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Draußen waren Bela und der Karren verschwunden. Hu oder Tad, die Stallburschen der Schenke, hatten sie weggebracht. Mat und Ewin standen ein paar Schritte vom Eingang der Schenke entfernt. Ihre Mäntel wurden vom Wind hin und her gerissen. Sie blickten sich wütend in die Augen.

»Zum letzten Mal«, fauchte Mat, »ich spiele dir keinen Streich! Es ist wirklich ein Gaukler da. Jetzt hau ab! Rand, sag du diesem Wollkopf, daß ich die Wahrheit sage, damit er mich in Ruhe läßt.«

Rand zog seinen Umhang enger und tat einen Schritt vorwärts, um Mat zu unterstützen. Doch die Worte erstarben ihm auf den Lippen, als sich ihm die Nackenhaare sträubten. Er wurde wieder beobachtet. Es war keineswegs das Gefühl, das er bei dem verhüllten Reiter empfunden hatte, aber es war auch nicht angenehm, besonders so kurze Zeit nach dem Zusammentreffen im Wald.

Ein kurzer Rundblick über das Grün zeigte ihm nur, was er auch zuvor dort erblickt hatte: spielende Kinder, Menschen, die das Fest vorbereiteten, und kaum ein Blick in seine Richtung. Der Frühlingsbaum stand nun allein da und wartete. Geschäftigkeit und kindliche Rufe erfüllten die Gassen. Alles war so, wie es sein sollte. Außer, daß er beobachtet wurde.

Dann brachte ihn etwas dazu, sich umzudrehen und aufzuschauen. Am Rand des Ziegeldachs der Schenke saß ein großer Rabe und schwankte ein wenig im böigen Wind. Er hielt den Kopf schräg und äugte mit einem schwarzen Knopfauge — nach ihm, dachte er. Er schluckte, und urplötzlich stieg heißer, scharfer Zorn in ihm auf.

»Dreckiger Aasfresser«, murmelte er.

»Ich hab's satt, angestarrt zu werden«, grollte Mat, und Rand bemerkte, daß sein Freund neben ihn getreten war und den Raben ebenfalls böse anblickte.

Sie tauschten einen Blick, und dann suchten ihre Hände gleichzeitig nach Steinen.

Die beiden Steine flogen genau auf ihr Ziel zu... Und der Rabe hüpfte zur Seite. Die Steine pfiffen über die Stelle, an der er sich gerade noch befunden hatte. Er schlug einmal mit den Flügeln, legte den Kopf wieder schräg, fixierte sie mit einem toten schwarzen Auge, ohne jede Angst, ohne ein Anzeichen, daß irgend etwas geschehen war.

Rand sah den Vogel verwirrt an. »Hast du jemals einen Raben gesehen, der sich so verhielt?« fragte er ruhig.

Mat schüttelte den Kopf, ohne den Raben aus den Augen zu verlieren. »Nie. Und auch noch keinen anderen Vogel.«

»Ein übler Vogel«, sagte eine Frauenstimme hinter ihnen. Trotz des darin mitschwingenden Ekels klang die Stimme melodiös. »Selbst in guten Zeiten sollte man ihm mißtrauen.«

Mit einem schrillen Schrei warf sich der Rabe so kraftvoll in die Luft hinaus, daß zwei schwarze Federn vom Rand des Daches herunterschwebten.

Überrascht drehten sich Rand und Mat herum und verfolgten den schnellen Flug des Vogels über das Grün hinweg in Richtung auf die wolkenverhangenen Verschleierten Berge zu, die hinter dem Westwald hoch aufragten, bis er zu einem verschwindend kleinen Fleck am Westhimmel wurde und dann ganz außer Sicht war.

Rands Blick fiel auf die Frau, die sie angesprochen hatte. Auch sie hatte den Flug des Raben verfolgt und wandte sich nun ihnen zu. Ihr Blick traf den seinen. Er konnte sie nur stumm anstarren. Dies mußte die Lady Moiraine sein, und sie war alles wert, was Mat und Ewin über sie gesagt hatten, alles und noch mehr.

Als er gehört hatte, daß sie Nynaeve als Kind bezeichnet hatte, stellte er sie sich als alte Dame vor, doch das war sie nicht. Zumindest war er nicht in der Lage, ihr Alter auch nur zu schätzen. Zuerst dachte er, sie sei genauso jung wie Nynaeve, aber je länger er sie ansah, desto mehr war er überzeugt, daß sie doch älter war. Um ihre großen dunklen Augen herum lag eine Reife, ein Hauch von Lebenserfahrung, die niemand Junges besitzen konnte. Einen Moment lang glaubte er, diese Augen seien tiefe Seen, die ihn gleich verschlingen würden. Es war klar, warum Mat und Ewin sie als eine Lady aus den Erzählungen eines Gauklers bezeichnet hatten. Sie besaß eine Anmut und beherrschte die Szenerie in einem Maße, daß er sich unbeholfen und plump vorkam. Sie reichte ihm zwar kaum bis zur Brust, aber ihre Ausstrahlung ließ ihre Größe genau richtig erscheinen, und er kam sich mit seiner Länge linkisch vor.

Alles in allem glich sie niemandem, den er je zuvor gesehen hatte. Die weite Kapuze des Mantels umrahmte ihr Gesicht und das dunkle Haar, das in weichen Locken frei hing. Er hatte noch nie eine erwachsene Frau gesehen, deren Haar nicht zu Zöpfen geflochten war; jedes Mädchen der Zwei Flüsse wartete ungeduldig darauf, daß der Frauenzirkel ihres Dorfes feststellte, sie sei alt genug, um einen Zopf zu tragen. Ihre Kleidung wirkte ebenso fremdartig. Ihr Umhang war aus himmelblauem Samt mit viel silbernem Zierrat, Blättern und Ranken und Blumen am ganzen Saum entlang. Ihr Kleid schimmerte leicht, wenn sie sich bewegte. Es war von einem dunkleren Blau als der Mantel und wies einen cremefarbenen Schrägstreifen auf. Um den Hals trug sie ein Halsband aus schweren Goldringen, während ihr von einer anderen, feineren Goldkette, die im Haar befestigt war, ein kleiner blauglitzernder Edelstein in die Mitte der Stirn herunterhing.

Um die Taille lag ein breiter Gürtel aus gewobenen Goldfäden, und am Ringfinger der linken Hand steckte ein Goldring in Form einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biß. Er hatte nun wirklich noch nie einen solchen Ring gesehen, aber er erkannte die Große Schlange, ein noch älteres Symbol für die Ewigkeit als das Rad der Zeit.

Schöner als alle Festkleider hatte Ewin gesagt, und er hatte recht gehabt. Niemand bei den Zwei Flüssen kleidete sich so. Niemals.

»Guten Morgen, Frau... äh... Lady Moiraine«, sagte Rand. Sein Gesicht wurde ganz heiß, als er sich so versprach.

»Guten Morgen, Lady Moiraine«, kam das etwas geschliffenere Echo von Mat, doch ein wenig unsicher klangen auch seine Worte.

Sie lächelte, und Rand fragte sich, ob er irgend etwas für sie tun könnte, damit er eine Entschuldigung dafür hatte, in ihrer Nähe zu verweilen. Er wußte, daß sie alle anlächelte, doch es schien ihm, als lächle sie nur für ihn allein. Es war wirklich so, als sei die Erzählung eines Gauklers zum Leben erwacht. Mats Gesicht zeigte ein albernes Grinsen.

»Ihr kennt meinen Namen«, sagte sie, und es klang erfreut. Als ob ihre Gegenwart, und wenn sie von noch so kurzer Dauer war, nicht das Gesprächsthema Nummer eins im Dorf für das nächste Jahr wäre! »Aber ihr müßt mich Moiraine nennen, nicht Lady. Und wie heißt ihr?«

Ewin sprang in die Bresche, noch bevor einer der beiden anderen den Mund aufbrachte. »Mein Name ist Ewin Finngar, Lady. Ich habe denen Euren Namen gesagt, deswegen kannten sie ihn. Ich hörte, wie Lan ihn erwähnte, aber gelauscht habe ich nicht. Niemand wie Ihr ist jemals zuvor nach Emondsfeld gekommen. Es ist auch ein Gaukler hier im Dorf zum Bel Tine. Und heute ist Winternacht! Kommt Ihr in mein Haus? Meine Mutter hat Apfelkuchen gebacken.«

»Wir werden ja sehen«, antwortete sie und legte die Hand auf Ewins Schulter. Ihre Augen glitzerten amüsiert, doch ansonsten blieb sie ernst. »Ich weiß nicht, inwieweit ich mit einem Gaukler konkurrieren kann, Ewin. Aber ihr alle müßt mich wirklich Moiraine nennen.« Sie schaute Rand und Mat erwartungsvoll an.

»Ich bin Matrim Cauthon, La... äh... Moiraine«, sagte Mat. Er verbeugte sich steif und ruckartig, und beim Aufrichten lief er rot an.

Rand hatte sich gefragt, ob er auch so etwas tun sollte, so wie die Männer in den Erzählungen, aber nachdem er Mats Beispiel gesehen hatte, nannte er nur seinen Namen.

Zumindest versprach er sich diesmal nicht wieder.

Moiraine sah erst ihn, dann Mat und dann wieder ihn an. Rand dachte bei sich, ihr Lächeln, das kaum die Mundwinkel berührte, wirke wie das Egwenes, wenn sie ein Geheimnis hatte. »Es kann sein, daß ich während meines Aufenthalts in Emondsfeld von Zeit zu Zeit ein paar kleine Aufträge habe«, sagte sie. »Vielleicht wärt ihr gewillt, mir zu helfen?« Sie lachte, als sie sich mit ihrer Zustimmung beinahe überschlugen. »Hier«, sagte sie und Rand war überrascht, als sie ihm eine Münze in die Hand drückte und ihm die Hand mit ihren beiden Händen darum zudrückte.