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»Fest?« sagte Rand. »Wenn du ihn gesehen hättest, würdest du ihn dir mehr als zehn Meilen wegwünschen. Vielleicht sogar hundert.«

»Ja, vielleicht«, sagte Tam gelassen. »Er kann ja durchaus vor den Unruhen in Ghealdan geflohen sein, oder er ist ein Dieb, der denkt, er könne hier leichter als in Baerlon oder Taren-Fähre Beute machen. Aber niemand besitzt hier etwas, das er sich so ohne weiteres stehlen läßt. Falls der Mann versucht, vor dem Krieg davonzurennen... Na ja, das ist keine Entschuldigung dafür, Leuten Angst einzujagen. Wenn die Wache einmal steht, wird sie ihn entweder finden oder gleich verjagen.«

»Ich hoffe, man verjagt ihn. Aber weshalb glaubst du mir jetzt, während du mir heute morgen nicht geglaubt hast?«

»Zu der Zeit war ich auf meine eigenen Augen angewiesen, Junge, und ich sah nichts.« Tam schüttelte den ergrauten Kopf. »Es scheint, nur junge Männer sehen diesen Burschen. Als dann aber Haral Luhhan erwähnte, daß Perrin Geister sehe, da kam alles heraus. Jon Thanes ältester Sohn sah ihn auch, genau wie Samel Crawes Junge Bandry. Also, wenn vier von euch behaupten, sie hätten etwas gesehen — alles ordentliche junge Leute -, dann glauben wir allmählich, daß jemand da ist, ob wir ihn nun sehen können oder nicht. Alle außer Cenn natürlich. Jedenfalls ist das der Grund, weshalb wir nach Hause zurückkehren. Wenn wir beide abwesend sind, könnte der Fremde dort alles mögliche anstellen. Wenn es nicht des Festes wegen wäre, käme ich morgen auch nicht ins Dorf zurück. Aber wir können uns nicht in den eigenen vier Wänden einsperren, nur weil so ein Bursche hier herumlungert.«

»Ich habe das mit Ban und Lem nicht gewußt«, sagte Rand. »Wir anderen wollten morgen zum Bürgermeister gehen, aber wir fürchteten, er werde uns nicht glauben.«

»Graue Haare bedeuten nicht, daß unser Hirn geschrumpft ist«, meinte Tam trocken. »Also halte gut Ausschau. Vielleicht bekomme ich ihn auch zu Gesicht, falls er wieder auftaucht.«

Rand beschloß, sich daran zu halten. Zu seiner Überraschung merkte er, wie sein Schritt leichter wurde. Die Knoten waren aus seinen Schultern verschwunden. Er fürchtete sich immer noch, aber es war nicht so schlimm wie vorher. Tam und er befanden sich genauso allein und verlassen auf der Haldenstraße wie am Morgen, aber irgendwie fühlte er sich, als sei das ganze Dorf bei ihnen. Der Unterschied lag darin, daß nun andere Bescheid wußten und ihm glaubten. Was immer der schwarze Reiter anstellen mochte, die Leute von Emondsfeld würden gemeinsam mit ihm fertig werden.

5

Winternacht

Als der Karren den Bauernhof erreichte, hatte die Sonne bereits auf halbem Weg die Mittagshöhe überschritten. Es war kein großes Gebäude, bei weitem nicht so groß wie einige der ausgedehnten Anwesen im Osten, Behausungen, die über die Jahre hinweg gewachsen waren und in denen große Familien wohnten. In der Gegend der Zwei Flüsse lebten oftmals drei oder vier Generationen unter einem Dach, und das schloß Tanten, Onkel, Vetter und Neffen mit ein. Tam und Rand galten als außergewöhnlich in zweierlei Hinsicht: Die beiden Männer lebten allein, und ihr Hof lag im Westwald.

Hier befanden sich die meisten Räume auf ebener Erde. Das Haus bildete ein sauberes Rechteck ohne Seitenflügel oder Anbauten. Zwei Schlafzimmer und ein Speicher fügten sich noch oben unter das steile Strohdach. Obwohl die weiße Tünche nach den Winterstürmen fast ganz von den massiven Holzwänden verschwunden war, befand sich das Haus immer noch in ordentlichem Zustand. Das Strohdach war wieder dicht, Türen und Fensterläden waren gut befestigt und paßten genau.

Haus, Scheune und der von einer Steinmauer eingefaßte Schafpferch bildeten ein Dreieck um den Hof. Dort hatten sich ein paar Hühner hinausgewagt und scharrten im kalten Erdreich herum. Gleich neben dem Schafpferch standen ein offener Schuppen zum Scheren der Schafe und ein steinerner Brunnentrog. Am Rand der Felder zwischen dem Hof und den Bäumen ragte der hohe Kegel eines Trockenraums auf. Nur wenige Bauern der Zwei Flüsse kamen ohne den Tabakanbau aus, der es ihnen ermöglichte, den Kaufleuten, wenn sie endlich kamen, Wolle und Tabak zu verkaufen.

Als Rand in den Steinpferch schaute, blickte der Leithammel zu ihm auf, die meisten Schafe der schwarzgesichtigen Herde blieben aber friedlich dort, wo sie lagen oder standen, die Köpfe im Futtertrog. Ihre Wolle war dicht und lockig, aber es war noch zu kalt zum Scheren.

»Ich glaube nicht, daß der Schwarzgekleidete hierhergekommen ist!« rief Rand seinem Vater zu, der langsam um das Haus herumging, einen Speer kampfbereit in der Hand, und den Boden genau betrachtete. »Die Schafe wären nicht so ruhig, wenn er dagewesen wäre.«

Tam nickte, blieb aber nicht stehen. Als er seine Runde um das Haus beendet hatte, ging er anschließend genauso aufmerksam um die Scheune und den Pferch herum, wobei er immer noch den Boden nach Spuren untersuchte. Er überprüfte sogar die Räucherkammer und den Trockenraum. Er zog einen Eimer Wasser aus dem Brunnen, schöpfte eine Handvoll, roch daran und berührte das Wasser vorsichtig mit der Zungenspitze. Dann lachte er plötzlich laut auf und trank es mit einem schnellen Schluck.

»Ich glaube auch, er war nicht da«, sagte er zu Rand und wischte sich die Hand am Mantel ab. »Das ganze Gerede über Männer und Pferde, die ich nicht sehen oder hören kann, macht mich so nervös, daß ich schon alles schief anschaue.« Er goß das Brunnenwasser in einen anderen Eimer und ging auf das Haus zu, in der einen Hand den Eimer, in der anderen den Speer. »Ich werde einen Eintopf aufsetzen, damit wir etwas zum Essen bekommen. Und wenn wir sowieso schon hier sind, können wir auch mit der Arbeit anfangen.«

Rand schnitt eine Grimasse. Er bedauerte, die Winternacht nicht in Emondsfeld verbringen zu können. Aber Tam hatte recht. Auf einem Bauernhof hörte die Arbeit niemals auf; kaum hatte man eine Sache erledigt, tauchten schon zwei andere auf, um die man sich kümmern mußte. Er zögerte, behielt aber dann Bogen und Köcher doch bei sich. Falls der dunkle Reiter erschien, wollte er ihm nicht nur mit einer Hacke begegnen.

Zuerst mußte Bela in den Stall gebracht und versorgt werden. Sobald er sie ausgespannt und in einer Box in der Scheune gleich neben der Kuh untergebracht hatte, legte er den Umhang ab und rieb die Stute mit trockenem Stroh ab. Anschließend striegelte er sie mit zwei Bürsten. Er kletterte die schmale Leiter zum Heuboden hinauf und warf Heu für Bela hinunter. Er nahm auch einen Scheffel Hafer mit, obwohl nicht mehr viel da war und sie möglicherweise längere Zeit keinen Hafer mehr bekommen würden — es sei denn, es würde endlich warm. Die Kuh hatten sie schon im ersten Morgenlicht gemolken. Sie hatte nur ein Viertel ihrer normalen Menge gegeben; im Verlauf des langen Winters schien sie auszutrocknen.

Sie hatten den Schafen Futter für zwei Tage dagelassen — sie hätten eigentlich längst auf der Weide stehen sollen, doch es gab kaum Gras für sie -, aber er füllte ihren Wassertrog wieder auf. Auch die mittlerweile gelegten Eier mußten eingesammelt werden. Es waren nur drei. Die Hühner wurden anscheinend immer schlauer und versteckten sie zu gut.

Er ging gerade mit einer Hacke auf der Schulter zum Gemüsegarten hinter dem Haus, als Tam herauskam und sich auf eine Bank vor der Scheune setzte, um Belas Geschirr zu reparieren. Der Speer lehnte an seiner Seite. Als Rand das sah, empfand er seinen mitgenommenen Bogen und den Köcher nicht mehr als lächerlich. Beides lag auf seinem Umhang, einen Schritt von seinem Arbeitsplatz entfernt.

In den Beeten zeigte sich nur wenig Unkraut, aber immer noch mehr Unkraut als alles andere. Die Kohlköpfe waren bloße Stümpfe, es war kaum ein Bohnen- oder Erbsenschößling zu sehen und keine einzige Rübe. Sie hatten natürlich nicht alles gepflanzt — nur einen Teil, in der Hoffnung, die kalte Periode werde rechtzeitig enden, so daß sie etwas ernten konnten, bevor der Keller ganz leer war. Er brauchte nicht lange mit seiner Hacke. In früheren Jahren wäre er darüber froh gewesen, aber jetzt fragte er sich, was zu tun sei, wenn dieses Jahr nichts wuchs. Kein angenehmer Gedanke. Und er mußte immer noch Brennholz spalten.