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»Niemand«, sagte der Fahrer. Es klang beinahe sehr traurig. »Sie läßt keinen ’ran.«

»Sie wartet auf den Kommandierenden General«, sagte Zado bissig, »sie will eine gute Partie machen. Das ist verständlich. Solche sind teuer, von denen soll man lieber die Finger lassen. Man soll sich nur mit Mädchen abgeben, die solide Preise machen. Laß dir sagen, Deutscher, an der Blonden ist auch nicht mehr dran als an den Schälweibern in der Küche. Wenn die Weiber erst im Bett liegen, haben alle dieselben dämlichen Gesichter.«

Der Fahrer verzog die Lippen. Dann lachte er leise und spuckte aus. Er dachte an die Blonde, und er haßte sie während dieses Lächelns wegen ihrer Starrköpfigkeit. Er sagte, ein Auge dabei leicht zukneifend: »Wenn du wüßtest, was ich ihr an den Hals wünsche…«

»Du bist ein schlechter Mensch«, sagte Zado. Er schüttelte den Kopf und lachte. »Gott straft die schlechten Menschen!«

»Gott ist bei Stalingrad gefallen…«, brummte der Fahrer.

»Ich weiß!« nickte Zado. »Er hat uns seinen Vertreter zurückgelassen. Und die Vorsehung. Damit wir den Krieg nicht verlieren.« Er sah nach der Uhr an seinem Handgelenk und sagte: »Ich will dich nicht fortjagen, Deutscher. Aber in einer halben Stunde kommt die Nähmaschine und besichtigt die Stellungen. Du wirst lachen, aber die schießt auf Meldefahrer. An deiner Stelle würde ich mich jetzt davonmachen…«

Der Fahrer nickte und hielt ihm die Hand hin. Er bedankte sich für die Zigaretten, und Zado wies den Dank mit der Geste eines Millionärs zurück. Während der Fahrer die Maschine antrat, fragte er ihn: »Fährst du morgen wieder diesen Weg?«

Der Fahrer bewegte unbestimmt die Schultern. »Wieso? Bist du morgen wieder bei uns hinten?«

»Leider«, sagte Zado höflich, »ich habe es der Dame aus dem kleinen Haus hinter der Schule versprechen müssen.«

»Ich kann dich schon mal schnell heimfahren«, sagte der Fahrer grinsend. »Die Dame aus dem kleinen Haus hinter der Schule hat einen Leberfleck über dem Nabel.«

»Sehr richtig«, bestätigte Zado ungerührt, »um diesen Leberfleck handelt es sich.« Der Fahrer drehte den Gasgriff und ließ den Motor ein paarmal aufheulen. Dann warf er den Gang ein, und wahrend er die Kupplung losließ, rief er zurück: »Sag mit Bescheid, dann fahre ich dich heim.«

»Gemacht!« brüllte Zado ihm nach. Dann ging er mit seinem tänzelnden Schritt hinter dem davonbrausenden Motorrad die Dorf- straße hinab.

Der Schützenpanzerwagen stand, halb in die Erde eingegraben, an der Rückseite des letzten Hauses von Haselgarten. Es war ein kleines, buntscheckiges Fahrzeug, mit Stahlplatten beplankt. Vorn zwei Räder, hinten den gummigepolsterten Kettenantrieb. Über dem Turm mit der Zweizentimeterkanone war die Funkantenne ausgefahren. Der Wagen hielt die Funkverbindung mit der Division aufrecht. Er war Tag und Nacht besetzt, aber die Funksprüche für die Kompanie waren spärlich. Wenn überhaupt gesendet wurde, dann waren es Einsatzaufträge, verschlüsselte Befehle, eine bestimmte Anzahl von Männern zum Divisionsstab in Marsch zu setzen. Das Fahrzeug hatte auch eine Funkverbindung zur Hauptkampflinie, aber sie wurde nicht benutzt. Die Welle, auf der sich der Verkehr zwischen der Hauptkampflinie und der Division abspielte, war für den Funkwagen unwichtig. So blieb lediglich die Aufgabe, Befehle der Division entgegenzunehmen und an den Kompaniechef weiterzuleiten. Der wohnte in einem der kleinen Bauernhäuser. Er war ein schmächtiger, bartloser junger Mann mit blonden Augenbrauen, der sich kaum um den Dienst kümmerte. Er überließ das lieber den Unteroffizieren. Nur wenn es Entscheidungen zu fällen gab, die er zu verantworten hatte, griff er in den Dienstbetrieb ein. Leutnant Alf war ein Mann mit wenig Fronterfahrung. Aber sein Onkel war der Ic der Division, und ihm verdankte er diese Stellung, in der er lediglich die Aufsichtsperson spielte. Er war noch nie hinter den russischen Linien gewesen, aber das störte die Männer nicht. Sie waren daran gewöhnt, daß nie ein Offizier mitflog.

Um den Wagen herum war die Erde zertrampelt und festgefroren. Es war schwere, tiefbraune Erde. Als sie noch weich gewesen war, hatten die Männer die Gruben für die Fahrzeuge ausgehoben. Es hieß, daß sie nötig wären, wenn Flieger den Ort angriffen. Aber es waren noch keine Flieger dagewesen, seit die Kompanie in diesem Dorf lag. Gelegentlich kurvte einer der langsamen Doppeldecker über dem Gelände, und dann erstarb alles Leben zwischen den Häusern. Doch es schien, als gäbe es hinter den russischen Linien zu dieser Zeit kein anderes Flugzeug als diese surrende, altmodisch anzusehende Maschine.

Ein paar hundert Meter seitwärts von dem an die Wand des letzten Gebäudes geschmiegten Funkwagen lag das einzelne Gehöft inmitten der Wiesen und Gebüsche. Es lag beinahe versteckt in einer kleinen Mulde, man konnte nur das obere Stockwerk und die Dächer sehen. Der Zaun darum war hoch, die Latten ohne Spalt. Stellenweise waren sie ausgebessert, man sah es von weitem an den hellen Flecken.

Das hat der Schwachsinnige gemacht, dachte Thomas Bindig, er hat den Zaun ausgebessert, man kann es sehen. Ob er Tischler ist? Oder Zimmermann? Oder ob er seit der Geburt nichts hört und nicht sprechen kann und seine Sinne nicht beieinander hat? Man kann das nicht wissen. Es gibt Leute, die sind die Hälfte ihres Lebens normal, und dann erleben sie irgend etwas, wovon sie den Verstand verlieren. Er hat dazu die Sprache und das Gehör verloren. Im Krieg? Kaum, denn für den letzten war er zu jung. Da war er überhaupt noch nicht geboren. Und in diesem wird es wohl nicht gewesen sein, denn dann hätten sie ihn in einem Heim behalten. Solche Leute lassen sie nicht aus den Lazaretten weg. Es ist nicht gut, wenn die Menschen sehen, wie einer aus dem Krieg zurückkommen kann. Die Frau scheint ihn gut zu behandeln. Sie scheint ein ruhiger Mensch zu sein, geduldig. Ob sie ein Verhältnis mit ihm hat? Ihr Mann ist gefallen, heißt es. Ob er ihn vertritt? Die Frau sieht gut aus. Gar nicht wie eine Bäuerin. Eher wie eine Lehrerin aus der Stadt. Nur daß sie gröbere Hände hat. Kein Wunder, daß die Soldaten ihr nachblicken, wenn sie sich im Dorf sehen läßt. Selten genug tut sie das. Sie hat ein kluges Gesicht. Und Augen von einer seltsam bräunlich-grünen Färbung.

Bindig hockte auf dem Ledersitz im Funkwagen und starrte durch die geöffnete Luke zu dem einsamen Gehöft hinüber. Er hielt eine Zigarette in der Hand, an der ein langer Aschestumpf hing. Er hatte die Kopfhörer angelegt, aber nicht das Funkgerät war eingeschaltet, sondern das Radio. Bindig hörte Musik. Es war ein Konzert vom Sender Breslau, die Musik klang blechern und verzerrt, aber Bindig lauschte ihr mit der Hingebung des Menschen, der die Musik liebt und sie entbehren muß. Die Bilder glitten vor seinen Augen vorbei, aber sie verwischten immer mehr, und dafür sah er immer deutlicher das Bild der Frau aus dem einsamen Gehöft. Ihre seltsam gefärbten Augen und ihren ruhigen Gang, ihr gerafftes Haar und immer von neuem ihre Augen. Er fuhr erst auf, als draußen an die Stahlplanken des Wagens geschlagen wurde. Verstört zog er die Kopfhörer ab, und im gleichen Augenblick erschien Zados Gesicht vor der Luke. Zado warf einen Blick in den Wagen, nickte dann und brummte: »Dachte ich es mir doch… in eine Ecke verkrochen und die Kopfhörer dran! Warst du den ganzen Tag hier?«

»Ja«, sagte Bindig, »bis vor einer Stunde habe ich geschlafen, und dann bin ich hier eingestiegen.«

»Geschlafen?« sagte Zado kopfschüttelnd. »Du wolltest doch nachkommen. Warum bist du nicht gekommen? Da war noch ein ganz annehmbares Mädchen…«

Bindig verzog das Gesicht, während er das Radiogerät abstellte. Er legte die Kopfhörer auf den Kasten und richtete sich auf. Während er durch die Luke kletterte, sagte er langsam; »Ich habe ein wunderbares Konzert gehört. Manchmal braucht man eben gar kein Mädchen.«

Zado grinste und schob sich die Mütze weit ins Genick. Dann sagte er augenzwinkernd: »Du und deine Konzerte. Laß das nicht den Chef hören oder Timm. Die erklären dich für einen gefährlichen Menschen, wenn du Konzerte hörst. Übrigens habe ich zwei Büchsen Rindsrouladen mitgebracht.«