Выбрать главу

»Das ist es, wofür wie kämpfen!« sagte Zado. »Das und der Schnaps sind unsere Kriegsziele, Kleiner. Wir krepieren für eine gute Sache.«

Einmal antwortete ihm Bindig: »Es geht nicht darum, wofür wir kämpfen, sondern darum, was aus Deutschland wird.«

Zado grinste, und dann hieb er Bindig die Hand auf die Schulter. »Genau das, Kleiner!« sagte er. »Das haben sie mir auch erzählt. Bloß, ich habe es nicht geglaubt, und seit ich Timm kenne, weiß ich ganz genau, daß es nicht stimmt«

»Du weißt nicht, was sie mit dir machen, wenn sie es hören.«

Zado nickte traurig: »Das ist es. Sei vorsichtig, du weißt nicht, was sie mit dir anstellen, wenn sie merken, daß du einen Kopf statt einer Kohlrübe hast. Das wird aus Deutschland. Und langsam wünsche ich mir, daß wir den Krieg verlieren, nur damit das nicht aus Deutschland wird. Damit das aufhört.«

Sie stiegen in die Maschinen, und sie verließen sie in der dunklen Nacht und sprangen ins Ungewisse. Dann lagen sie wie damals hinter den Sträuchern, die das Mondlicht siebten, und Zado sagte, als er langsam die Pistole am Handgelenk festband: »Wir wissen nur die Hälfte von der Welt. Wir liegen hier, und in einer halben Stunde wird dieser Posten, der da vorn unter der Kastanie steht, uns vielleicht erschossen haben. Dann werden wir hier verfaulen mit all unseren Hoffnungen und Träumen, und zu Hause werden zur gleichen Zeit die Bonzen ihren Weibern helfen, die Perlenketten am Hals festzumachen, und die Herren Direktoren werden im Maybach zum Wintersport nach Garmisch-Partenkirchen fahren und sich einen Dreck darum scheren, was hier vorgeht. Sie werden höchstens in ihren Klitschen Gasmaskenbüchsen statt Suppentöpfe herstellen lassen. Und die Gasmaskenbüchsen werden besser bezahlt, garantiere ich dir, denn sonst wäre der Krieg längst aus.«

Timm und die anderen waren weit hinten. Sie warteten darauf, daß Zado und Bindig den Posten beseitigten, damit der Weg frei würde.

»Vielleicht hätte das alles nicht zu sein brauchen…«, sagte Bindig.

Zado nahm das Kappmesser in die Hand und sagte: »Er hat bloß das Käppi auf, keinen Helm. Da hören sie verdammt gut. Gib acht. Wenn ich die Hand über den Kopf hebe, kommst du. Dann schaffen wir ihn drüben zwischen die Büsche…«

Einmal hockten sie im Funkwagen, als sie schon in Haselgarten lagen, und da gab es einen Sender, der Nachrichten brachte und Kommentare. Sie hockten beide nebeneinander. Zado lüftete seinen Kopfhörer und grinste: »Das ist die andere Feldpostnummer. Paß auf, daß nicht einer dazukommt!«

Später schüttelte Bindig den Kopf und sagte; »Man kann kaum für möglich halten, was sie sagen. Ob es wahr ist?«

»Mir scheint, es ist wahr«, antwortete Zado. »Und wenn es wahr ist, warum ist dann niemals ein einziger Mensch gekommen und hat mit mir darüber gesprochen. Warum nicht?«

»Du fragst, als ob zu mir einer gekommen wäre«, sagte Zado, »aber zu mir ist auch keiner gekommen. Das ist nicht meine Schuld und nicht deine. Leute, die wirklich gesagt haben, was los ist, haben sie nach Auschwitz gebracht. In Auschwitz gibt es keinen Rundfunksender, den wir hören könnten. Wer frei ist, schweigt. Es gibt eine ganze Menge, die sich so ihr Leben erschweigen. Willst du ihnen das verübeln?« »Nein. Aber dieser Mann im Radio tat so, als ob er es mir verübelte, daß ich Soldat bin.«

»Nicht ganz. Er hat dich aufgefordert überzulaufen.« »Das ist beinahe das gleiche.« »Wenn du meinst«, sagte Zado leise.

Bindig brannte sich eine Zigarette an. Er hatte ebenso wie Zado die eine Kopfhörermuschel beiseite geschoben. Aus der anderen klang Musik in sein Ohr. Es waren deutsche Lieder. »Aber ich höre nicht gern auf den Rat solcher Leute, die ich nicht kenne und nicht einmal sehe. Weiß ich, ob es nicht bloß Leute sind, die reden, um Geld zu verdienen? Deshalb höre ich nicht gerne auf sie«, sagte Bindig.

Zado nickte. Er stützte den Kopf in die Hände und sagte, ohne Bindig anzusehen: »Das ist es. Wir hören nicht auf die, die wir nicht kennengelernt haben. Aber wir hören auf die, die wir kennen. Auf Timm. Keiner von uns weiß, ob es richtig ist oder falsch. Wir tun, was uns befohlen wird. Wenn wie das überleben sollten, dann wird es vielleicht welche geben, die uns fragen werden, warum das so war, aber wir werden ihnen kaum eine Antwort geben können.«

»Doch, eine!« sagte Bindig.

»Daß jeder Mensch das tut, was er gelernt hat und für richtig hält.«

»Eben«, sagte Zado. »Wir haben verdammt unangenehme Dinge gelernt. Sie werden uns einmal danach fragen, ob wir keine Augen hatten und keine Ohren und kein Herz. Ob wir das vielleicht bei der Einkleidung auf der Kammer mit abgegeben hätten.«

»Wenn wir es überleben. Wenn wir ’rauskommen…«

»Ja, dann. Und wenn wir diesem Mann im Radio glauben und beim nächsten Einsatz verschwinden und überlaufen, dann werden sie uns ebenso danach fragen, nur ein wenig früher als sonst. Was würdest du ihnen antworten?«

»Ich weiß nicht«, sagte Bindig langsam, »ich habe mir mein ganzes Leben anders vorgestellt. Es fing damit an, daß sie mein Mädchen…«

»Nein«, sagte Zado schnell, »es fing damit an, daß Hitler den Krieg erklärte, ich erinnere mich genau an den Tag. Ich hatte Halsschmerzen, und alle anderen, die mit mir in einer Bude lagen, waren sternhagelvoll besoffen. Aber nicht einmal da fing es, genau besehen, an, sondern schon viel früher. Und nicht erst damit, daß die Flieger kamen.«

»Ich habe mir alles anders vorgestellt. Auch den Krieg. Aber jetzt bin ich nicht mehr mit dem Herzen dabei. Nur noch mit den Händen. Und mit dem Kopf.«

Die Musik in den Kopfhörern lief unentwegt weiter. Es war ein Konzert ohne Unterbrechung. Es war deutsche Musik. Einmal sagte eine Stimme dazwischen: »Macht Schluß, Kameraden! Zu Hause warten eure Frauen auf euch. Macht Schluß mit dem Krieg, dann könnt ihr heimgehen zu euren Frauen…«

Zado sagte abwesend: »Unsere Frauen… Da fallen mir die beiden ein, die wir gestern in unserem Quartier hatten. Die eine hat gesagt, seit wir hier liegen, tut sie es nur noch für Schokolade. Sie hat drei Kinder. Hättest du ihr das angesehen?«

»Es ist alles ganz anders gekommen«, sagte Bindig langsam, »was man sich so vorgestellt hat, wovon man geträumt hat.«

»Unsere Träume?« Zado zog müde die Kopfhörer ab und hängte sie an den Einstellknopf des Gerätes. »Wir haben alle einmal geträumt. Und jetzt hocken wir hier und sind feige.

Wir sind so feige, daß wir nicht einmal uns selbst eingestehen, wie feige wir sind. Was haben wir nicht einmal alles geträumt. Aber die Träume sind gestorben, Kleiner. Wir werden auch sterben. Dann wird Timm nach Hause schreiben, daß wir Helden gewesen sind. Oder Alf wird es tun.«

Die Zeit verging. Sie stiegen in die Maschinen und glitten an den Schirmen zur Erde. Sie kehrten zurück und tranken und schliefen, und da waren die Frauen und Timm, der manchmal durch die Unterkünfte ging.

»Ihr habt Langeweile, was? Euch juckt es in den Fingern, Bindig, he! Einen umlegen? Leichen machen? Abwarten, bald geht’s wieder los!«

Und die Gespräche im Dunkel. Über die letzte Frau des einen und über die erste des anderen. Ob die Bordelle Hollands besser waren als die in Frankreich, und was man mit der Frau zu Hause tun wird, wenn man merkt, daß sie einen anderen gehabt hat. Und die Methoden, aus Genever ein trinkbares Gesöff zu brauen. Mit Honig und Zimt. Und wer wird wohl bei den Mädchen von der Theatergruppe Glück haben, die morgen kommt?