Bei ihrer Rückkehr in den Flur fanden sie oben auf der Kellertreppe ein Tablett vor, und der Duft von heißen Honigkuchen erfüllte den Flur. Auch zwei Krüge standen dabei und eine Kanne mit heißem gewürzten Süßmost. Trotz seiner eigenen Ermahnung, bis später zu warten, legte Rand die letzten beiden Packmärsche zwischen Karren und Keller mit einem Fäßchen unter einem Arm und einem Stück Honigkuchen in der Hand zurück.
Er legte das letzte Fäßchen in das Gestell, wischte sich die Krümel vom Mund, während Mat ablud, und sagte dann: »Und was nun den Gauk...«
Füße trampelten die Treppe herunter, und Ewin Finngar stürzte in seiner Erregung beinahe auf den Kellerboden. Sein feistes Gesicht strahlte vor Eifer. Er mußte seine Neuigkeiten loswerden. »Es sind Fremde im Dorf!« Er kam zu Atem und sah Mat schief an. »Geisterhunde habe ich keine gesehen, aber ich hörte, jemand habe Meister Luhhans Hunde mit Mehl gepudert. Ich habe auch gehört, daß Frau Luhhan weiß, wer dafür verantwortlich sein dürfte.«
Die Jahre, die Mat und Rand von Ewin trennten, der erst vierzehn war, sorgten normalerweise dafür, daß sie alles, was er sagte, ziemlich schnell abtaten. Diesmal jedoch blickten sie sich überrascht an und sprachen beide gleichzeitig.
»Im Dorf?« fragte Rand. »Nicht im Wald?«
Und Mat fügte im gleichen Moment hinzu: »Hatte er einen schwarzen Mantel an? Hast du sein Gesicht sehen können?«
Ewin sah unsicher von einem zum anderen und sagte dann schnell, als Mat drohend auf ihn zu trat: »Natürlich habe ich sein Gesicht sehen können. Und sein Mantel ist grün. Oder vielleicht grau. Er wechselt die Farbe. Er scheint sich immer dem Hintergrund anzupassen, vor dem er steht. Manchmal kann man ihn gar nicht sehen, auch wenn man ihn geradewegs anblickt. Nicht, bis er sich bewegt. Und ihrer ist blau wie der Himmel und zehnmal schöner als alle Festkleider, die ich je gesehen habe. Sie ist auch zehnmal hübscher als alle, die ich je gesehen habe. Sie ist eine hochgestellte Dame wie in den Geschichten. Sie muß eine sein.«
»Sie?« fragte Rand. »Von wem redest du?« Er sah Mat an, der beide Hände auf den Kopf gelegt und die Augen zugedrückt hatte.
»Von denen wollte ich dir erzählen«, äußerte sich Mat schließlich, »bevor du mich als Helfer... « Er brach ab und öffnete die Augen, um Ewin scharf anzusehen. »Sie sind gestern abend angekommen«, fuhr er nach einem Augenblick fort, »und haben sich Zimmer hier in der Schenke genommen. Ich sah, wie sie heranritten. Ihre Pferde, Rand! Ich habe noch nie so große und schlanke Pferde gesehen. Sie sehen aus, als könnten sie immer und ewig weitergaloppieren. Ich glaube, er arbeitet für sie.«
»Er steht in ihren Diensten«, unterbrach ihn Ewin. »Das nennt man ›in Diensten stehen‹, jedenfalls in den Geschichten, die ich gehört habe.«
Mat fuhr fort, als habe Ewin gar nicht gesprochen. »Jedenfalls hört er auf sie, tut, was sie sagt. Aber er benimmt sich nicht wie ein Knecht. Vielleicht ist er ein Soldat. Die Art, wie er sein Schwert trägt, als sei es ein Teil von ihm wie seine Hand oder sein Fuß. Neben ihm wirken die Begleitsoldaten der Kaufleute wie Köter. Und sie, Rand! Ich habe mir niemals eine solche Frau auch nur vorgestellt. Es ist, als stamme sie aus den Geschichten eines Gauklers. Sie ist, wie... Wie... « Er unterbrach seinen Redefluß und sah Ewin gekränkt an. »... wie eine hochgestellte Dame«, endete er mit einem Seufzer.
»Aber wer sind sie?« fragte Rand. Von den Kaufleuten abgesehen, die einmal im Jahr kamen, um Tabak und Wolle zu kaufen, und den fahrenden Händlern, kamen niemals Fremde zu den Zwei Flüssen, jedenfalls so gut wie nie. Vielleicht kamen sie bis zu Taren Fähre, aber nicht noch weiter nach Süden. Die meisten Kaufleute und Händler kamen auch schon seit Jahren und zählten somit nicht als Fremde. Vielleicht konnte man sie als Außenstehende bezeichnen. Es war gute fünf Jahre her, daß zuletzt ein echter ›Fremder‹ in Emondsfeld erschienen war, und er hatte versucht, sich hier zu verstecken. Er hatte oben in Baerlon irgendwelche Schwierigkeiten gehabt, die keiner im Dorf verstand. Er war nicht lange geblieben. »Was wollen sie?«
»Was sie wollen?« rief Mat. »Es ist mir gleich, was sie wollen. Fremde, Rand, und Fremde, wie du sie dir nicht erträumt hast. Denk mal!«
Rand öffnete den Mund und schloß ihn wortlos wieder. Der schwarzgekleidete Reiter hatte ihn so nervös gemacht wie eine Katze im Hunderennen. Es schien schon ein mehr als seltsamer Zufall zu sein, daß sich drei Fremde auf einmal hier beim Dorf aufhielten. Drei — falls der seine Farben ändernde Mantel dieses Burschen niemals schwarz wurde.
»Sie heißt Moiraine«, sagte Ewin in das kurze Schweigen hinein. »Ich hörte, wie er sie so anredete. Moiraine nannte er sie. Die Lady Moiraine. Er heißt Lan. Die Seherin kann sie vielleicht nicht leiden, aber mir gefällt sie.«
»Wie kommst du darauf, daß Nynaeve sie nicht leiden kann?« fragte Rand.
»Sie hat heute morgen die Seherin nach dem Weg gefragt«, sagte Ewin, »und sie mit ›Kind‹ angesprochen.« Rand und Mat pfiffen leise durch die Zähne, und Ewin überschlug sich fast vor Eifer. Er erklärte: »Die Lady Moiraine wußte nicht, daß sie die Seherin ist. Als sie es erfuhr, hat sie sich entschuldigt. Tatsächlich! Und sie stellte ihr dann Fragen über Kräuter und über die Leute in Emondsfeld mit dem gleichen Respekt wie jede Frau hier im Dorf, oder vielleicht noch mehr. Sie fragt immerzu, wie alt die Leute sind und wie lange sie schon hier wohnen und... Ach, ich weiß nicht, was alles. Jedenfalls antwortete Nynaeve, als habe sie in einen unreifen Apfel gebissen. Und dann, als die Lady Moiraine wegging, hat ihr Nynaeve nachgeschaut, wie... Also jedenfalls, freundlich war der Blick nicht, kann ich euch sagen.«
»Ist das alles?« fragte Rand. »Du kennst ja Nynaeves Launen. Als Cenn Buie sie letztes Jahr ›Kind‹ nannte, schlug sie ihm ihren Stock über den Schädel, und dabei ist er im Gemeinderat, und alt genug, um ihr Großvater zu sein, ist er außerdem. Sie geht bei jeder Gelegenheit hoch, und kaum hat sie sich umgedreht, ist der Ärger auch schon verflogen.«
»Für mich ist das schon zu lang«, murmelte Ewin.
»Mir ist es ganz gleich, wem Nynaeve über den Schädel schlägt, solange ich's nicht bin«, gluckste Mat vergnügt. »Das wird das beste Bel Tine, das es jemals gab. Ein Gaukler, eine Lady — wer kann mehr verlangen? Wer braucht schon ein Feuerwerk?«
»Ein Gaukler?« fragte Ewin mit überkieksender Stimme.
»Komm schon, Rand«, fuhr Mat fort, wobei er den jüngeren überging. »Wir sind doch hier fertig. Du mußt den Burschen sehen!«
Er sprang die Treppen hoch. Ewin kam hinterher und rief: »Ist wirklich ein Gaukler da, Mat? Das ist keine Schwindelei wie die Geisterhunde, nicht wahr? Oder wie die Frösche?«
Rand blieb lange genug unten, um die Lampe auf ganz kleine Flamme zu stellen, dann eilte er hinterher.
Im Schankraum hatten sich Rowan Hurn und Samel Crawe zu den anderen vor dem Feuer gesellt, so daß nun der gesamte Gemeinderat versammelt war. Jetzt sprach Bran al'Vere. Seine normalerweise derblaute Stimme war so gedämpft, daß jenseits der zusammengerückten Stühle nur ein dumpfes Murmeln zu hören war. Der Bürgermeister betonte seine Worte, indem er mit dem dicken Zeigefinger in die Fläche der anderen Hand klopfte und einen Mann nach dem anderen anblickte. Alle nickten ihm ihr Einverständnis zu, was er auch sagen mochte, nur bei Cenn sah das etwas zurückhaltender aus als bei den anderen.
Die Art, wie sie alle eng zusammengerückt miteinander sprachen, sagte mehr als ein Hinweisschild. Worüber immer sie sprachen, es ging — im Moment jedenfalls — nur den Gemeinderat etwas an. Sie hätten sicher etwas dagegen gehabt, daß Rand lauschte. Zögernd riß er sich los. Es gab ja auch noch den Gaukler. Und diese Fremden.