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»Es ist möglich, Herr Leutnant«, gab Zado zu, »ich bin in diesen Dingen nicht sehr bewandert.«

Alf lächelte breit. Er steckte eine Hand in seine Hosentasche und sagte freundlich; »Sie machen sich schlechter, als Sie sind, Zado! Sie sind doch ein Mensch mit guter Schulbildung. Sie sind doch ein intelligenter Mensch. Ein sehr intelligenter sogar. Dazu kommen Ihre militärischen Fähigkeiten. Und die Eigenschaft, blitzschnell richtige Entschlüsse zu fassen. Oder ist das nicht so?«

Zado blinzelte in das Licht der Petroleumlampe. Er sagte bescheiden: »Ich weiß nicht, ob meine Entschlüsse immer richtig sind, Herr Leutnant. Ich kann das nicht so recht beurteilen.«

»Aber ich!« sagte Alf. Er richtete sieh auf und sprach weiter. »Manchmal muß man sich sehr schnell für irgend etwas entscheiden. Sie haben sich beispielsweise heute sehr schnell dafür entschieden, die beiden Feldgendarmen zu führen. Glauben Sie nicht, daß dieser Entschluß richtig gewesen ist?«

»Ich glaube, er war richtig«, sagte Zado, »der Melder war unterwegs, und ich hatte Zeit, den Oberfeldwebel und den Unteroffizier zu führen.«

Alf griff sich an die Stirn, als habe er Kopfschmerzen. Er lächelte wieder.

»Ach ja, der Melder«, sagte er, »das war auch ein solcher Zufall. Dieser Zufall und der, daß es vorn noch das Minenfeld gibt, diese beiden Dinge haben vermutlich Bindig davor bewahrt, zu einer Strafkompanie versetzt zu werden.«

»Ich verstehe nicht, Herr Leutnant«, sagte Zado ruhig.

Alf nickte. Er lächelte nicht mehr, aber sein Gesicht war nicht erregt. Es war gleichgültig.

»Sprechen Sie mit Bindig darüber«, sagte er kurz. Dann ließ er ein paar Minuten verstreichen, bevor er das nächste Wort sprach. »Zado«, sagte er, während er dem Obergefreiten ins Gesicht sah, »Sie sind länger bei dieser Kompanie als ich. Sie sind Obergefreiter, ich Leutnant. Achten Sie darauf, daß Sie diesen Krieg nicht als Leiche, an einem Baum hängend, beenden. Sie sind auf dem besten Wege dazu.« Er machte eine kleine Pause. Dann sagte er: »Fertigen Sie einen Bericht an, auf welche Weise die beiden Feldgendarmen ums Leben gekommen sind. Geben Sie den Ort und die Zeit an. Weshalb sind Sie so schmutzig?«

»Der Abendsegen«, erwiderte Zado. »Es erwischte mich auf halbem Wege. Ich fuhr mit dem Melder vom Divisionsstab.«

»Geben Sie mir diesen Bericht noch heute. Er braucht nicht lang zu sein.«

»Jawohl, Herr Leutnant!« sagte Zado. »Ich verstehe Ihre Andeutungen nicht, Herr Leutnant. Es muß ein Mißverständnis…«

»Kann man an die Stelle herankommen, wo das Fahrzeug hochging?«

»Nein, Herr Leutnant.« Zado wischte sich Schweißtropfen von der Stirn. »Ich bin mir nicht bewußt, weshalb ich an einem Baum…«

»Gehen Sie jetzt«, sagte Alf, »merken Sie sich: Ich lege keinen Wert darauf, daß meine Kompanie den nächsten Mann stellt, der vom Standgericht verurteilt wird. Haben Sie mich verstanden?«

Zado bestätigte das nicht, und Alf entließ ihn trotzdem. Zado verließ das Haus und dachte: Der will Oberleutnant werden. Noch bevor der Krieg aus ist. Die Pension erhöht sich dadurch. Er steckt in der Klemme. Es ist gut, das zu wissen. Es beruhigt. Er stolperte in die Dunkelheit hinaus und suchte das Haus, in dem sein Quartier war. Er fand Bindig nicht. Da beschloß er, sich zu waschen und dann nach dem einsamen Gehöft zu gehen. Er pumpte auf dem Hof Wasser in einen Eimer und trug ihn in das Haus. Bindig hat die Fleischbüchsen mitgenommen, dachte er. Ich muß mich beeilen, er wird auf mich warten.

Werner Zadorowski: Ich komme nicht wieder, rothaariges Nachtgebet

Er lehnte an einem Gartenzaun, ein nicht sehr großer, flinker Junge mit stark gekrümmter Nase. Er trug das Haar sehr kurz, und seine Knie waren zerschunden, die kurze Hose ließ es erkennen. Er schaute über die Gärten hinweg, dorthin, wo die Stadt begann. Sie begann mit Reklameaufschriften von Persil und Rama-Margarine. Er sah dorthin, als warte er auf jemand, aber über die Wiese mit dem ausgedörrten Gras kam niemand. Auch auf dem Weg zwischen den Gärten war niemand zu sehen. Um diese Zeit machten die Frauen das Mittagessen fertig, und die Männer arbeiteten. Es war heiß. Werner Zadorowski überlegte angestrengt, ob es sich lohne, noch vor dem Mittagessen zum Bach hinab zu laufen. Er entschied sich dafür, es erst nach dem Mittagessen zu tun. Es gab Ärger zu Hause, wenn er zu spät kam.

»Komm«, sagte er zu einem der Jungen, die ihn umstanden, »wir machen es noch mal. Jeder drei Würfe.« Er griff in die Hosentasche und zog ein Fünfpfennigstück heraus. Er warf es in die Luft und fing es geschickt wieder auf.

»Ich setze fünf Pfennig. Was setzt ihr?«

Die Jungen setzten Veilchenpastillen und klebrige Drops in schmutzigem Papier. Das Mädchen blieb auf dem Gras hocken und blinzelte Werner an.

»Du nicht?« fragte er sie.

Es war ein kleines, dürres, rothaariges Mädchen. Sechste Klasse wie er. Sie saß in der Bank vor ihm. Manchmal blickte er eine ganze Stunde lang nur auf ihren Rücken und nicht auf den Lehrer an der Tafel. Sie hatte einen schmalen Rücken, und Ihr Haar hing weit herab wie eine entflammte Fackel. Das Mädchen hieß Franziska. Sie war sauber angezogen und gewaschen. Sie hatte die Augen einer Siebzehnjährigen.

»Ich gucke zu«, sagte Franziska.

Er verzog das Gesicht und nahm das Messer aus der Tasche. Einer der anderen befestigte das Bild an der Rückwand der Gartenlaube. Er tat es sehr gewissenhaft, mit Stecknadeln, die er einer flachen Blechschachtel entnahm. Es war ein Reklamebild aus einer Packung Francks Kaffee. Unter dem Kopf des ernst blickenden Mannes stand der Name Carl Peters. Auf der Rückseite war zu lesen, weshalb man ihn auf ein Reklamebild druckte, aber das hatten die Jungen nicht gelesen.

»Es hängt schief«, bemängelte Werner, »und etwas zu hoch.«

Nach ein paar Minuten hing das Bild richtig. Sie hatten alle ihre Messer herausgenommen. Ein halbes Dutzend Jungen mit einem halben Dutzend verschiedener Messer. Mit Sandpapier glänzend geriebene Taschenmesser, Küchenmesser.

Werner hatte das schönste Messer. Es hatte eine Mark gekostet. Die hatte er mit Botengängen verdient. Er nahm das Messer und ließ es in der Sonne blinken. Es war scharf geschliffen, und vom Griff hingen zwei lange rote Bänder herab. Er wog es in der Hand und sagte: »Werft ihr zuerst. Drei Würfe, jeder zählt. Die mit Treffern machen noch eine Runde.«

Er hockte sich neben Franziska, während die anderen sich ein paar Meter von dem Bild entfernt aufstellten und die Messer schleuderten. Er brauchte nicht um sein Fünfpfennigstück zu fürchten, die anderen konnten nicht mit ihren Messern umgehen. Ein Zufall konnte ihm Pech bringen, aber dieser Zufall war selten. Die anderen Jungen hofften darauf, aber ihre Hoffnungen blieben unerfüllt. Einer traf den Rand des Bildes. Es war das einzige Messer, das dem Mann auf dem Bild überhaupt hatte gefährlich werden können. »Ah…«, sagte Werner, sich erhebend, »legt mal die Drops schön zusammen !«

Das Mädchen sah ihm mit gesenktem Kopf zu. Sie war die einzige, die mit den Jungen spielte. Sie lief hinter Werner her, alle wußten es, aber keiner wagte etwas zu sagen. Werner verstand keinen Spaß, wenn es um das Mädchen ging. Er stellte sich vor der Bretterwand auf, dort, wo auch die anderen gestanden hatten. Das Mädchen ließ den Blick nicht von ihm. Sie hielt den Kopf tief gesenkt und beobachtete den Jungen mit ihren flinken, dunklen Augen.

»Aufgepaßt!« sagte Werner halblaut. Er holte aus. Das Messer schwang durch die Luft, mit einer kreisenden Bewegung. Er hielt es auf besondere Art, den Zeigefinger an der Klinge liegend. Als er es fliegen ließ, zuckte es wie ein Blitz auf die Bretterwand zu, die beiden roten Bänder flatterten an seinem Heft. Es blieb zitternd stecken. Der Kopf des Mannes auf dem Bild war heil, aber einen Fingerbreit vor den Augen des Mannes stak die Klinge. Werner holte es, ohne ein Wort zu sagen, wieder zurück. Der Junge, der als einziger das Bild getroffen hatte, sagte halb bewundernd, halb ärgerlich: »Wie du das bloß machst, daß es immer steckenbleibt…«