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Gegen Morgen, als sie grölend heimzogen, versprach Timm dem Gärtnergehilfen gönnerhaft: »Für dich ist heute dienstfrei, mein Lieber!«

Er trainierte seinen Zug drei Wochen, bevor sie in Kreta abgesetzt wurden, Um diese Zeit begannen die Männer Timm zu hassen, aber er lachte sie aus. Er wußte, was sie brauchten, um den Haß wieder zu vergessen. Am letzten Tag der Ausbildung ging er mit ihnen in eine Kneipe am Rand der Lüneburger Heide. Einen Kilometer von dieser Kneipe entfernt lag ein Arbeitsdienstlager, in dem zweihundert Mädchen untergebracht waren. Die Mädchen bekamen nur Ausgang, weil Timm eine Kiste Wein zu der Lagerführerin hatte schaffen lassen. Er lud die Mädchen zu einer weiteren Kiste Wein ein, die noch aus Frankreich stammte. Als er dreimal mit der stillen, blonden Apothekerstochter aus Barmen getanzt hatte, sagte das Mädchen: »Ich habe sehr viel Achtung vor Ihnen. Sie haben ein gefährliches Leben. Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal mit so vielen Fallschirmjägern zusammentreffen würde. Es gibt sicher nicht sehr viele von ihnen?«

Timm bemerkte, daß sie noch zuwenig Wein getrunken hatte. Er goß ihr ein und sagte gelangweilt: »In vierzehn Tagen wird es noch weniger von uns geben. Trinken wir einstweilen einen darauf.«

Als das Mädchen betrunken war, erzählte es von ihrem Verlobten.

»Oh«, machte Timm, »das ist ja ganz neu. Sie tragen doch gar keinen Ring…«

»Nicht nötig«, sagte das Mädchen, »den trage ich im Herzen. Er ist bei der Infanterie.«

»Wunderbar!« lachte Timm. »Bei der Königin der Waffen! Trinken wir einen auf ihn!«

»Er schreibt mir oft«, sagte das Mädchen. »Er ist auf dem Balkan. Ich weiß nur nicht genau wo.«

»Trinken wir einen darauf, daß es ihm gut geht.«

Hinter der Kneipe lag der Garten, und hinter dem Garten begannen die Büsche. Sie säumten den Weg, der zum Lager der Mädchen führte. Der Weg war lang. Es war eine warme Nacht. »Ich heiße Ursula…«, flüsterte sie, als Timm sie untergefaßt neben sich herschob.

»In Ordnung«, gab er zurück, »ich heiße Klaus. Bist du auch so müde wie ich?«

»Furchtbar müde.« Sie war betrunken.

»Laß uns ein bißchen ausruhen, nachher geht’s besser.«

Sie waren nicht das einzige Paar. Als er das Mädchen losließ, torkelte es zwischen die Büsche. Er fing es rasch auf und ließ es behutsam zu Boden gleiten. Es war weicher, ein wenig staubiger Heideboden. Es roch nach Heidekraut und Schafgarbe.

»Du… das darfst du nicht…«, flüsterte das Mädchen. Es sprach sehr leise, als müsse es darauf achten, daß niemand es hörte.

»Ich darf das nicht«, sagte Timm, »aber es ist ganz schön, wenn man es tut. Himmel, habt ihr alle so viel an bei dieser Hitze?«

Das Mädchen bewegte sich schwach. Es hatte Angst und wollte das alles nicht mittun, aber es war viel zu spät, das zu überlegen, und Klaus Timm wußte genau, wie spät es war.

»Aber ich kann… nein…«, stotterte das Mädchen. Timm brummte irgendetwas Beruhigendes zur Antwort. Er war mit seinen Gedanken woanders. Und doch flogen seine Gedanken ganz plötzlich zu diesem Mädchen zurück, das er hielt. Mit geschlossenen Augen dachte er eine Sekunde lang: Zwei Kisten Wein und ein Mädchen, das noch keinen Mann gehabt hat. Später, als er mit ihr in der Nähe des Lagers angelangt war, wo ringsum die anderen von ihren Mädchen Abschied nahmen, fragte er sie: »Sag mir, ist das wahr gewesen mit deinem Verlobten, oder…«

Das Mädchen sah ihn nicht an, aber sie nickte ein paarmal, und dann kamen ihr die Tränen. Sie sagte schnell und sehr leise: »Ja…« Dann drehte sie sich um und lief davon. Timm sah, wie sie den Kopf senkte und das rote Kopftuch unter dem Kinn zusammenhielt.

Er lachte lautlos und brannte sich eine Zigarette an. Er rauchte sie halb auf, dann fiel ihm plötzlich ein, daß er allein stand. Er sah sich um. Hier und dort erblickte er ein paar Gestalten, die beieinander standen. Da zog er das Koppel stramm und schrie unvermittelt mit seiner hellen, schneidenden Stimme: »Los! Auf, ihr Scheiche! Macht Schluß, wir marschieren ab!«

Acht Tage später saß er mit den anderen in der Maschine, und die Hupe ertönte. Er erhob sich und blieb am Schott stehen, auf den nächsten Hupenton wartend.

»So«, sagte er dabei, »jetzt werden wir denen da unten zeigen, was Krieg ist, bis sie nicht mehr wissen, ob sie das Vaterunser in der Schule gelernt haben oder im Hurenhaus!«

Unter ihnen lagen die Gebirge von Kreta.

Timm durchstreifte diese Gebirge, nachdem in den Tälern und um die Stützpunkte herum der Kampf beendet war. Er haßte die Ruhe. Er wußte, daß es in den Gebirgen noch Wild zu jagen gab. Menschliches Wild.

Mittag. Keine Wolke über dem Blau des Himmels. Jeder Stein ist so heiß, daß man glaubt, auf einem geheizten Ofen zu liegen. Timm hat längst die Orientierung verloren. Er hat auch keine Zeit, jetzt die Karte zu betrachten. Er ist auf der Spur. Die anderen folgen ihm in langen Abständen. In den Bergen darf man nicht zu dicht beieinander sein.

Unten, an der verlassenen Wasserstelle, hatten sie die Corned-beef-Büchsen gefunden, und ein Stück weiter westlich, im Gestrüpp zwischen den Oliven, das Motorrad. Die Büchsen waren leer gewesen, und im Tank des Motorrades war kein Benzin mehr. Timm wußte genau, daß er die beiden Engländer, denen das Motorrad gehörte, heute noch ausfindig machen würde. Er hatte keinen Anhaltspunkt, wohin sie sich gewandt haben konnten. Überall waren die Felsen glatt, es gab keine Spuren, nichts. Aber Timm brauchte keine Spuren. Zwei Männer, die sich verstecken müssen, wählen dafür die günstigste Möglichkeit. Und Timm tat weiter nichts, als sich vorzustellen, daß auch er sich verstecken müsse.

Zwei Stunden später fiel der erste Schuß. Er kam aus einem Gewirr von Geröll und halbhohem Krüppelholz. Er traf niemand. Timm ließ sich sofort zu Boden gleiten und blieb regungslos auf dem heißen Gestein liegen. Der Schuß hatte nicht ihm gegolten, sondern einem Soldaten seiner Gruppe, der weiter links ging. Nun lauerte Timm. Er lag hinter einem Felsbrocken und schob die Maschinenpistole langsam nach vorn. Er lehnte sie seitlich an den Felsen und legte zwei Handgranaten daneben. Einer von den anderen kam zu ihm herangekrochen. Es war Zado. Er war braungebrannt. Der Schweiß tropfte von seiner Stirn. »Zurück«, fragte er, »und dann vielleicht um dieses Geröllfeld herum?«

Timm schüttelte den Kopf. Leute wie diese beiden Engländer mußte man belagern, bis ihnen die Nerven ausgingen. Man mußte sie im unklaren lassen über das, was man tat.

Das Geröllfeld, das vor ihm lag, stieg steil an. Irgendwo dort mußten sie liegen. Sie überblickten den Abhang, aber sie waren eingeklemmt zwischen den Verfolgern und der steilen, nackten Wand, die über ihnen lag. Die Wand war der eine Tod, die Verfolger waren der andere. Timm grinste. »Nimm dir zwei Mann«, sagte er zu Zado, »geht zurück und raucht eine Zigarette. Laßt euch Zeit. Dann steigt ihr seitwärts von dieser Geröllhalde so hoch, bis ihr über der Wand seid. Ihr könnt dann hin unter sehen, denn wenn sie nach euch schießen wollen, müssen sie aus der Deckung, und dann erwischen wir sie. Seht euch genau an, wo sie liegen, und dann laßt Handgranaten hinunterrollen.«

»In Ordnung«, sagte Zado. Ein zweiter Schuß bellte im Geröll auf. Das Geschoß klatschte weit hinten gegen einen Stein, hinter dem einer der Jäger lag. Es traf nicht.

Zado rollte sich seitwärts und kroch zurück. Er suchte sich zwei andere, und sie klommen, nachdem sie sich ausgeruht hatten, an der Seite der Wand aufwärts. Timm verlor sie aus den Augen. Er legte das Kinn auf die verschränkten Hände und gähnte. Er war müde von der Hitze, und die Augen schmerzten ihm von dem grellen Licht.

Einer von seinen Leuten schoß in das Geröll. Das Geschoß prallte ab und sirrte mit hellem Ton davon. Ein paar Sekunden später kam die Antwort. Es war ein einzelner Schuß, aber der Schütze hatte gute Augen, und er schoß dem letzten Mann der Gruppe in den Ellbogen. Timm beobachtete mit verkniffenem Gesicht, wie zwei andere ihn nach hinten schleppten. Dann entsicherte er die Maschinenpistole und sah auf die Uhr.