»Sie werden zum Schluß doch immer geschlagen, die falschen Drachen.«
»Er muß einfach besiegt werden, nicht wahr?«
»Und wenn es nicht gelingt?«
Tam hatte es endlich fertiggebracht, dem Bürgermeister etwas ins Ohr zu flüstern, und Bran, der von Zeit zu Zeit nickte und das Gebrabbel um ihn herum nicht beachtete, wartete, bis Tam fertig war, erhob dann die Stimme.
»Hört mal alle zu! Seid still und hört zu!« Das Geschrei wurde wieder zu einem Gemurmel. »Das sind alles nicht nur einfach Neuigkeiten von draußen. Der Gemeinderat muß darüber sprechen. Meister Fain, leistet uns doch in der Schenke Gesellschaft! Wir wollen Euch einiges fragen.«
»Ich hätte nichts gegen einen ordentlichen Krug Glühwein einzuwenden«, antwortete der Händler schmunzelnd. Er sprang vom Wagen, wischte sich die Hände am Mantel ab und rückte fröhlich seinen Umhang zurecht. »Kümmert sich jemand bitte um meine Pferde?«
»Ich will hören, was er zu sagen hat!« Mehr als eine Stimme erhob sich protestierend.
»Ihr könnt ihn nicht einfach mitnehmen! Meine Frau hat mich geschickt, damit ich Stecknadeln kaufe!« Das war Wit Congar. Er zog die Schultern hoch, als wolle er die Blicke einiger anderer abwehren, hielt aber seine Stellung.
»Wir haben auch ein Recht, Fragen zu stellen!« schrie jemand weit hinten aus der Menge. »Ich... «
»Ruhe!« brüllte der Bürgermeister und rief damit ein überraschtes Schweigen hervor. »Wenn der Gemeinderat seine Fragen gestellt hat, wird Meister Fain zurückkommen und Euch alle Neuigkeiten mitteilen. Und seine Töpfe und Stecknadeln verkaufen. Hu! Tad! Versorgt Meister Fains Pferde!«
Tam und Bran stellten sich jeder an eine Seite des Händlers, der Rest des Gemeinderats schloß sich an, und die ganze Gruppe eilte in die Weinquellen-Schenke. Sie knallten die Tür vor den Nasen derjenigen zu, die sich hinter ihnen hineindrängen wollten. Als sie an die Tür pochten, schrie lediglich der Bürgermeister: »Geht heim!«
Viele Leute drückten sich noch vor der Schenke herum, sprachen leise über den Bericht des Händlers und was er bedeutete und welche Fragen der Gemeinderat wohl stellte und warum man ihnen gestatten sollte, daran teilzunehmen und zuzuhören und eigene Fragen zu stellen. Einige schauten durch die Vorderfenster der Schenke, und ein paar fragten sogar Hu und Tad aus, obwohl es ziemlich unklar blieb, was die beiden wohl wissen sollten. Die beiden kräftigen Stallburschen gaben nur ein Grunzen zur Antwort und nahmen den Pferden vorschriftsmäßig das Geschirr ab. Eins nach dem anderen führten sie Fains Pferde weg, und als das letzte fort war, kehrten auch sie nicht wieder.
Rand beachtete die Menge nicht. Er setzte sich auf die Steine der alten Grundmauern, zog den Umhang enger zusammen und starrte die Tür der Schenke an. Ghealdan.
Tar Valon. Die Namen allein klangen fremdartig und erregend. Das waren Orte, die er nur aus Berichten der Händler und Erzählungen der Leibwächter von Kaufleuten kannte. Aes Sedai und Kriege und falsche Drachen: Das klang nach den Geschichten, die man sich spät in der Nacht vor dem Kamin erzählte, wenn die Kerze eigenartige Schatten an die Wand warf und der Wind vor den Fensterläden heulte. Alles in allem dachte er sich, wären ihm aber Schneestürme und Wölfe lieber. Und doch mußte es dort draußen ganz anders sein, jenseits der Zwei Flüsse, als lebe man mitten in der Erzählung eines Gauklers. Ein Abenteuer. Ein langes Abenteuer. Ein ganzes Leben lang.
Langsam zerstreuten sich die Dorfbewohner, immer noch murrend und kopfschüttelnd. Wit Congar blieb stehen und blickte in den nun verlassenen Wagen, als könne er darin einen weiteren versteckten Händler finden. Schließlich waren nur noch ein paar der jüngeren Leute da. Mat und Perrin schlenderten zu Rand herüber.
»Ich weiß nicht, wie der Gaukler das noch überbieten will«, sagte Mat aufgeregt. »Ich frage mich, ob wir wohl diesen falschen Drachen zu Gesicht bekommen.«
Perrin schüttelte den zerzausten Kopf. »Ich will ihn nicht sehen. Vielleicht irgendwo anders, aber nicht bei den Zwei Flüssen. Nicht, wenn das gleichzeitig Krieg bedeutet.«
»Und auch nicht, wenn dann Aes Sedai hierherkommen«, fügte Rand hinzu. »Oder habt ihr vergessen, wer die Zerstörung der Welt verursacht hat? Der Drache hat damit vielleicht angefangen, aber es waren die Aes Sedai, die die Welt wirklich zerstört haben.«
»Ich habe die Geschichte einmal gehört«, sagte Mat langsam, »und zwar vom Leibwächter eines Wollaufkäufers. Er sagte, der Drache werde in der Stunde der größten Not für die Menschheit wiedergeboren und uns alle retten.«
»Dann war er ein Narr, falls er das glaubte«, sagte Perrin bestimmt. »Und du warst ein Narr, auf ihn zu hören.« Er klang nicht böse — es dauerte lange, ihn wütend zu machen. Aber manchmal hatte er die Nase voll von Mats blühender Phantasie, und das klang jetzt ein wenig in seiner Stimme mit. »Wahrscheinlich hat er auch noch behauptet, anschließend würden wir in einem neuen Zeitalter der Legenden leben.«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich es glaube«, protestierte Mat. »Ich habe es nur gehört. Nynaeve auch, und ich dachte, sie würde mir und dem Leibwächter die Haut bei lebendigem Leib abziehen. Er sagte — der Wächter natürlich -, daß viele Leute daran glauben, nur fürchten sie sich, es auszusprechen. Sie haben Angst vor den Aes Sedai oder den Kindern des Lichts. Nachdem Nynaeve so dazwischenfuhr, sagte er nichts mehr. Sie hat es dem Kaufmann erzählt, und der sagte, der Wächter habe ihn das letzte Mal auf einer Reise begleitet.«
»Das war auch gut so«, sagte Perrin. »Der Drache soll uns retten? Hört sich wie Coplin-Geschwätz an.«
»Wie groß müßte unsere Not wohl sein, daß wir den Drachen um Hilfe riefen?« überlegte Rand. »Da können wir genausogut den Dunklen König um Unterstützung bitten.«
»Er hat es nicht gesagt«, erwiderte Mat unsicher. »Und er hat auch nichts von einem neuen Zeitalter der Legenden erwähnt. Er sagte, die Welt werde durch die Ankunft des Drachen zerrissen.«
»Das würde uns retten«, sagte Perrin trocken. »Eine neue Zerstörung der Welt.«
»Mach mich nicht verantwortlich«, grollte Mat. »Ich habe nur wiedergegeben, was der Wächter sagte.«
Perrin schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nur; die Aes Sedai und dieser Drache, ob falsch oder nicht, bleiben, wo sie sind. Vielleicht werden dann die Zwei Flüsse verschont bleiben.«
»Glaubst du, sie sind in Wirklichkeit Schattenfreunde?« Mat runzelte gedankenverloren die Stirn. »Wer?« fragte Rand. »Aes Sedai.«
Rand sah Perrin an, der mit den Achseln zuckte. »Die Geschichten...«, begann er bedächtig, doch Mat schnitt ihm das Wort ab.
»Nicht alle Geschichten behaupten, daß sie dem Dunklen König dienen, Rand.«
»Beim Licht, Mat«, sagte Rand. »Sie verursachten die Zerstörung der Welt. Was brauchst du denn noch?«
»Na, vielleicht.« Mat seufzte, grinste aber im nächsten Augenblick schon wieder. »Der alte Bili Congar sagt, es gäbe sie gar nicht. Aes Sedai. Schattenfreunde. Er sagt, das seien nur Geschichten. Er sagt, daß er auch nicht an den Dunklen König glaubt.«
Perrin schnaubte. »Coplin-Geschwätz von einem Congar! Was kannst du sonst erwarten?«
»Der alte Bili hat den Dunklen König genannt. Ich wette, das hast du nicht gewußt.«
»Licht!« kam ein Stoßseufzer von Rand.
Mats Grinsen wurde breiter. »Das war letztes Frühjahr, gerade bevor seine Felder vom Schnittwurm befallen wurden, die der anderen aber nicht. Gerade bevor alle in seinem Haus Gelbaugenfieber bekamen. Ich habe gehört, wie er es gesagt hat. Er sagt immer noch, er glaube nicht dran, aber immer wenn ich ihm sage, er solle doch den Dunklen König beim Namen nennen, wirft er irgendwas nach mir.«
»Und du bist dumm genug, um so was zu sagen, wie, Matrim Cauthon?« Nynaeve al'Meara trat in ihre Mitte, den dunklen Zopf über die Schulter gehängt und vor Wut kochend. Rand rappelte sich auf. Sie war schlank und ging Mat kaum bis zur Schulter, doch in diesem Moment erschien ihnen die Seherin größer als sie alle, und es spielte keine Rolle, daß sie jung und hübsch war. »Ich habe Bili Congar damals gleich so eingeschätzt, aber ich dachte, du hättest mehr Verstand und würdest nicht noch versuchen, ihn aufzustacheln. Du bist vielleicht alt genug, um zu heiraten, Matrim Cauthon, aber in Wirklichkeit solltest du noch an Mutters Schürzenzipfel hängen! Als nächstes wirst du wohl auch noch selbst den Dunklen König nennen.«