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Balkoms abstoßendes Gesicht wurde finster vor Wut, und er sah so aus, als wollte er Selana noch einmal schlagen. Dicht vor ihrer Wange hielt er inne und verzog das Gesicht plötzlich zu einem unheimlichen Grinsen. »Vielleicht nicht, Prinzessin. Darum bekommt er auch noch eine weitere, noch wertvollere Seele.«

Fast zärtlich nahm Balkom mit dem Finger einen Tropfen Blut von ihrem Mundwinkel ab. Während er mit offensichtlichem Vergnügen Selanas entsetzten Gesichtsausdruck betrachtete, leckte er sich den Finger ab und genoß den Geschmack. »Blut ist äußerst delikat, nicht wahr? Ich glaube, das Salzige daran gefällt mir am besten. Aber ich verschwende meine Zeit.«

Mit einem regelrecht gelangweilten Seufzer nahm er ihren schlanken Arm mit eisenhartem Griff und zog die stolpernde, schluchzende Elfin zum Tisch. Sie trat nach ihm, doch er wehrte den halbherzigen Angriff leicht ab. »Versuch doch, etwas königliche Würde zu wahren, Prinzessin«, spottete er.

»Wenn wir schon dabei sind, wir können dich natürlich nicht wie ein Straßenmädchen vor Hiddukel, den Seelenhändler, treten lassen.« Balkom murmelte ein Wort, und schon waren Selanas zerrissene Kleider durch ein elegantes Gewand aus Gaze in derselben ungewöhnlichen blaugrünen Farbe wie ihre Augen ersetzt. Ihre auf magische Weise gewaschenen und gekämmten Locken umspielten ihr blasses Gesicht. Sie zitterte in der feuchten Luft.

Balkom betrachtete ihr neues Erscheinungsbild und lächelte, wobei er traurig mit der Zunge schnalzte. »Wie schade. Du warst eine bezaubernde Prinzessin.«

Die verängstigte Meerelfin schloß die Augen, damit ihr vielleicht ein letzter Zauber – egal welcher – einfiele, der ihr bei der Flucht helfen könnte, aber ihre Zauberkräfte waren erschöpft.

Balkom griff in die Tiefen seiner schwarzen Robe und zog einen großen Rubin hervor. Als sie in dessen Facetten blickte, kam es Selana fast so vor, als könnte sie das schöne Gesicht des jungen Knappen, Rostrevor, erkennen.

Der Zauberer legte den großen Edelstein auf den Tisch. Dann sah er zu einem Loch in der Decke hoch, das etwa sechs Fuß Umfang hatte und durch das gedämpftes Mondlicht auf eine ovale Vertiefung in der Größe des Edelsteins fiel, die in den Granit eingelassen war. »Du kannst Nuitari nicht sehen, Prinzessin, aber schon bald wird er genau über uns in Konjunktion mit Lunitari treten. Wenn das geschieht, wirst du in diesen prächtigen Rubin eingeschlossen werden, genau wie Rostrevor in seinem steckt. Ich kann mir vorstellen, daß es ein angenehmes Gefängnis ist – alles schimmert in zahllosen Rotschattierungen. Viel angenehmer jedenfalls als das, was dich in Hiddukels zärtlicher Umarmung erwartet.«

Er schob erneut die Hand in seine Robe, hielt dann inne und betrachtete das Handgelenk mit dem Armband. Die Haut unter dem Kupferband wurde plötzlich unangenehm warm. Er rieb sich das Handgelenk, aber die Haut fühlte sich bei der Berührung nicht heiß an. Dennoch war das Hitzegefühl unbestreitbar da.

Balkom wollte das Armband gerade abziehen, als ihn etwas leicht am Hinterkopf traf. Er taumelte kurz und fuhr dann zu dem Angreifer herum. Anstatt jemanden hinter sich zu sehen, sah er mehrere Leute, darunter den Kender, den Zwerg und den Halbelfen, durch die Tür zu seinem Zaubererlabor eintreten. Als sie auf ihn zustürmten, sprangen drei weitere Personen durch die Öffnung über dem Altar und griffen ihn von hinten an.

Mit pochenden Schläfen hatte Balkom fast einen Verteidigungszauber gesprochen, als ihm klar wurde, daß keine Angreifer da waren. Er blinzelte einige Male. Bis auf ihn selbst, Selana und seine Golems war der Raum leer. Die anderen waren Hirngespinste gewesen, nur… Vision.

Fast augenblicklich erkannte er: Das Armband hatte ihm tatsächlich einen Blick in die Zukunft gestattet.

Selana hatte sein Gesicht nicht aus den Augen gelassen! »Was ist los? Was habt Ihr gesehen?«

Schnell warf er ein einfaches Festhalten über die Meerelfin.

»Danke für das Armband, Prinzessin«, sagte er. »Es hat mich gerade auf etwas aufmerksam gemacht, gegen das ich leicht Vorkehrungen treffen kann. Auch wenn ich mir nicht erklären kann, wie deine Freunde aus Tantallon entkommen sind, haben sie sich anscheinend zu einer Rettungsaktion entschlossen.«

Er nahm das Armband ab, damit es ihn nicht beim Zaubern störte, und legte es auf den Altar.

»Ich muß ein paar ungebetene Gäste willkommen heißen.«

Epilog

Die vier Gefährten standen auf einem sandigen Strandstück an der Westküste des Neumeers. Tanis war bis ans Wasser gegangen und ließ flache Steine über die glatte Oberfläche hüpfen, auf der sich die untergehende Sonne spiegelte. Tolpan hatte sich die Hosen bis zu den Knien hochgerollt und jagte kreischende Möwen, wobei er hin und wieder anhielt, um interessante Muscheln aufzuheben und sie zur späteren Untersuchung in seinen Beutel zu stecken.

In sicherer Entfernung vom Wasser saß Flint neben Selana auf einem großen Stück grauem Treibholz. Die Stiefel hatte er ausnahmsweise ausgezogen, um seine dicken, haarigen Zehen im feuchten, weißen Sand einzugraben. Seine verwundete Schulter, die unter der losen, blauen Tunika fest mit sauberem Mousseline verbunden war, tat jetzt dank einer Kräutersalbe von den Phaetonen kaum noch weh. In einer Hand hielt er sein Schnitzmesser, in der anderen ein weiches Stück Treibholz, aus dem er eine Möwe herausarbeitete.

Zwei Tage waren seit dem schicksalhaften Kampf mit dem Zauberer vergangen. Tolpan, Flint, Tanis, Rostrevor und Selana waren mit den überlebenden Phaetonen zu deren Türmen zurückgekehrt. Dort hatten die geflügelten Wesen ihre toten Kämpfer in ihrer traditionellen Dämmerungszeremonie verbrannt und damit ihre tapferen Seelen der untergehenden Sonne angeboten. Nachdem sie sich eine Nacht ausgeruht und dann gebührend bedankt hatten, mußten sie nur noch Rostrevor in die Stadt zurück und Selana zum Meer begleiten.

»Roter Himmel zur Nacht, der Seemann lacht«, sann der Zwerg jetzt angesichts des sich im Wasser spiegelnden Himmels nach. »Also wird morgen ein schöner Tag. Ist noch nie anders gewesen.«

Die Meerelfin blickte ihre neuen Freunde an. »Fast tut es mir leid, daß ich ihn nicht mit euch erleben werde«, sagte sie, während ihr Finger die Edelsteine auf dem Kupferarmband an ihrem Handgelenk nachfuhr. Sie dachte an ihren Bruder, Semurel, und die Freude, die sie ihrer Familie bereiten würde, wenn sie mit dem Armband zurückkehrte. Sie hatte viel zu erzählen. »Fast«, wiederholte sie.

»Ich muß bald los«, sagte sie leise. »Ebbe und Flut und so…«

Flint hörte auf zu schnitzen. »Ja, ich schätze, das mußt du.« Er hielt die Treibholzmöwe hoch und sah sie prüfend an. Nachdem der Zwerg einen losen Splitter weggeschnipst hatte, gab er das Tier Selana.

»Das ist nicht viel – bei weitem nicht das beste, was ich kann –, aber ich möchte, daß du es mitnimmst, damit du dich erinnerst – « Er brach ab, weil ihm der Gedanke kam, daß sie sich vielleicht nicht gern an die Ereignisse der letzten Tage erinnern würde.

Lächelnd betrachtete Selana den zarten, kleinen Vogel. »Ich werde mich geehrt fühlen, einen echten Feuerschmied zu besitzen. Das Armband behalte ich schließlich nicht.«

»Danke, Kleine, daß du nicht – «

»Nein, ich habe zu danken. Du hast mich in der kurzen Zeit viel gelehrt.« Selana brachte den Zwerg, der sich wieder einmal wegen des verlorenen Armbands entschuldigen wollte, mit einem Kuß auf seine gerötete, stoppelige Wange zum Schweigen.

Tief seufzend, drückte sich die Meerelfin von der Treibholzbank hoch, band den zu kurzen, groben Umhang los, den die Phaetone ihr als Ersatz für Balkoms durchsichtiges Gewand gegeben hatten, und ließ ihn in den Sand fallen. Die Schnitzerei band sie am Gürtel ihrer Tunika fest.

Flint stand auf, wobei er wegen der Wunde an der Schulter leise stöhnte. »Tolpan, Tanis«, rief er. »Selana muß los.« Tanis drehte sich um und wartete am Wasser.

Tolpan kam mit traurigem Gesicht angelaufen. »Mußt du so bald schon gehen? Wir hatten noch gar keine richtige Gelegenheit, etwas anderes zu machen, als Monster zu töten und vor dem Tod davonzurennen.«