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»Seherin«, sagte Bran steif, »überlaßt es freundlicherweise bitte mir, über wen ich mir den Kopf zerbreche. Frau Moiraine und Meister Lan sind Gäste meiner Herberge und, so möchte ich behaupten, anständige und ehrenwerte Leute. Sie haben mich nicht vor dem versammelten Gemeinderat als Narren bezeichnet. Sie haben dem Gemeinderat nicht vorgeworfen, daß keiner von uns seine fünf Sinne beisammen habe.«

»Es scheint, als habe ich Euch noch zu gut bewertet«, schoß Nynaeve zurück. Sie schritt ohne einen Blick zurück einfach davon. Brans Kinn bewegte sich, als formuliere er eine passende Antwort.

Egwene sah Rand an, als wolle sie etwas sagen, aber statt dessen eilte sie der Seherin hinterher. Rand war sich klar darüber, daß es irgendeinen Weg geben mußte, sie davon abzuhalten, die Zwei Flüsse zu verlassen, doch der einzige Weg, der ihm gerade einfiel, war keiner, den er zur Zeit bereits gehen konnte, selbst wenn sie zustimmte. Und sie hatte ja mehr oder weniger angedeutet, daß sie nicht wollte. Das machte alles für ihn noch schlimmer.

»Diese junge Frau braucht einen Mann«, grollte Cenn Buie, der auf Zehenspitzen umherhüpfte. Sein Gesicht hatte sich puterrot gefärbt und wurde noch dunkler. »Ihr fehlt der Respekt. Wie sind der Gemeinderat und keine kleinen Jungen, die ihr den Hof machen und... «

Der Bürgermeister atmete schwer durch die Nase und fuhr dann plötzlich den alten Dachdecker an: »Sei ruhig, Cenn! Hör auf, dich wie ein Aiel mit schwarzem Schleier aufzuführen!« Der knochige Mann erstarrte vor Überraschung. Der Bürgermeister verlor sonst nie die Beherrschung. Bran funkelte ihn an. »Versengen soll mich das Licht, aber wir haben wirklich Besseres zu tun, als uns wie Narren zu benehmen. Oder willst du beweisen, daß Nynaeve recht hat?« Damit stampfte er zurück in die Schenke und knallte die Tür hinter sich zu.

Die anderen Mitglieder des Gemeinderats sahen Cenn an und gingen dann jeder in seine Richtung nach Hause. Alle außer Haral Luhhan, der den Dachdecker begleitete und leise auf ihn einredete. Cenn Buies Gesicht war wie versteinert. Der Schmied aber war der einzige, der Cenn jemals wieder zur Vernunft bringen konnte.

Rand ging zu seinem Vater hinüber, und seine Freunde kamen hinterher. »Ich habe Meister al'Vere noch nie so wütend gesehen«, war das erste, was Rand sagte. Das brachte ihm einen angewiderten Blick Mats ein.

»Der Bürgermeister und die Seherin sind sich selten einig«, sagte Tam, »und heute noch weniger als sonst. Das ist alles. Das ist in jedem Dorf dasselbe.«

»Was ist mit dem falschen Drachen?« fragte Mat, und Perrin murmelte eifrig: »Was ist mit den Aes Sedai?«

Tam schüttelte langsam den Kopf. »Meister Fain wußte nicht viel mehr, als er bereits sagte. Jedenfalls nicht viel, was für uns wichtig ist. Gewonnene oder verlorene Schlachten. Eroberte und rückeroberte Städte. Dank dem Licht spielt sich das alles in Ghealdan ab. Es hat sich nicht weiter ausgebreitet, jedenfalls nicht, soweit uns das Meister Fain berichten konnte.«

»Schlachten interessieren mich«, sagte Mat, und Perrin fügte hinzu: »Was hat er davon erzählt?«

»Mich interessieren Schlachten nicht, Matrim«, sagte Tam. »Doch ich bin sicher, er wird sich glücklich schätzen, dir später alles darüber zu erzählen. Was mich interessiert, ist die Tatsache, daß wir uns hier nicht den Kopf darüber zerbrechen müssen, soweit es der Gemeinderat beurteilen kann. Wir sehen keinen Grund für die Aes Sedai, auf ihrem Weg nach Süden hier durchzukommen. Und was die Rückreise betrifft, werden sie wohl kaum den Wald der Schatten durchqueren und den Weißen Fluß durchschwimmen.«

Rand und die anderen schmunzelten bei dem Gedanken daran. Es gab drei Gründe, warum niemand ins Gebiet der Zwei Flüsse kam, außer eben vom Norden her von Taren-Fähre. Der erste, das waren natürlich die Verschleierten Berge, und genauso erfolgreich blockierte der Schlammpfuhl die Wege aus dem Osten. Im Süden lag der Weiße Fluß, der seinen Namen der vielen Steine und Felsen wegen erhalten hatte, die seinen schnellen Strom aufschäumen ließen. Und jenseits des Weißen lag der Wald der Schatten. Wenige Leute der Zwei Flüsse hatten jemals den Weißen überquert, und noch weniger kehrten von dorther zurück. Man war sich jedoch allgemein darin einig, daß sich der Wald der Schatten etwa hundert Meilen oder weiter nach Süden erstreckte. Es gab dort keine Straße und kein Dorf, wohl aber genügend Wölfe und Bären.

»Also, das wär's ja dann wohl für uns«, sagte Mat. Es hörte sich zumindest ein wenig enttäuscht an.

»Nicht ganz«, sagte Tam. »Übermorgen werden wir Männer nach Devenritt und Wachhügel schicken und auch nach Taren-Fähre, um gemeinsam Wachtposten aufzustellen. Berittene Posten am Weißen und am Taren und dazwischen Patrouillen. Es sollte eigentlich noch heute geschehen, aber nur der Bürgermeister hat mir zugestimmt. Der Rest war der Meinung, man könne nicht verlangen, daß jemand am Bel Tine zwischen den beiden Flüssen herumreitet.«

»Aber Ihr habt doch gesagt, wir müßten uns keine Sorgen machen«, murrte Perrin, und Tam schüttelte den Kopf.

»Ich sagte, wir sollten uns nicht sorgen, Junge, doch das heißt nicht, daß wir die Augen verschließen. Ich habe Männer sterben sehen, weil sie sicher waren, daß nichts geschehen werde, was nicht geschehen durfte. Außerdem werden die Kämpfe alle möglichen Leute aufscheuchen. Die meisten werden sich nur ein sicheres Fleckchen suchen, aber andere werden sich bemühen, aus der Verwirrung Profit zu schlagen. Den ersteren werden wir unsere Hilfe anbieten, aber wir müssen darauf vorbereitet sein, die anderen wieder zu verjagen.«

Unvermittelt äußerte sich Mat. »Können wir daran teilnehmen? Ich möchte schon! Ihr wißt, daß ich genausogut reiten kann wie die anderen Männer des Dorfs.«

»Du möchtest ein paar Wochen Kälte, Langeweile und Schlafen im Freien genießen?« schmunzelte Tam. »Darauf wird es wahrscheinlich hinauslaufen. Ich hoffe jedenfalls. Wir sind weit ab vom Schuß, sogar was Flüchtlinge betrifft. Aber wenn du dich entschlossen hast, kannst du ja mit Meister al'Vere sprechen. Rand, es ist Zeit für uns, zum Hof zurückzukehren.«

Rand riß überrascht die Augen auf. »Ich dachte, wir bleiben noch zur Winternacht!«

»Es gibt Dinge, die auf dem Hof getan werden müssen, und ich brauche dich dazu.«

»Trotzdem haben wir noch Stunden Zeit. Und ich möchte mich auch freiwillig für die Patrouillen melden.«

»Wir gehen jetzt«, antwortete der Vater in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Mit sanfterer Stimme fügte er hinzu: »Wir kommen morgen zeitig genug zurück, damit du mit dem Bürgermeister sprechen kannst. Und früh genug für das Fest. Wir treffen uns in fünf Minuten im Stall.«

»Wirst du dich mit Rand und mir zusammen für die Wache melden?« fragte Mat Perrin, als Tam ging. »Ich wette, so was hat es bei den Zwei Flüssen noch nie gegeben. Stellt Euch vor, wenn wir zum Taren kommen, sehen wir vielleicht sogar Soldaten oder wer weiß wen! Sogar Kesselflicker!«

»Ja, ich denke schon«, sagte Perrin langsam. »Das heißt, falls Meister Luhhan mich nicht braucht.«

»In Ghealdan ist Krieg, nicht hier!« brauste Rand auf. Mit Mühe senkte er die Stimme. »Der Krieg ist in Ghealdan, und die Aes Sedai sind das Licht wer weiß wo, aber keines davon ist hier. Dafür ist hier der Mann mit dem schwarzen Mantel, oder habt Ihr ihn schon vergessen?« Die anderen tauschten verlegene Blicke.

»Tut uns leid, Rand«, stotterte Mat. »Aber es gibt nicht oft eine Gelegenheit, etwas anderes zu tun, als die Kühe des Vaters zu melken.« Unter ihren erstaunten Blicken richtete er sich auf. »Na ja, ich melke sie eben, und das jeden Tag.«

»Der schwarze Reiter«, erinnerte sie Rand. »Was, wenn er jemanden verletzt?«

»Vielleicht ist er ein Kriegsflüchtling«, meinte Perrin zögernd.

»Wer er auch ist«, sagte Mat, »die Wachen werden ihn finden.«

»Vielleicht«, sagte Rand, »aber er scheint zu verschwinden, wann immer er will. Es wäre besser, wenn sie überhaupt wissen, daß sie nach ihm suchen sollen.«