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»Bitte Herrn Oberfeldwebel, meinen Stahlhelm holen zu dürfen!“ bat Zado mit ernstem Gesicht.

»Genehmigt!«

Zado streifte Bindig mit einem Blick, während er kehrtmachte und über die Straße lief. Er kniff ein Auge dabei zu.

Als der Wagen abgefahren war, sagte Alf zu Bindig: »Was ist los, Bindig? Die Nerven?«

»Nein. Nicht die Nerven«, sagte Bindig. »Ich bin Soldat, aber ich bin kein Dienstmädchen für diese Greifer.«

Alf wiegte den Kopf. Er hatte an diesem Abend noch die Briefe an die Frauen der vier Gefallenen vom letzten Einsatz zu schreiben. »Bindig«, sagte er leise, »Sie sind ein guter Soldat. Aber wenn Sie so weitermachen, werden Sie eines Tages an einer Buche am Straßenrand baumeln. Der Oberfeldwebel wird Meldung erstatten.« Er sah ihn mit einem Blick an, der beinahe ärgerlich war. »Bindig, es ist unrühmlich, solche Gefechte zu überstehen, wie Sie sie überstanden haben, und danach an einer Buche zu baumeln.« Bindig senkte den Kopf. Er sagte nichts. Er dachte: Es ist unrühmlich, aber es ist das, was uns bleibt. Es ist der Schlußpunkt hinter allem, was wir tun. Ein verdammt unrühmlicher Schlußpunkt.

»Legen Sie sich schlafen«, riet ihm Alf, sich abwendend, »rennen Sie nicht hier herum wie ein Amokläufer. Hauen Sie ab. Ich werde mit dem Oberfeldwebel sprechen, wenn er zurückkommt.«

Zado war erregt, aber er brachte es fertig, die beiden Feldgendarmen nichts davon merken zu lassen. Er täuschte sie so gut, daß die beiden ihn für das Muster eines Soldaten hielten.

Sie waren kaum zehn Minuten gefahren, als der Oberfeldwebel sich an ihn wandte und sich nach Bindig erkundigte. Zado sah angestrengt durch die Windschutzscheibe und antwortete nicht sofort auf die Frage. Die Dämmerung senkte sich über das Land, und der Wägen näherte sich den Artilleriestellungen. Ab und zu war ein Geschütz zu sehen, eine abgestellte Protze oder ein Stapel Granaten. Die Front war beängstigend ruhig an diesem Abend. Weiter links war ein dumpfes Murren zu hören, dort schoß die russische Artillerie bereits. Zado wußte, daß diese Ruhe nichts Gutes verhieß. Solange die Russen mit ihren Siebzehnzwo und den Granatwerfen Streufeuer schossen, war nichts zu befürchten. Immer aber, wenn es ein langes Schweigen gab, folgte ein Feuerüberfall, an dem sich außer den leichten Geschützen die Raketenwerfer beteiligten. Dann kochte die Erde, und es gab keine Hoffnung, lebend zu entrinnen, wenn man in den Feuerschlag hineingeriet. Zado drehte sich halb um und sprach den Oberfeldwebel an. Er sagte sachlich: »Ich empfehle, jetzt den Stahlhelm aufzusetzen, Herr Oberfeldwebel. Man fühlt sich viel sicherer damit, und es ist möglich, daß die Russen gegen Abend ein paar Koffer herüberschicken.«

Der Oberfeldwebel folgte der Aufforderung sofort. Er schnallte den Riemen unter dem Kinn sehr fest, und Zado dachte bei sich, der Helm wird ihn spätestens in zehn Minuten so drücken, daß er Kopfschmerzen bekommt.

»Sie fragten nach Bindig«, sagte er dann. Der Oberfeldwebel nickte eifrig. »Das ist ein schwieriger Fall, Herr Oberfeldwebel«, sagte Zado nachdenklich. »Er geht allein, mit einer Handgranate und dem Messer, ein MG-Nest an. Er hat Auszeichnungen. Ein Soldat, wie er im Buche steht. Aber unlängst schlug er sich mit einem Kameraden, der einen streunenden Hund erschoß. Er schlug ihn halbtot. Am Abend weinte er darüber. Das ist Bindig.« Der Oberfeldwebel bastelte am Riemen des Helmes. Ich werde dir noch mehr erzählen, dachte Zado, ich werde es zuerst so versuchen. Er war sich klar darüber, daß sein Versuch erfolglos bleiben konnte, aber er machte ihn.

»Sieht gar nicht so gewalttätig aus«, bemerkte der Oberfeldwebe! interessiert. »Sieht beinahe aus wie ein lang gewachsener Gymnasiast.«

»Ist er auch!« bestätigte Zado. »Aber er war der beste Schüler bei der Nahkampfschule. Er kennt sich aus. Wenig Muskeln, dafür Schnelligkeit und Härte. Und anatomische Kenntnisse. Das ist äußerst wichtig.«

»So…«, sagte der Oberfeldwebel, »ein Schläger. Ein aufrührerischer Schläger. Der Mann ist ein Meuterer, weiter nichts. Ein harmlos aussehender Meuterer!«

Zado tat bestürzt. Er tat so, als käme ihm die Bemerkung des Oberfeldwebels völlig überraschend. »Bindig ein Meuterer?« Er schüttelte energisch den Kopf. »Da muß ein Irrtum vorliegen! Ich kenne Bindig sehr lange. Er ist ein Mensch, auf den man sich völlig verlassen kann. Er hat…«

»Ja, ja…« Der Oberfeldwebel winkte ab. »Wir haben da unsere Erfahrungen. Wir kennen unsere Leute. Hinter ihrer Abneigung gegen die Feldgendarmerie verbirgt sich in den meisten Fällen ihre negative Grundeinstellung. Wir werden diesen Bindig übermorgen ebenso vorführen, wie wir heute diesen Gerhard Bachmann vorführen. Wir kennen unsere Leute! Von hundert, die wir vorführen, kehren zwei zu ihrer Einheit zurück. Das ist der Beweis dafür, daß wir unsere Leute kennen.«

Zado schwieg eine Weile. Sie fuhren langsam einen Weg entlang, der sich durch buschbewachsenes Wiesengelände hinzog. Ein paar eingestürzte Unterstände lagen an der rechten Seite. Verrostete Blechkisten, zerquetschte Kartuschen, Fetzen von Zeltplanen.

»Wir nähern uns dem Gefechtsstand der vierten Kompanie«, sagte Zado. »Ich werde mich hier gleich erkundigen, wo die dritte jetzt ihren Gefechtsstand hat.«

Es war ein unerhörtes Wagnis, mit diesem klapprigen Volkswagen bis an den Gefechtsstand heranzufahren. Jeden Augenblick konnte die Artillerie mit der Beschießung einsetzen. Es war hoffnungslos, dann den Wagen wieder heil nach hinten zu bekommen.

Aber Zado hatte seinen Plan bei den letzten Worten des Oberfeldwebels bereits geändert. Er sah ein, daß er mit vernünftigen Worten nichts erreichen würde. Innerhalb weniger Minuten hatte er eine grausame Entscheidung getroffen. Sie fiel ihm leicht, weil es sich um Bindig handelte. Bei jedem anderen hätte er sich taub gestellt, aber bei Bindig war das etwas anderes. Er hing an Bindig. Und Bindig war verloren, wenn der Oberfeldwebel ihn vorführen ließ, das wußte Zado. Er war schon verloren, wenn dieser Oberfeldwebel und sein Fahrer überhaupt wieder zu ihrer Dienststelle zurückkehrten. Zado sagte sich, daß er in der nächsten halben Stunde handeln mußte, wenn er den Freund retten wollte. Er setzte alles auf eine Karte. Während der Wagen auf einen Waldrand zufuhr, der sich kilometerweit vor ihnen erstreckte, gleichsam das Hinterland von der Front trennend, sagte er zu dem Oberfeldwebeclass="underline" »Ich empfehle, hier am Waldtand zu halten. Ich laufe dann die paar hundert Meter bis zur vierten Kompanie und lasse mich einweisen. Dort werden sie mir auch ungefähr sagen können, wo dieser Bachmann liegt. Da brauchen wir nicht lange herumzusuchen. Es wird ohnehin in der nächsten Viertelstunde finster sein, und dann dürfte der Abendsegen von den Russen kommen. Vielleicht schaffen wir es bis dahin.«

»Wäre vernünftig«, kam von hinten die Stimme des Oberfeldwebels. »Hoffentlich liegt der Kerl nicht gerade im ersten Loch…«

»Hoffentlich!« gab Zado zurück, während der Wagen hielt und er sich ans Aussteigen machte. »Ich werde mit der Dritten telefonieren und mich genau erkundigen.«

»Fixer Bursche«, stellte der Oberfeldwebel fest, nachdem Zado verschwunden war, »diese Fallschirmjäger sind ein gefährlicher Haufen. Man weiß nicht genau, was sie überhaupt treiben. Jedenfalls haben sie irgendein Kommando von großer Wichtigkeit. Und dann solche Subjekte wie dieser Bindig. Der kann einen ganzen Zug solcher Leute versauen wie diesen hier!«

»Eine ganze Kompanie«, bestätigte der Fahrer.

Zado hastete auf dem Waldweg vorwärts. Er kannte die Gegend genau. Er wußte, wo die dritte Kompanie lag, aber er hoffte nur, beim Gefechtsstand der vierten Kompanie noch den Meldefahrer von der Division zu treffen. Mit einem Male wurde der Wald lichter. Das Unterholz war dünn, und man konnte Hunderte von Metern weit sehen bis zum jenseitigen Rand des Waldes, wo sich wieder buschiges Wiesengelände anschloß, in dem die Stellungen lagen. Neben dem Weg hielten leichte Troßfahrzeuge einer Granatwerfereinheit. Die Mannschaften standen herum und rauchten. Zado eilte an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. Als er bereits auf Sichtweite an den Unterstand herangekommen war, in dem sich der Gefechtsstand befand, hörte er das Motorrad des Melders. Er lief schneller. Vor dem Unterstand erkannte er den Fahrer, der soeben langsam wendete, um zurückzufahren.