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Es gab niemanden, der sie kontrollierte, außer dem Ic der Division, und der hielt nicht viel von Kontrollfahrten, die in den Frontbereich führten. Die Truppe aber hatte laut Armeebefehl im unmittelbaren Bereich der Front stationiert zu sein. Dieser Befehl galt weniger der Stärkung der Front an der betreffenden Stelle, denn es bestand die Anweisung, daß die Kompanie nur auf höheren Befehl in der Hauptkampflinie eingesetzt werden durfte.

Er galt vielmehr der Verbindung der Kompanie mit dem täglichen Kampfgeschehen an der Front. Die Männer sollten den Klang der Artillerieduelle, das Pfeifen der Geschosse und das Heulen der Tiefflieger nicht aus den Ohren verlieren. Ihre Nerven sollten die Hochspannung behalten, die nötig war, wenn sie eingesetzt wurden. Ihre Nerven, ihr ganzer Organismus durften nicht der absoluten Ruhe ausgesetzt werden, weil jene Ruhe nach Meinung der Armeeführung die Trägheit in ihnen wecken würde, die Angst vor dem nächsten Flug, mit einem Wort, die Unzuverlässigkeit.

Leutnant Alf saß an einem roh zusammengezimmerten Tisch in der Stube des Hauses, das dem Kompaniestab als Unterkunft diente. Er hatte den Federhalter in der Hand und schrieb an den Briefen, die den Frauen der vier Gefallenen den Tod ihrer Männer mitteilten. Als Zado eintrat, nickte er nur, und an einem Satz weiterschreibend, fragte er beiläufig: »Na, alles in Ordnung?«

Er schrieb den Satz zu Ende und hob den Kopf, denn ihm war aufgefallen, daß Zado allein zurückkam und der Oberfeldwebel, der über Bindig Meldung erstatten wollte, nicht dabei war. Er sah in ein verschmutztes, von Anstrengung gezeichnetes Gesicht, als er aufblickte. Er wollte verwundert fragen, was es gegeben habe, aber Zado hatte schon den Mund geöffnet und berichtete ihm, daß die beiden Gendarmen auf die Minen gefahren waren. Er berichtete von dem Feuerüberfall und seinem Versuch, die beiden Gendarmen zu warnen, als er merkte, daß sie den falschen Weg einschlugen. Er erzählte das alles so sachlich und ruhig, daß selbst Alf nicht ahnte, was wirklich vor sich gegangen war.

Er kannte Zado und wußte, was er von ihm zu halten hatte. Erst nachdem Zado geendet hatte, kam er auf den Gedanken, daß es zwischen dem Zusammenstoß Bindigs mit den Gendarmen und ihrem plötzlichen Tod eine Verbindung geben könnte. Alf überlegte. Er sagte sich, daß die beiden Gendarmen tot waren und nicht mehr sprechen konnten.

Er beschloß, diese Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Es war die bequemste Art, mit ihr fertig zu werden. Er stand auf und trat an Zado heran. Der nahm im gleichen Augenblick wieder diese außerordentlich korrekte Haltung an, die Alf sonst bei ihm nicht gewohnt war. Das bestärkte ihn in seiner Ansicht, daß Zado etwas zu verbergen hatte. Irgend etwas.

Er sagte sarkastisch: »Warum spielen Sie mit einemmal den Paradesoldaten, Zado? Hat der Tod der beiden Feldgendarmen Ihre Disziplin so plötzlich verändert, oder was sonst?«

Zado biß sich auf die Unterlippe. Er wußte, daß er einen Fehler begangen hatte. Er hätte sich ohrfeigen mögen. Du bist doch noch nicht borniert genug für solche Sachen, sagte er sich. Du hast dafür gesorgt, daß diese beiden Greifer nicht zurückkommen, aber du bist selbst noch nicht ganz damit fertig geworden. Alf ist klüger, als er aussieht. Und du hast es ihm leichtgemacht. Es wird sich zeigen, was Alf für ein Mensch ist. Er sah den Offizier an.

Alf griff in die Tasche und hielt Zado das geöffnete Zigarettenetui hin. Es waren gute Zigaretten. Er sagte leise: »Bitte.« Es war nichts aus seiner Stimme herauszuhören, kein Mißtrauen, keine Mißbilligung, aber Zado wußte trotzdem, daß er Alf unterschätzt hatte. Er nahm die Zigarette und beeilte sich, Alf ein brennendes Zündholz hinzuhalten. Eine Weile standen sie sich gegenüber und rauchten schweigend. Zado blinzelte in die trübe Petroleumlampe, die die Stube erhellte. Sie war im Vergleich zu der übrigen Einrichtung geradezu ein Luxusgegenstand. In der Stube standen nur noch ein paar Kisten, die Alfs Gepäck enthielten, ein Stuhl und eine ziemlich rostige Eisenbettstelle, die unter Verwendung einiger Matratzen und Decken in eine Schlafstatt verwandelt worden war.

Er hält nichts von Komfort, dachte Zado, ich habe Quartiere von Offizieren gesehen, die Salons glichen. Vielleicht ist er zu faul, sich Zeug zusammenzuholen. Oder er will seine Genügsamkeit demonstrieren. Wer weiß das?

Zado blickte angestrengt auf ein über der Bettstelle schief an der Wand hängendes Bild, das einen blühenden Kirschbaum vor einem idyllisch gelegenen Bauernhaus zeigte. Es war ein billiger, fliegenbeschmutzter Druck, verblichen und verfärbt.

Er ist unordentlich, dachte Zado. Er hat wahrscheinlich immer jemanden gehabt, der sein Zeug in Ordnung hielt. Wenn er es allein machen muß, läßt er alles liegen, wie es liegt. Ein Muttersohn, der Krieg führt. Ein Pennäler, der seit der Kriegsschule den Endsieg in der Tasche zu haben glaubt. Man weiß nicht, was man von ihm halten soll. Solche Menschen können einem das Genick brechen.

Alf streifte die Asche von seiner Zigarette. Er ließ sie achtlos auf den Fußboden fallen. Der Fußboden war unsauber. Abgebrannte Zündhölzer lagen herum und zertretene Zigarettenreste. Zado stellte plötzlich fest, daß er immer noch den Stahlhelm auf dem Kopf hatte. Er nahm ihn verwirrt ab und strich sich das Haar zurecht.

»Haben Sie sich davon überzeugt, daß die beiden tot sind?« erkundigte sich Alf. Er hatte sich auf die Kante des Tisches gehockt und sah Zado an.

Der sagte außerordentlich ruhig: »Jawohl, Herr Leutnant. Ich habe mich davon überzeugt, daß sie tot sind. Es wird aber leider nicht möglich sein, ihre Überreste zu bergen. Sie wissen, das Minenfeld…«

»Ich weiß«, unterbrach ihn Alf, »dieses Minenfeld war ein sehr glücklicher Zufall, nicht wahr, Zado?«

»Ich verstehe nicht, Herr Leutnant«, sagte der vorsichtig.

»Nicht nötig«, sagte Alf, »ich meine, es ist nicht nötig, daß Sie meine Gedanken verstehen. Was halten Sie eigentlich von Feldgendarmen im allgemeinen?«

Zado spürte, daß ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Er ärgerte sich, daß er den Stahlhelm abgenommen hatte. Alf würde den Schweiß sehen. Er beschloß, diesem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Es war ein Versuch, Alf zu täuschen, und er fing es einigermaßen geschickt an. Nicht geschickt genug, um Alf wirklich zu täuschen.

Er sagte freimütig; »Ich halte nichts von der Feldgendarmerie, Herr Leutnant. Ich halte sie für überflüssig.«

Alf lächelte. Er blickte Zado eine Weile wohlwollend an und sagte; »Diese Auffassung teilen Sie offensichtlich mit Bindig. Habe ich recht?«

»Ich weiß nicht genau, wie Bindig darüber denkt«, sagte Zado vorsichtig.

»Aber ich!« bestätigte ihm der Leutnant. »Und vor allem die beiden Feldgendarmen, die Sie geführt haben, die wissen das ganz genau. Sagen wir: Sie wußten es, denn ein Toter weiß nichts mehr. Er kann auch nichts mehr aussagen. Er kann niemand mehr etwas tun und nichts veranlassen. Der Tod hat seine guten Seiten, wenn man es so betrachtet.«

Zado atmete auf. Er fühlte sich in diesem Augenblick ein wenig sicherer, weil er nun wußte, woran er mit Alf war. Er sagte nachdenklich: »Das ist eine philosophische Frage, Herr Leutnant. Ich habe das bißchen Philosophie aus meiner Schulzeit beinahe vergessen…«

»Sagen Sie das nicht!« korrigierte ihn Alf. »Sie bilden sich nur ein, es vergessen zu haben. Philosophie ist nichts, was man vergißt. Es ist wie eine Substanz, die ins Blut geht. Man trägt sie in sich und kann sie nicht mehr verlieren. Alles, was man tut, ist auf dieser Philosophie gewachsen. Auch bei Ihnen. Und auch wenn Sie das nicht zu wissen vorgeben, Zado.«