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»Was bist denn du?« fragte Tolpan, und seine Augen funkelten vor Neugier. »Sind das echte Flügel, oder ist das nur Feuer? Wenn du in Flammen stehen würdest, hättest du ja bestimmt keine Zeit, andere Leute von Eisschollen zu retten, stimmt’s? Ich habe auch schon mal gebrannt«, fuhr er fort.

»Meine kleine Schwester hat mir nämlich den Schuh angezündet. Ich konnte zwar nicht fliegen, aber ich muß sagen, ich bin mächtig schnell gerannt, bis es mir jemand löschen konnte. Aber das ist doch irgendwie was anderes, oder?«

Tolpan wartete auf eine Antwort von dem rötlichen Kerl, aber der sagte nichts. Sein Gesicht verriet nur Konzentration, während er mit seiner Last auf ein unbekanntes Ziel zusteuerte.

»Kannst wohl keine Gemeinsprache, hm?« folgerte Tolpan. »Macht nichts. Nicht jede Rasse ist intelligent genug dafür. Dann weiß ich allerdings nicht, wie wir uns unterhalten sollen. Immerhin spreche ich etwas Troglodytisch – fast fließend«, erklärte der Kender stolz, »auch wenn ich bestimmt kein Wort lesen könnte.« Er runzelte die Stirn. »Ehrlich gesagt, glaube ich auch nicht, daß man Troglodytisch schreiben kann.«

Der Gesichtsausdruck des Wesens wurde noch verkniffener. »Ich beherrsche sechs Sprachen in Wort und Schrift, wie alle Phaetone«, sagte er schließlich gestelzt, »auch wenn das Pfeifen und Schmatzen, das der armseligen Rasse der Troglodyten als Sprache dient, nicht dazugehört.« Damit machte der Phaeton seinen Mund wieder fest zu.

»Wo wollen wir denn hin?« fragte Tolpan unschuldig. Er bemerkte, daß nicht weit entfernt ein weiteres Flügelwesen Tanis über die Baumspitzen trug und unter ihnen zwei den beleibten Zwerg schleppten, der gegen ihren Griff anzukämpfen schien – was Tolpan ziemlich dumm vorkam. Tolpans Phaeton ließ sich weder durch Anstacheln noch durch Beleidigungen dazu bewegen, weitere Informationen preiszugeben.

Mit fremder Kraft zu fliegen, war lange nicht so angenehm, wie selbst zu fliegen, dachte Tolpan, als er diesen Ausflug mit jenem verglich, wo er selbst der Vogel gewesen war. Als Kender konnte er nicht so scharf sehen wie als Sperling, auch wenn ihm seine eigenen Augen vertrauter waren. Eines war sicher – fast alles konnte besser sehen als eine Fliege.

Sie stiegen höher in die Berge auf, dorthin, wo der Schnee tief war und nur noch wenige Bäume standen. Ein eisiger Wind pfiff an Tolpans Ohren vorbei, der ihn an den Atem eines Frostriesen denken ließ. Er vermischte sich mit dem Geräusch angefachter Flammen, das sich so anhörte, als wenn ein Tuch in starkem Wind knatterte.

Tolpans Achseln schmerzten allmählich, weil sein Gewicht ihn in den Händen des Phaetons nach unten zog. Er bewegte sich etwas und wollte das Gewicht verlagern, doch das Flügelwesen griff nur noch fester zu und blickte finster auf den Kender hinunter.

Nach einer Weile, die dem ungeduldigen Kender wie eine Ewigkeit vorkam, näherten sie sich einer Bergwand. Tolpan erwartete, daß sie aufsteigen, langsamer werden und auf einer Lichtung landen würden, doch der Phaeton machte keine Anstalten, langsamer zu fliegen. Mit einer Geschwindigkeit, die selbst der furchtlose Kender gewagt fand, raste er auf den zerklüfteten Berg zu. Wo wollte er denn bloß landen? Hier gab es nichts als scharfe Felsspitzen, so weit Tolpan sehen konnte. Wollte der Phaeton ihn etwa gegen die Felsen schmettern? Tolpan verwarf diese Möglichkeit, denn dann hätte ihn das Wesen schon längst fallen lassen oder gleich auf dem Eis lassen können. Schließlich konnte Tolpan nicht länger an sich halten.

»Vorsicht, du Sohn eines Ziegenmelkers! Du rammst uns noch gegen den Felsen!«

In allerletzter Sekunde schwang sich der Phaeton nach oben und über den Gipfel des zerklüfteten Bergs. Auf der anderen Seite bot sich ihnen ein Panorama, wie Tolpan es noch nie gesehen hatte. Vor ihnen lagen Hunderte von Türmen aus orangebraunem Fels, deren Spitzen durch weiße und graue Wolken ragten. Tolpan sah hinunter und entdeckte tief unten ein saftiges, grünes Tal mit sorgfältig angelegten Feldern, die sich an den Fundamenten der Steintürme entlangzogen. Die Seiten der Türme waren bis auf einen Abstand von hundert Fuß unter der Spitze mit Kletterpflanzen bewachsen. Dort beulte sich jedes dieser natürlichen Minarette plötzlich zu einer hohlen Zwiebelform aus, in deren runder Oberfläche sich Öffnungen befanden – Fenster und Türen, nahm Tolpan an.

Tolpans Phaeton brauste an einer ganzen Reihe Türme vorbei, bis er einen erreichte, der höher war als die meisten anderen. Er stand auf einer Klippe. Mit verlangsamtem Flügelschlag näherte sich der Phaeton und flog mit seiner unbequemen Last vorsichtig durch einen Türbogen. Schließlich senkte der Phaeton Tolpan durch Anlegen seiner Flügel ab, bis die Füße des Kenders den Boden berührten. Dann landete der Phaeton.

»Hui! Was für ein Flug! Das ist unglaublich! Lebt ihr hier oben? Sind das wirklich Wolken oder nur Nebelschwaden? Wie weit ist es bis zum Boden?« Ohne eine Antwort abzuwarten, begann Tolpan sofort, seine Umgebung zu inspizieren.

Er stand in einem kleinen, halbkreisförmigen Vorraum. Die Wände waren vollständig mit einfachen Sprüchen und flachen Reliefs bedeckt, die Tolpan als flügellose Phaetone bei unterschiedlichen Arbeiten interpretierte: säen, das Land bestellen, Wasser schleppen, ernten und alles, was in einem Dorf an Aufgaben anfällt.

In der geraden Wand des Vorraums gab es zwei Türen, und beide standen offen. Eine führte in einen großen, offenen Raum mit einer Feuerstelle in der abgerundeten Außenwand. Dort brannte ein kleines Feuer, davor stand Steingutgeschirr sowie ein paar Holzstühle und Hocker. Links war eine Reihe kleiner Schränke, die dem Verlauf der Wand folgten. Die zweite Tür führte in einen kleineren Raum, wo zahlreiche dicke Federkissen symmetrisch auf dem Boden ausgebreitet waren.

Tolpan betrat den Raum mit dem Herd. Auch die Wände dieses Zimmers waren voller Reliefs, doch diese zeigten Szenen, in denen von Flammenflügeln getragene Phaetone scheußliche Geschöpfe bekämpften, wie Tolpan sie weder aus eigener Erfahrung noch vom Hörensagen kannte.

»Warte hier«, sagte der Phaeton. Er trat durch die Außentür ins Leere und verschwand aus Tolpans Blickfeld. Der Kender sprang an eins der kleinen Fenster und sah mit erneutem Erstaunen, wie aus dem gefiederten Rücken des Phaetons Flammen in Form von Flügeln barsten und wie er erschreckend rasch abtauchte. Tolpan sah ihm nach, bis der Geflügelte in den Wolken zwischen den Türmen verschwand.

Warte hier. ›Wo soll ich schon hin?‹, dachte der Kender ironisch. Draußen gab es nur Luft und Wolken. Die einzige Art, den Erdboden zu erreichen, war Springen, und das würde viel Dreck machen. Also stützte er seine Ellbogen aufs Fensterbrett und starrte auf das grüne Tal – oder das, was er durch die dahintreibenden Wolken davon sehen konnte – Hunderte, vielleicht Tausende von Fuß tiefer.

Hinter sich hörte Tolpan plötzlich Flammen in der Luft knistern und danach leise Schritte. Als er herumfuhr, sah er, daß vier fremde Phaetone eingetroffen waren. Einer war eine Frau in lockersitzenden Hosen und einer Tunika. Sie trug eine bunte Schärpe um den Bauch und war anscheinend die Mutter des kleinen Mädchens mit den langen, roten Locken, das hinter ihr stand und an ihrem Bein vorbei scheue Blicke auf Tolpan warf. Der dritte Phaeton, offenbar der Vater, war ein erwachsener Mann, der schützend vor den anderen stand. Er war so angezogen wie derjenige, der Tolpan hergebracht hatte, sah aber älter aus. Seine Haut war röter und wettergegerbter. Mit beiden Händen hielt er einen knorrigen Stab, und in seinem Gürtel steckte ein großes Messer.

Der vierte Phaeton, falls er wirklich einer war, sah so aus, als wäre er bei weitem der Älteste von ihnen. Er achtete kaum auf die anderen oder auf Tolpan, sondern setzte sich heiter an den leise brennenden Herd. Wie die anderen Phaetone, die Tolpan gesehen hatte, hatte er kurze, wellige Haare, aber bei ihm waren sie schlohweiß anstatt rot. Sein tiefgefurchtes Gesicht war kupferrot, und seine Augen waren tiefschwarz – man konnte nicht einmal die Pupillen erkennen.