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»Es ist nicht nötig«, begann er, aber sie wischte seinen Protest mit einer Handbewegung beiseite und gab Ewin auch eine Münze; schließlich drückte sie auch Mats Hand um eine Münze, wie sie es bei Rand getan hatte.

»Natürlich ist es nötig«, sagte sie. »Man kann doch von euch nicht erwarten, daß ihr umsonst arbeitet. Betrachtet die Münzen als Andenken und behaltet sie, damit ihr euch daran erinnert, daß ihr zu mir kommen sollt, wenn ich es verlange. Die Münzen verbinden uns jetzt miteinander.«

»Ich werde das nie vergessen«, posaunte Ewin heraus.

»Wir werden uns später unterhalten«, sagte sie, »und ihr müßt mir alles über euch erzählen.«

»Lady... Entsch... Moiraine?« fragte Rand zögernd, als sie sich abwandte. Sie blieb stehen und blickte über die Schulter zurück. Er mußte schlucken, bevor er fortfuhr: »Warum seid Ihr nach Emondsfeld gekommen?« Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht, und doch wünschte er plötzlich, er hätte die Frage nicht gestellt. Er konnte nicht einmal sagen, warum. Er wollte jedenfalls rasch klarstellen, warum er gefragt hatte. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Es tut mir leid. Es ist nur so, daß niemand außer den Kaufleuten und Händlern zu den Zwei Flüssen kommt, wenn der Schnee nicht allzu tief ist, so daß sie aus Baerlon herunterkommen können. Fast niemand. Bestimmt niemand wie Ihr. Die Leibwächter der Kaufleute sagen manchmal, dies sei der hintere Winkel der Ewigkeit, und ich schätze, von draußen gesehen mag es so scheinen. Ich wundere mich nur.«

Ihr Lächeln verschwand nun ganz langsam von ihrem Gesicht, als habe sie sich an etwas erinnert. Einen Augenblick lang sah sie ihn nur einfach an. »Ich studiere die Geschichte«, sagte sie schließlich, »und sammle alte Erzählungen. Diese Gegend, die ihr heute Zwei Flüsse nennt, hat mich schon immer angezogen. Manchmal beschäftige ich mich mit Ereignissen, die vor langer Zeit hier geschehen sind, hier und anderswo.«

»Ereignisse?« fragte Rand. »Was kann denn in Zwei Flüsse je geschehen sein, daß es jemanden wie Euch interessiert — ich meine, was könnte hier schon passiert sein?«

»Und wie sonst als Zwei Flüsse wollt Ihr dieses Land nennen?« fügte Mat hinzu. »So hieß es schon immer.«

»Während sich das Rad der Zeit dreht«, sagte Moiraine halb zu sich selbst und mit einem abwesenden Blick, »führen Orte viele verschiedene Namen. Auch die Menschen tragen viele Namen und viele Gesichter. Unterschiedliche Gesichter, doch immer der gleiche Mensch. Doch niemand kennt das Große Muster, das vom Rad gewebt wird; wir kennen nicht einmal das Muster eines Zeitalters. Wir können nur beobachten und studieren und hoffen.«

Rand starrte sie an, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen oder zu fragen, was sie damit meinte. Er war sich nicht sicher, ob ihre Worte auch für sie bestimmt gewesen waren. Die anderen beiden schwiegen genau wie er, stellte er fest. Ewin stand der Mund offen.

Moiraines Blick kehrte zu ihnen zurück, und alle drei schüttelten sich ein wenig, als erwachten sie. »Wir werden uns später darüber unterhalten«, sagte sie. Keiner von ihnen sagte ein Wort. »Später.« Sie ging in Richtung Wagenbrücke. Es sah mehr wie ein Gleiten aus als ein Gehen. Ihr Umhang breitete sich nach beiden Seiten aus wie Flügel.

Als sie ging, verließ ein hochgewachsener Mann, den Rand vorher gar nicht bemerkt hatte, den Schatten der Schenke und folgte ihr, die eine Hand am langen Knauf seines Schwertes. Seine Kleidung war von einer dunklen graugrünen Farbe, die vor Blättern oder im Schatten fast verschwand, und sein Umhang wirbelte durch Schattierungen von Grau und Grün und Braun, wie er so im Wind flatterte. Je nach dem Hintergrund war dieser Umhang manchmal beinahe unsichtbar. Er trug das Haar lang. An den Schläfen zeigte sich Grau. Das Haar wurde von einem schmalen Lederband zurückgehalten. Das Gesicht schien aus kantigem Fels gehauen, wettergegerbt, doch faltenlos und nicht vom Alter gezeichnet, bis auf das Grau in den Haaren. Seine Bewegungen erinnerten Rand an einen Wolf.

Als er an ihnen vorbeiging, streifte sein Blick kurz die drei jungen Männer. Seine Augen waren so kalt und blau wie der Mittwinterhimmel. Es schien, als wöge er sie in seinem Geist ab, doch es gab kein Anzeichen dafür, was ihm die Waage angezeigt hatte. Er beschleunigte seine Schritte, bis er Moiraine eingeholt hatte. Dann ging er langsam an ihrer Seite weiter und beugte sich nieder, um mit ihr zu sprechen. Rand stieß die Luft aus und merkte erst jetzt, daß er sie angehalten hatte.

»Das war Lan«, sagte Ewin mit kehliger Stimme, als habe auch er die Luft angehalten. Das war aber auch ein Blick gewesen, bei dem einem der Atem stocken konnte. »Ich wette, er ist ein Behüter.«

»Sei kein Narr!« Mat lachte, doch das Lachen klang zittrig. »Behüter gibt es nur in Geschichten. Und auf jeden Fall haben sie Schwerter und goldüberzogene Rüstungen mit Edelsteinen dran, und sie bleiben immer oben im Norden, in der Großen Fäule, und kämpfen gegen das Böse und gegen Trollocs und so was.«

»Er könnte ein Behüter sein.« Ewin bestand darauf. »Hast du bei ihm irgendwo Gold und Edelsteine gesehen?« schalt Mat. »Haben wir hier bei den Zwei Flüssen etwa Trollocs? Wir haben Schafe. Ich frage mich wirklich, was hier jemals geschehen sein kann, daß jemand wie sie sich dafür interessiert.«

»Es könnte schon sein«, antwortete Rand langsam. »Man sagt, die Schenke stehe hier schon seit tausend Jahren oder mehr.«

»Tausend Schafsjahre vielleicht«, meinte Mat.

»Ein silberner Pfennig!« platzte Ewin heraus. »Sie hat mir einen ganzen Silberpfennig gegeben! Stellt euch vor, was ich dafür kaufen kann, wenn der Händler kommt.«

Rand öffnete die Faust, um die Münze anzusehen, die sie ihm gegeben hatte, und beinahe hätte er sie vor Überraschung fallen gelassen. Zwar war ihm die dicke Silbermünze mit dem aufgeprägten Bild einer Frau, die in der erhobenen Hand eine Flamme hielt, nicht geläufig, aber er hatte Bran öfter beobachtet, wenn er die Münzen der Kaufleute aus einem Dutzend verschiedener Länder abgewogen hatte, und er kannte ihren ungefähren Wert. Soviel Silber reichte, um überall im Gebiet der Zwei Flüsse ein gutes Pferd zu erwerben, und es bliebe sicher noch etwas übrig.

Er sah Mat an und erkannte auf seinem Gesicht den gleichen verblüfften Ausdruck, den auch seine Miene zeigen mußte. Er hielt die Hand schräg, so daß Mat die Münze sehen konnte, Ewin aber nicht, und zog fragend die Augenbrauen hoch. Mat nickte, und eine Minute lang blickten sich beide staunend an.

»Welche Art von Diensten wird sie uns wohl auftragen?« fragte Rand schließlich.

»Ich weiß nicht«, sagte Mat mit fester Stimme, »und es interessiert mich nicht. Ich werde die Münze nicht ausgeben. Auch dann nicht, wenn der Händler kommt.« Damit steckte er das Geldstück in die Manteltasche.

Rand nickte und tat es ihm mit langsamen Bewegungen gleich. Er war sich nicht über den Grund im klaren, aber was Mat gesagt hatte, schien richtig. Die Münze sollte nicht ausgegeben werden. Nicht, wenn sie von ihr stammte. Er konnte sich nicht denken, wofür Silber sonst noch gut sein sollte, doch...

»Denkt ihr, daß ich meine auch aufheben sollte?« Quälende Unentschlossenheit prägte Ewins Gesichtsausdruck.

»Nicht, wenn du nicht willst«, sagte Mat.

»Ich glaube, sie gab sie dir zum Ausgeben«, sagte Rand.

Ewin blickte seine Münze an, schüttelte den Kopf und stopfte den Silberpfennig in die Tasche. »Ich behalte sie«, sagte er bedauernd.

»Es gibt ja auch noch den Gaukler«, sagte Rand, und die Miene des Jungen hellte sich auf.

»Wenn er jemals aufsteht«, fügte Mat hinzu.

»Rand«, fragte Ewin, »ist wirklich ein Gaukler da?«