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Flach wie eine Schiefertafel lag die Ebene da, von winzigen Bächen durchschnitten. Der Wald hatte nicht die scharfen Grenzen wie in anderen Landstrichen. Er wuchs wild, scheinbar zügellos. Ließ da eine struppige, buschverfilzte Zunge ins Land laufen, dort eine Gruppe dürrer Lärchen sich Baum für Baum verlieren. Dazwischen gab es weite Äcker und schmale, zerfurchte Wege, ab und zu einen Grenzstein oder einen Brückensteg. Da und dort eine Erhebung, ein flacher Hügel. Sonst nichts. Nur die sanften Kurven des Waldes am Rande der frosterstarrten Ebene und die Krähen darüber mit ihrem heiseren Schrei. Es gab in diesem Dorf keine Bewohner mehr außer der Frau in dem Gehöft abseits des Ortes. Es gab sie und ihren Knecht, und es gab in den Häusern die Soldaten der Frontaufklärungskompanie, ihre Waffen und Geräte, ihre Bekleidung und Verpflegung. Zwischen den Häusern standen die Fahrzeuge. Die Fahrer hatten sie bis weit über die Achsen in die Erde eingegraben, hatten ihnen Zweige und Tarnnetze übergeworfen, sie auf hunderterlei verschiedene Art unsichtbar zu machen versucht. Es waren kleine, geländegängige Schützenpanzerwagen mit Gummipolstern über den Ketten und kantig abgeschrägten Aufbauten, Lastwagen und schnelle, wendige Personenwagen für den Kompaniechef. Ein paar hundert Meter vor dem Dorf lagen die rostigen Gerippe einer Batterie deutscher Flakgeschütze. Die T 34 hatten sie damals überrollt, als die Rote Armee überraschend versuchte, ihre Front über das Dorf hinaus vorzuschieben. Es war ein örtlicher Angriff gewesen, und einige Tage lang war es hin- und hergegangen, bis einige schnell zusammengezogene deutsche Regimenter den Vorstoß aufgefangen und zurückgeschlagen hatten. Seitdem war das Dorf wieder in deutscher Hand, und die Front befand sich einige Kilometer ostwärts. Aber hinter den Flakgeschützen lagen noch die geborstenen Kolosse der beiden T 34, die das deutsche Nachhutkommando aus den Fenstern der Dorfhäuser mit Panzerfäusten abgeschossen hatte.

Der Boden auf den Äckern vor dem Dorf war unter der gefrorenen Kruste zerwühlt und mit Granattrichtern bedeckt. In den Dreck eingefroren waren Ausrüstungsstücke von Soldaten, Patronenhülsen, kurze Rohre von abgeschossenen Panzerfäusten. Es war ein ödes, geschundenes Stück Land, das selbst die gelbliche Wintersonne nicht freundlicher erscheinen lassen konnte.

Bis auf die Soldaten war das Dorf tot. Es verkroch sich hinter seinen niedergebrochenen Zäunen und den zertrampelten Gärten. Die Fenster der verödeten Häuser waren dunkle Höhlen, in denen das Grauen hockte. Manchmal schlug der Wind einen Fensterflügel klirrend gegen die Mauer, oder ein Zauntor bewegte sich knarrend. Die Dunghaufen waren überfroren, weiß bereift. In den Scheunen hatten sich Ratten eingenistet, die wie graue Blitze über die Tennen huschten. Es gab ein paar Tauben, die verloren auf halb eingestürzten Dächern hockten, aber es gab ihrer nicht mehr viele, denn die Soldaten schossen nach ihnen, und sie hatten Übung im Töten. Sie hausten in den wenigen heil gebliebenen Häusern oder in den Kellern der Ruinen. Sie schliefen oder dösten über wochenalten Zeitungen. Sie spielten alle Spiele, die man mit Karten spielen kann, und waren nicht sehr laut, denn ihre Zoten waren verbraucht, riefen kein Gelächter mehr hervor. Gelächter gab es höchstens dann, wenn einer oder mehrere aus einem der Dörfer zurückkamen, die weiter hinten lagen, wo es noch Mädchen gab, von denen man den Kameraden erzählen konnte. An bestimmten Tagen zogen die Soldaten in kleineren Gruppen hinaus in das Gelände um das Dorf herum, übten sich im Schießen, in der geräuschlosen Fortbewegung auf der gefrorenen Erde, in vielem, was nicht in Vergessenheit geraten durfte während des stumpfen Einerleis der dörflichen Tage und Nächte. Zuweilen wurde dann eine Gruppe zusammengestellt und auf ein Fahrzeug verladen. Die Soldaten ließen alles zurück, was ihnen gehörte. Ihre Soldbücher und ihr Geld, die Briefe von den Frauen und den unbekannten Mädchen, die Bilder ihrer Kinder, ja selbst die pornografischen Fotos aus der Zeit in Holland und Frankreich. Sie zogen als Namenlose fort, weiter nach hinten, in die Nähe eines Flugplatzes, wo sie in einer Gegend trainiert wurden, die der Stelle aufs Haar angeglichen worden war, über der sie abgesetzt werden sollten. Sie übten hundertmal an einem Sandkasten ihren bevorstehenden Einsatz, sie krochen die Strecken, die sie nach dem Absprung zurückzulegen hatten, ebenso oft, sie übten sich darin, Puppen aus Stroh anzuspringen und mit dem Messer zu töten, sie exerzierten mit Sprengladungen und Brandflaschen, sie schliefen ein paar Tage im Freien, ohne Decken, so wie sie es später tun würden. Dann empfingen sie alles, was sie brauchten. Die Waffen und die konzentrierte Verpflegung, die Kekse und die Zitronenschnitten, die Schokolade und die Pervitintabletten. Wenn sie abflogen, hatten sie Angst und zitterten. Aber wenn die Maschine sich erhob, begann diese Angst langsam zu weichen. Sie verschwand bei den meisten der Männer, wenn sie den fremden Boden berührten. Ihre Nerven glichen angespannten Stahlsaiten, aber sie wurden zu quälenden, elektrisch geladenen Drähten, wenn die große Spannung nachließ, wenn sie auf dem Rückweg waren, wenn sie wieder landeten oder wenn sie durch die Frontlinien gekrochen waren und alles hinter sich hatten. Das alles lief unter dem nichtssagenden Namen »Spähtrupp« ab, und niemand anderes als die Ic-Offiziere der Heeresgruppen wußten genau, wie das Handwerk der Frontaufklärungsverbände aussah.

Über die Landstraße, die auf das Dorf Haselgarten zulief, knatterte ein Motorrad. Als es im Dorf hielt, stieg der Soldat, der zusammengekauert auf dem Sozius gehockt hatte, umständlich ab, reckte seine Glieder und tippte leicht an die Mütze. Er trug die gescheckte Jacke über dem Uniformrock, hatte die Mütze weit ins Genick geschoben und einen weißen Wollschal nachlässig um den Hals geschlungen. An der Hüfte baumelte ihm eine Pistole in einer abgewetzten Ledertasche. Er war glatt rasiert und hatte einigermaßen saubere Fingernägel unter den Lederhandschuhen. Er stieß ein paarmal mit den Füßen auf die gefrorene Erde und sagte dann mit einem Lächeln um die Mundwinkeclass="underline" »Der Obergefreite Zadorowski dankt fürs Mitnehmen.«

Er zog eine gefüllte Zigarettenschachtel aus der Hosentasche und hielt sie dem Fahrer hin. Der zog sich den Handschuh aus und griff zu. Er nahm mehrere Zigaretten und sagte: »Ihr Brüder habt wenigstens immer was zu rauchen.«

»Haben wir«, stellte Zado sachlich fest, »aber dafür habt ihr Stabsmelder immer die Weiber in der Nähe. Auch nicht zu verachten. Brauchst du Feuer?«

»Nein«, sagte der Fahrer, »ich muß weiter zu diesem beschissenen Gefechtsstand von der Infanterie. Die Telefonleitung ist hin, und die merken es nicht mal. Hast du schon die Blonde von unserem Zahlmops gesehen?«

»Habe ich.« Zado nickte. Er überlegte eine Sekunde lang und nahm dann eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. »Klasse!« sagte er, den Rauch durch die Nasenlöcher stoßend. »Hat einen Brustkorb wie die Königin von Saba auf den Zigaretten- schachteln.«

»Ja«, sagte der Fahrer, »aber sie läßt keinen ’ran. Nicht einmal unseren Furier, und der hat nicht bloß Verpflegung zu bieten. Der war mal dafür bekannt, daß er jede herumkriegte.«

Zado sah sich auf der Dorfstraße um. Sie war leer. Er stieß den Rauch aus und sagte: »Schläft wahrscheinlich mit dem Zahlmops. Das hat man öfter.«

Der Fahrer schüttelte den Kopf. Es war ein kleiner, gedrungener Soldat, der wie eine Baumwanze auf dem Sitz der Maschine hockte. »Eben nicht«, erklärte er Zado, »der Zahlmops schläft jede Nacht bei der Frauenschaftstante. Wir passen nämlich auf.«

»Gut«, sagte Zado grinsend. »Sonst habt ihr ja auch weiter nichts zu tun. Aber eine Frauenschaftstante so dicht an der Front? Hat die vielleicht den Treck verpaßt?«

»Ich weiß nicht. Sie hält den Dorfweibern immer Reden. Außerdem hat sie Krampfadern, ich habe es gesehen.«

»Sie sollte etwas dagegen tun. Ich habe Leute gekannt, die an Krampfadern gestorben sind. Und wer schläft nun wirklich bei der Blonden?«