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»Ich verstehe. Ein Grund, in dieser Frau keine Faschistin zu sehen. Und der Soldat?«

Warasin blickte auf seine Stiefel. Er schwieg einen Augenblick. Von draußen war das ferne Grollen der Geschütze zu hören. Über dem Dorf waren Flugzeuggeräusche.

»Ein ziemlich junger Mensch«, sagte Warasin langsam, »ohne Lebenserfahrung und ohne Maßstäbe. So bekamen sie ihn in die Hände. Das richtige Material, um einen Soldaten daraus zu machen, der bedenkenlos das tut, was ihm befohlen wird. Er tat es, ohne nachzudenken, und es gab wohl niemanden, der ihm erklärte, was wirklich in der Welt geschieht. Erst als es sich zeigte, daß er den kaltblütigen Mord, zu dem sie ihn befohlen hatten, nicht mehr durchhalten konnte, begann er zu überlegen, was sie aus ihm gemacht haben. Er tut es widerwillig. Er hat Angst vor uns. Er reagiert wie ein in die Enge getriebenes wildes Tier. Anfangs war ich mir nicht schlüssig, ob dieser Mensch wirklich eine Gefahr für die Rote Armee bedeutet…«

Balaschow brannte eine neue Zigarette an. Er rauchte hastig. Er stieß den Rauch aus und zog die Stirn in Falten. Dann sagte er: »Ein Versprengter, der von der Nichteinmischung träumt. Solche Versprengte nehmen wir gefangen, Genosse Warasin.«

»Ich sehe ein, daß ich diesen Grundsatz verletzt habe.«

»Es ist so«, sagte Balaschow, indem er mit der Zigarette in die Luft stach, wie um seine Worte zu bekräftigen. »Wir nehmen sie gefangen. Wir erklären ihnen, was sie getan haben und wofür man sie mißbraucht hat. Wir lassen sie arbeiten und lernen. Sind Sie Verbrecher, dann wird man so mit ihnen verfahren, wie sie es verdienen. Sind sie aber nur Soldaten gewesen, denen die Fähigkeit fehlte, zu unterscheiden, was richtig und was falsch war, dann werden wir ihnen die Fähigkeit beibringen, das zu unterscheiden. So verfahren wir mit ihnen. Und ihren Frauen sagen wir, daß dieser Krieg alles andere war als ein Familienidyll und daß die Gefangennahme ihrer Männer die Folge des Krieges ist. Sie sollen sich damit trösten, daß ihre Männer klüger sein werden, wenn sie aus unserer Gefangenschaft heimkommen, und das wird ihren Familien auch wieder nutzen. Verstehen Sie mich?«

»Ich verstehe«, antwortete Warasin. »Es erschien mir in diesem Falle zu hart, deshalb habe ich gezögert. Ich hätte das nicht tun dürfen.«

»Sie haben uns hart angegriffen, und wir schlagen hart zurück. Bis wir gesiegt haben. Dann kann man über Milde sprechen.«

Ein paar Flugzeuge heulten über das Dorf und ließen ihre Maschinengewehre tacken.

Balaschow hob den Kopf und sagte leise: »Noch ist der Krieg nicht aus, Warasin.«

Warasin nickte. Er sah Balaschow an, und der sagte mit unbewegtem Gesicht: »Dieser versprengte Held und ein Dutzend anderer solcher Stechmücken haben uns in einem Wald zwischen Berziniki und Sudauen zehn Soldaten getötet. Ich denke, auch die Frau wird begreifen, daß es gerechtfertigt ist, wenn wir ihn gefangennehmen.«

»Zehn Soldaten?« wiederholte Warasin. »Ich verstehe nicht…«

Balaschow nickte heftig. »Man hat uns heute früh im Stab darüber informiert. Sechs Fahrzeuge und zehn Mann. Alle mit Pistolen auf kurze Entfernung erschossen. Im Schnee verscharrt. Man hat sie gefunden. Die Fallschirmspringer konnte man erwischen. Sie trugen die Uniformen unserer Armee. Sie haben sich damit außerhalb der Kriegsgesetze gestellt. Und überdies wird die Sache untersucht, denn es gibt da noch einige andere Vermutungen.«

Warasin biß sich auf die Lippe. Er sagte kaum hörbar: »Der Gefreite hat dazugehört.«

»Ich habe nicht daran gezweifelt.«

»Man wird ihn bestrafen.«

»Man wird ihn für nichts verantwortlich machen, was er nicht getan hat.«

Warasin erhob sich. »Ich will ehrlich sein, Genosse Balaschow. Es fällt mir schwer, der Frau das beizubringen.«

Balaschow ging auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. Er mußte sich beinahe auf die Fußspitzen stellen, um Warasin die Hand auf die Schultet zu legen.

»Warasin«, sagte er leise, »noch ist der Krieg nicht zu Ende. Sagen Sie das der Frau. Und sagen Sie ihr auch, daß der Mann auf diese Art und Weise am Leben bleiben und zu ihr zurückkommen kann, während es andernfalls sehr wahrscheinlich ist, daß er als Spion betrachtet und erschossen wird. Es ist…«

Das Feldtelefon klingelte. Balaschow sprang schnell zu der Kiste. Er riß den Hörer ans Ohr und meldete sich. Als er den Hörer wieder auflegte, sagte er zu Warasin: »Gehen Sie jetzt und erledigen Sie, was zu erledigen ist. Beeilen Sie sich, wir haben Alarmbereitschaft. Wir werden zwar nicht eingesetzt, aber diese Sache muß erledigt werden, und zwar sofort.«

»Wir werden nicht eingesetzt?«

Balaschow lächelte. »Wir haben diesen Angriff erwartet. Wir haben vorgesorgt. Es geht ihnen um die Ausgangsposition, die wir an dieser Stelle der Front haben. Die wollen sie zurück gewinnen. Ein ziemlich massiver Angriff, aber wir fangen ihn mit ein wenig Elastizität auf und lassen ihn totlaufen. Es besteht kein Grund, besorgt zu sein. Gehen Sie jetzt. Nehmen Sie Leute mit und erledigen Sie diese Sache gründlich. Verlieren Sie keine Zeit. Bringen Sie den Mann zu mir. Ich werde ihn vernehmen und für seinen Abtransport sorgen.«

Als Warasin die brüchige Kellertreppe hinaufstieg, über sich den blanken Himmel, hetzte eine Kette Nachtjäger in geringer Höhe über das Dorf. Es waren kleine, schnelle schwarze Maschinen. Sie huschten vorbei, nach Westen. Warasin sah ihnen nach. Sie verschwanden im Geflacker des Artilleriefeuers, das noch immer andauerte, Einmal war noch eine von ihnen im Schein einer Explosion zu sehen, die schlagartig den Horizont blaß erhellte, dann war es vorbei. Auf der Straße stand eine Schlittenkolonne. Die Männer saßen rauchend, in ihre Steppjacken gehüllt. Sie hatten Maschinengewehre und zerlegte Granatwerfer auf ihren Schlitten. Ihre Maschinenpistolen funkelten matt in dem schwachen Mondlicht.

Im Dorf war es still. Die Soldaten der Kompanie lagen in ihren Unterkünften und warteten auf Befehle. Manchmal schien es, als rückten die Granateinschläge näher, als wären die Detonationen nicht mehr so weit entfernt wie vorher. Als Warasin am Ende des Dorfes anlangte, merkte er, daß diese Vermutung richtig war. Von der deutschen Seite schossen ein paar schwere Geschütze ins Hinterland. Die Einschläge waren vom Dorfrand aus zu sehen. Die Schlittenkolonne riß ab, und die Straße war mit einemmal frei. Warasin beschleunigte seine Schritte. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen. Es war kalt in dieser Nacht. Immer wenn die Wolken verschwanden und die Nächte klar und voller Sterne waren, kam die Kälte und ließ den Schnee hart werden unter den Stiefeln.

Hinter dem Dorf gab es keine Soldaten mehr. Eine Stille umgab Warasin, die durch den fernen Lärm der Geschütze nur noch betont wurde. Warasin schritt aus. Er klappte den Kragen des Mantels hoch und stapfte mit gesenktem Kopf über den festgefahrenen Schnee der Straße, bis er an den Weg kam, der zu Annas Gehöft führte. Von hier aus war es nicht mehr weit, und bald konnte Warasin den Rauch erkennen, der aus dem Schornstein stieg.

Das Hoftor war nur angelehnt. Die Haustür war offen. Warasin schloß sie hinter sich und trat in die Küche.

Anna hörte ihm geduldig zu, bis er alles gesagt hatte, was zu sagen war. Sie stand am Herd, das Haar sorgfältig wie immer im Nacken geknotet, ein Wolltuch über den Schultern. Sie hatte traurige Augen, aber ihre Stimme war genauso wie immer, als sie sagte: »Er ist weggegangen. Er wollte mit sich allein sein und nachdenken. Wir hatten darüber gesprochen. Ich habe nicht viel gesagt. Ich bin immer allein gewesen, und wenn er fort ist, werde ich wieder allein sein. Wie immer. Es ist eben mein Leben. Es ist so sehr mein Leben gewesen, das ich nicht einmal mehr die Kraft aufbringe, dagegen zu kämpfen.«

Sie sagte es mit einer Bitterkeit, die Warasin noch nie bei ihr beobachtet hatte. Er saß am Küchentisch und sah ihr zu, wie sie hinten am Herd hantierte.

»Wird er zurückkommen?« erkundigte er sich zögernd. Er war verwirrt. Von der einen Säte stürmten die Worte Balaschows auf ihn ein, von der anderen Seite blickten die Augen Annas, kam ihre Stimme mit dieser Nuance von Bitterkeit und Vorwurf.