hatte.

»Ich weiß es nicht«, sagte Tanis und kratzte sich am Kopf, »aber uns sollte lieber bald etwas einfallen, weil der Fluß weiter unten immer breiter wird, und ich meine, ich kann mich an einen kleinen Wasserfall etwa an der Schneegrenze erinnern.«

Flint sah Tanis erschrocken an.

Der Halbelf schnippte mit den Fingern. »Ich hab’s! Wir suchen einen langen Ast. Den halten wir ihm hin und ziehen ihn an Land.« Flint nickte zustimmend und schloß sich Tanis sofort bei seiner hastigen Suche nach einem langen, festen Ast an.

Was Tolpan anging, so war der nicht gerade auf »Unfug« aus, aber er war auch nicht allzu unglücklich über das, was mit ihm geschah. Auf der tanzenden, schwankenden Eisscholle entlangzutreiben, erinnerte ihn an das Türenreiten von früher, einen sehr beliebten Wintersport der furchtlosen Kenderrasse. In seiner Heimatstadt Kenderheim hatten die Kender damals beim ersten, ausreichenden Schnee die Haustüren ausgehängt und waren auf ihnen – ob alt oder jung – im Stehen die verschneiten Hänge heruntergerutscht. Unternehmungslustigere Kender fuhren auf den Türen gern schneebedeckte Treppen hinunter, denn vielen Häusern in Kenderheim fehlten Dach oder Wände, so daß auch innen eine dicke Schneedecke lag. Die mutigsten Kender waren sogar dafür bekannt, daß sie mehrstöckige Gebäude mit Schrägdächern hinabschossen. Diese Methode war aber nicht gern gesehen, weil so viele Passanten – ganz zu schweigen von den Türenreitern – umgefahren und verletzt wurden und die Nachbargebäude unweigerlich Schaden nahmen.

Bei der Erinnerung an einen Kindheitsfreund, der mit wehendem Haarknoten von einem Haus gesegelt war, seufzte Tolpan nostalgisch. Er war jahrelang nicht mehr zu Hause gewesen, ob zum Türenreiten oder zu anderen Anlässen. Und diese Eisscholle war zwar etwas Ähnliches, kam aber doch erheblich langsamer vorwärts als eine gewachste Tür an einem Steilhang.

»Tolpan, halt dich an dem Ast fest, dann ziehen wir dich an Land«, rief Flint. Tolpan sah den Zwerg ein Stück flußabwärts am linken Ufer hocken. Er streckte ihm einen langen, dünnen Ast hin. Tanis stand hinter dem Zwerg, um jederzeit mitanpacken zu können.

»Mach schnell, bevor du an mir vorbeitreibst!« sagte Flint. »Außerdem kann ich diesen Ast nicht ewig halten!«

Tolpan kroch zum Rand der Scholle und streckte seine Hand so weit aus, wie er es wagte, aber ihn trennten immer noch mehrere Fuß von dem Halt. Angestrengt streckte er seine Finger nach der dünnen Astspitze aus. Die Strömung trieb seine Scholle näher. Wenn er nur die Spitze berühren könnte… Er drehte den Kopf zur Seite, um eine größere Reichweite zu haben, und lauerte aus den Augenwinkeln auf seine Chance.

Er spürte glatte Rinde an den Fingerspitzen! Aufgeregt legte Tolpan seine Hand um den Zweig und hielt sich fest. Flint und Tanis jubelten.

»Laß nicht los, Tolpan«, sagte Flint, der den Ast jetzt Hand um Hand zu sich her zog.

»Bestimmt nicht!«

Plötzlich gab der Boden unter dem sich abmühenden Zwerg nach und brach vom Ufer ab. Bei dem unerwarteten Ruck riß der Zwerg an dem Zweig. Das Holz, das nach einem Winter auf dem Waldboden alt und trocken war, brach in zwei ungleiche Stücke. Tolpan, der auf das plötzliche, zusätzliche Gewicht nicht vorbereitet war, ließ den Ast in den Fluß fallen, wo er zwischen den beiden Schollen unterging. Flint schaffte es, seinen Teil festzuhalten, aber leider war ihm nur ein nutzloser Stummel geblieben.

Gestikulierend rief Tanis vom Ufer aus: »Flint, der Wasserfall!«

Der Zwerg, der jetzt hilflos mit dem Kender flußabwärts trieb, sah nach vorn zu dem nahenden Wasserfall. Er konnte das Wasser unten schon tosen hören. »Völlig nutzlos!« schrie er, während er wütend seinen gebrochenen Ast hinwarf. Wasser war einfach nie zu etwas gut, dachte er verbittert.

Tanis legte beide Hände trichterförmig um den Mund und brüllte dem Zwerg und dem Kender, die auf dem Eis standen, über das donnernde Wasser hinweg zu: »Flint, Tolpan, legt euch auf den Bauch und haltet euch am Rand der Scholle fest!« Der Halbelf wußte, daß sie damit nur eine kleine Chance hatten, nicht an den Felsen zerschmettert zu werden, aber eine kleine war besser als gar keine.

»Was?« schrie Tolpan, der sein spitzes Ohr Tanis am verschneiten Ufer zuwandte.

»Ich habe gesagt – ach, guck einfach her!« Tanis warf sich auf den Bauch und breitete die Arme aus, um es vorzumachen.

Der Wasserfall war nur noch zehn Fuß entfernt.

Flint lag bereits auf dem Eis, als Tolpan plötzlich begriff. Rasch legte er sich mit ausgestreckten Armen und Beinen auf den Bauch, doch dann sah er etwas hinter Tanis’ Kopf schweben. Er blinzelte verwirrt. Flammen? Riesige Flammenzungen! Wieso stand Tanis in Flammen?

Da sah Tolpan etwas, was selbst er nur mit Mühe glauben konnte: drei kleine, menschenähnliche Wesen in einfachen Tunikas, Hosen und Stiefeln, jedes mit Flammenflügeln am Rücken. Er zwinkerte zweimal und sah wieder hin. Sie waren immer noch da.

»He!« schrie der Kender aufgeregt, sprang auf und hüpfte auf der Eisscholle herum, während er auf sie zeigte. »Tanis, Flint, dreht euch mal um! Da ist – aua!«

Tolpan wurde buchstäblich das Wort abgeschnitten, denn er biß sich vor Überraschung schmerzhaft auf die Zunge. Kräftige, kleine Hände hoben ihn an den Achseln hoch und trugen ihn in dem Moment von der Scholle fort, als diese über den Rand des Wasserfalls trieb. Als der Kender an seinen baumelnden Füßen vorbeiblickte, sah er die Eisscholle unten auf den Felsen zerschellen und dann im brodelnden Wasser verschwinden. Er merkte, daß er immer höhergetragen wurde, bis er über den Baumwipfeln flog. Daß er gerade noch dem Tod entgangen war, hatte er vor lauter Begeisterung über den Flug schon fast wieder vergessen.

Schließlich sah Tolpan nach oben. Dort erblickte er ein verkniffenes, kleines Gesicht mit Mandelaugen unter kupferroten Locken. Die Ohren liefen schön spitz zu. Tolpans Augen wanderten in sprachloser Faszination zu den auf und ab schlagenden, knisternden Flammenflügeln über den schmalen, feinknochigen Schultern des Wesens.