Выбрать главу

Als eine Stunde vergangen war, hatten Zado und die zwei anderen sich hinaufgearbeitet. Sie tauchten mit einemmal sehr weit oben auf, und Timm konnte sehen, wie sie einander Zeichen gaben. Sie konnten sich frei bewegen, denn die beiden Engländer durften es nicht wagen, sich aufzurichten und nach ihnen zu schießen.

Zado rief sie von oben an. Er erinnerte sich an ein paar Brocken Englisch und forderte sie auf, sich zu ergeben. Er bekam keine Antwort. Timm lag mit der Maschinenpistole im Anschlag. Jetzt wußte er, wo die beiden versteckt waren. Zado zeigte es ihm mit dem ausgestreckten Arm. Es waren zwei große Geröllbrocken vor einem struppigen Busch, dessen Zweige verdorrt herabhingen. Zado ließ drei Handgranaten hinabrollen. Sie rollten über die Felswand und hüpften auf die beiden Geröllbrocken zu. Eine blieb unterwegs hängen und explodierte, ohne Schaden anzurichten. Die beiden anderen krepierten ein paar Meter über dem verdorrten Busch. Vor dort kamen schnell hintereinander noch ein paar Schüsse, denn einer von Timms Leuten hatte sich aufgerichtet und war ein paar Schritte nach vorn gesprungen. Die Schüsse trafen ihn nicht. Sie waren unsicher gezielt, denn der Schütze mußte das Gewehr mit einer Hand festhalten, weil die andere von der Handgranate verletzt war.

Die nächsten drei Handgranaten töteten den einen der Engländer und rissen dem zweiten den linken Fuß ab. Sie waren direkt zwischen die Geröllbrocken gerollt und explodiert. Der Verletzte warf zwei kurze Automatgewehre aus der Deckung heraus und winkte mit einem Taschentuch. Es war ein hagerer, rötlichblonder Mann mit ordentlich gestutztem Schnurrbart. Er verzog vor Schmerz das Gesicht, als Timm hinter die Deckung trat. Timm nahm ihm die Pistole ab, aber sie war leer geschossen. Dann untersuchte er den Toten. Er nahm nur ein Päckchen Papiere, die er in der Brusttasche fand. Dann sah er auf die Uhr. Sie mußten sich beeilen, wenn sie vor Einbruch der Dunkelheit zum Stützpunkt zurückkommen wollten. Er besah sich den Fuß des Verletzten. Die Handgranate mußte wenige Zentimeter neben dem Fuß explodiert sein, denn der Fuß war dicht über dem Knöchel abgesplittert. Unter dem zusammengekrümmt daliegenden Soldaten bildete sich eine Blutlache. Der Mann hatte dicke Schweißtropfen auf der Stirn stehen, aber er sagte keinen Ton, er biß nur die Zähne in die Lippen.

Von oben stieg Zado herunter. Er hatte eine Zigarette zwischen den Lippen hängen. Timm griff, ohne ein Wort zu sagen, nach den Papieren in der Brusttasche des Verwundeten. Der Mann sah ihn mit schmerzverkniffenem Gesicht an, aber er tat den Mund nicht auf.

»Gib ihm eine Zigarette…«, sagte Zado, als er neben Timm stand, »er macht nicht mehr lange.«

Er brannte selbst eine seiner Zigaretten an und steckte sie dem Soldaten zwischen die Lippen. Der Mann zog ein paarmal daran, aber er war bereits zu schwach, die Zigarette zu halten. Sie fiel ihm aus dem Mund.

Timm befahl seinen Leuten kurz: »Los, haut ab! Ich komme nach.«

»Willst du ihn allein schleppen?« erkundigte sich Zado. »Man könnte ihm den Fuß abbinden. Vielleicht…«

»Haut ab!« sagte Timm noch einmal. Er hielt die eine Hand in der Hosentasche, wo er die beiden Handgranaten hatte. Die anderen entfernten sich langsam. Sie stolperten über das Geröll abwärts, und ihre Schritte verklangen.

Als Timm nach dem Verbandpäckchen griff, leuchtete es in den Augen des Verwundeten schwach auf. Timm erhob sich und ging mit dem Verbandpäckchen hinter den großen Steinbrocken. Er nestelte an der Verschnürung herum, aber er öffnete es nicht. Hinter dem Stein konnte der Engländer ihn nicht mehr sehen. Er zog die eine Handgranate aus der Tasche und schraubte die blaue Kapsel ab. Es war eine von den gekerbten Eierhandgranaten. Timm zog langsam den Zünder ab und zählte. Dann drehte er sich um und warf dem Engländer die Handgranate auf die Brust. Während er sich hinter den Stein duckte, explodierte die Granate. Timm schüttelte den Kopf und öffnete ein paarmal den Mund, um den Druck auf den Trommelfellen loszuwerden. Dann ging er hinter den Stein, warf noch einen Blick auf die beiden Toten und folgte seinen Leuten den Hang abwärts. Er holte sie auf halbem Wege ein. Sie sagten nichts. Nur Zado erkundigte sich: »Hätten wir ihn nicht lieber mitnehmen sollen?«

Nach ein paar Sekunden, während sie schweigend nebeneinanderher gingen, fragte Timm: »Hättest du ihn tragen wollen?«

Zado schwieg.

»Hätte ihn irgendeiner von euch tragen wollen?« fragte Timm die anderen.

Als keine Antwort kam, sagte er langsam: »Die beiden werden bis morgen mittag ganz schön stinken.« Mehr sagte er nicht.

Sie stiegen abwärts und ließen in den Tank des Motorrades eine Handgranate fallen. Sie kehrten zum Stützpunkt zurück wie eine Gruppe von Jägern, die gute Beute gemacht haben.

»Himmel, ist das ein Krieg!« lachte Timm, wenn sie durch die Berge streiften. Manchmal sahen sie in den Dörfern ein Mädchen. Dann wurden ihre Augen groß.

Aber die Mädchen in den Dörfern waren spröde wie dünnes Glas. Sie sahen mit ausdruckslosen Gesichtern den Soldaten nach und sprachen kein Wort.

»Dieses Pack ist stolz«, stellte Timm erbost fest, »warte, nach einem Vierteljahr werden sie wissen, wer ihr neuer Herr ist. Dann werden sie um ein halbes Kommißbrot betteln kommen.«

Die Mädchen kamen nicht. Aber Timm bekam Urlaub.

Die Gespräche in der Kneipe an der Straßenecke. Sie kannten ihn dort noch aus der Zeit, in der er einmal mitgeholfen hatte, den Saalbau gegenüber auszuräumen, in dem eine sozialdemokratische Versammlung stattfand. Sie feierten ihn. Es waren die, von denen alle Soldaten gefeiert wurden, die auf Urlaub kamen. Die Rentner aus dem ersten Krieg, die zwei Leute vom Luftschutz, die Weiber von der NSV und eine, deren Mann verschollen war.

»Erzählen Sie mir, wie es da draußen zugeht…«, bat sie Timm.

Er hatte etwas getrunken, aber er sah, daß die Frau buschige, schwarze Augenbrauen über sehr dunklen, großen Augen hatte.

»Sie wohnen wohl noch nicht lange in dieser Gegend?« erkundigte er sich. Um ihn herum tranken die anderen das dünne Bier und rauchten von den Zigaretten, die er auf den Tisch gelegt hatte.

»Ich wohne seit zwei Jahren hier«, sagte die Frau. Sie sagte es nicht sehr laut Und noch etwas leiser sagte sie: »Ich habe eine sehr nette kleine Wohnung. Viel zu nett für mich allein.«

Timm sah die Wohnung zwei Stunden später. Die Frau hatte nicht übertrieben. Sie knipste eine Stehlampe hinter der Couch an und stellte ein paar Gläser und eine Flasche Kognak hin.

»Stürze dich nicht in Ausgaben«, sagte Timm grinsend. Die Frau trug einen Morgenrock. Timm sah, daß sie lange, schlanke, gut geformte Beine hatte.

»Ich habe nicht oft Besuch«, sagte die Frau. Sie goß ein und erhob das Glas: »Auf unsere Bekanntschaft!«

Timm prostete ihr zu. Er überlegte, wie lange er noch Urlaub hatte. Dann sagte er zu der Frau: »Wenn du einverstanden bist, können wir noch genau elf Abende miteinander trinken.«

Die Frau stutzte einen Augenblick. Dann lachte sie leise. Sie verstand. Aus dem Morgenrock schob sie ihr Knie. Sie trug sehr dünne, teure Strümpfe. »Und deine Frau?« fragte sie lächelnd.

»Meine Frau?« sagte Timm. »Sie bezieht meine Löhnung.«

Die Frau kochte Kaffee. Es war außerordentlich guter Kaffee, und Timm wunderte sich, woher sie ihn hatte. Aber sie lächelte nur zur Antwort.

»Bist du schon lange allein?« erkundigte sich Timm.

»Sagen wir, ich bin öfters allein«, gab die Frau zurück,

»Oh…«, machte Timm, »das ändert den Stoff nicht. Nur die Farbe.«

Die Frau war unruhig. Sie hatte schon zu lange gesessen und getrunken. Sie erhob sich. An den Knöpfen des Radios drehend, fragte sie über die Schulter: »Mußt du nach Hause, oder kannst du dir erlauben fortzubleiben?«